leinemädchenblick  Ich sagte schon, daß sie begonnen hatte, mich auf unbeschreibliche Weise anzusehen; trotzdem bemühte ich mich, diese Blicke zu deuten, werde hier aber nicht alles berichten, was ich mir vorgaukelte. Schließlich kam ich zu dem Ergebnis, daß sie sich etwa folgendermaßen übersetzen ließen: Du gefällst mir, weil du mir halt gefällst und ich dir gefalle, ich armes Mädchen, das noch gar keinen Anspruch auf männliche Verehrung hätte; aber ich habe etwas zu verbergen. Das war natürlich nur eine Vermutung, und auch noch eine vage, die mir im Augenblick wenig einbrachte. Doch wie sollte ich anders als mit Denkproben weiterkommen? Jedenfalls hielt ich diese Art von Hypothese insoweit für tröstlich, als sie zumindest jedwede Abgeneigtheit bei ihr ausschloß; ich sah mich also nicht von vornherein einer Ablehnung gegenüber. Und mit dieser Überzeugung war es mir möglich, wie ein Mathematiker zu operieren, der eine Hypothese aufstellt und abwartet, was am Ende herauskommt, um gegebenenfalls eine neue aufzustellen. Hinsichtlich dessen, was sie vielleicht verbarg, konnte ich zunächst nur damit kalkulieren, daß es sich um eine Art Auswuchs meiner Interpretation, um ein unwesentliches Beiwerk handelte, über das mich die Zukunft aufklären würde. Und falls es wirklich einen obskuren Makel bei ihr gab, würde dieser selbstverständlich zu meinem mächtigsten Verbündeten werden . . . - Tommaso Landolfi, Die Stumme. In: T. L., Die Stumme. Reinbek bei Hamburg 1991
 
 

Mädchen, kleines Blick

 

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