laglosigkeit Mein
Vater wurde bei einem Duell von Hauptmann Phillips
mit dem Degen durchbohrt (der Streit war wegen einer
Gans entstanden!). Er kam mit dem Leben davon, wenn auch
mit einer geschwächten Konstitution, die den Anstrengungen, denen er ausgesetzt
wurde, nicht mehr gewachsen war. Er wurde nämlich nach Jamaica versetzt, wo
er bald dem landesüblichen Fieber erlag, das ihm zunächst den Verstand raubte
und ihn kindisch werden ließ, bis er sich eines Tages, nachdem er unablässig
umhergegangen war, ohne zu klagen, in einen Lehnstuhl setzte und seinen letzten
Atemzug tat; das geschah in Port Antonio im Norden der Insel. - Mein Vater war
ein kleiner eleganter Mann, im höchsten Grad aktiv in all seinen Unternehmungen
und geduldig im Hinnehmen von Mühen und Enttäuschungen,
die ihm Gott reichlich zuzumessen beliebte. Er besaß eine etwas heftige und
vorschnelle Art, aber einen freundlichen, liebenswerten Charakter, in dem kein
Falsch war, und seine Absichten waren so unschuldig, daß er niemandem mißtraute;
man hätte ihn zehnmal am Tage hereinlegen können, wenn man mit neunmal noch
nicht genug gehabt hätte. -
Laurence Sterne, Lebenserinnerungen. Nach: L. S., Briefe und Dokumente. Hg. und
Übs. Siegfried Schmitz. München 1965
Klaglosigkeit
(2) »Was hast du?« rief er, »ein gebrochenes Herz?
Ich, ich habe Senkfüße, Kopfschorf, eine Schrumpfniere, zerrüttete Nerven und
ein gebrochenes Herz! Und schreie ich etwa, daß ein Adler mich an den Hoden
hat oder seine Austern auf mein Herz fallen läßt? Laufe ich etwa herum und brülle,
daß es schmerzt, daß mein Verstand sich rückwärts bewegt? Trage ich meine Eingeweide,
als wären sie ein scharfer Schwerterkranz? Und du? Du brüllst und beißt dir
die Lippen und streckst deine Hände und drehst dich herum wie ein Rad! Jammere
ich vielleicht zu den Bergen empor vor Leid, das mir im Tal widerfuhr? Klage
ich jedem Stein über die Methode, wie er meine Knochen zerbrach, oder über jede
Lüge, wie sie hinabglitt in meinen Bauch und ein Nest baute, um dort meinen
Tod auszubrüten? Ist nicht ein jeder auf der Welt auf seine Weise überdreht,
und bin ich nicht der Verdrehteste von allen? So daß ich daherkomme, störrisch
und quiekend, wie eine Kalbin auf dem Weg zum Schlachthof, die weiß, daß ihr
Protestschrei gegen den Tod nur ein paar Meter zu seinem Ziel braucht, so wie
ihr Tod nur ein paar Meter braucht, um gegen ihren Schrei zu protestieren? Durchwanderst
du die erhabenen Himmel ohne Schuh? Bist du vielleicht der einzige Mensch, der
barfuß auf einem Nagelbrett steht? O du arme blinde Kuh! Bleib meinem Gefieder
fern - du streichst es mir gegen den Strich, flatterst darin herum und scheuchst
mein Elend auf! Welches Ende ist süß? Sind die Enden der Haare süß, wenn du'
sie numerieren mußt?« - Djuna Barnes, Nachtgewächs. Frankfurt am
Main 1983 (zuerst 1936)
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