Dem Seugling klebt seine Zunge an seinem gaumen für
Durst / Die jungen Kinder heischen Brot / vnd ist niemand / ders jnen breche.
Die
vorhin das Niedlichst assen / verschmachten jtzt auff den gassen / Die vorhin
in Seiden erzogen sind / die müssen jtzt im Kot ligen.
Die
missethat der Tochter meines Volcks ist grösser / denn die sünde Sodom / Die
plötzlich vmbgekeret ward / vnd kam kein hand dazu.
Jre Nazarei waren reiner
denn der Schnee / vnd klerer denn Milch / Jr gestalt
war rödlicher denn Corallen / jr ansehen war / wie Saphir.
Nu aber ist jr
gestalt so tunckel für schwertze / Das man sie auff den gassen nicht kennet
/ Jr Haut henget an den Beinen
/ vnd sind so dürr als ein Scheit.
Den erwürgeten durchs Schwert geschach
bas / weder den / so da Hungers storben / Die verschmachten vnd erstochen worden
vom mangel der fruchten des Ackers.
Es haben die barmhertzigste Weiber jre
Kinder selbs müssen kochen / das sie zu essen hetten / Jn dem jamer der Tochter
meines Volcks. - Klagelieder Jeremia 4
- (
bo
)
Klage (3) Oft schon hat ein Grabräuber sich
zu Tode niesen müssen, weil die Pena-Dura es so befahlen,
um zu strafen, die Habsüchtigen auch nicht daran dachten, daß an der Stätte
Echiun-tuwel'ahuen das Nieskraut wächst, das den Tod bringen kann, wenn man
das Gegenmittel nicht kennt. Bei guten Menschen stirbt durch das Niesen der
Gualichu ab, der im Körper sein kann, persönlich oder in Gestalt eines Gehilfen,
der Krankheit verursachen wollte . .. Die Pena-Dura geben drei Schreie von sich
ohne Worte. Es ist eine schauerliche Klage — sie beweinen ihr Schicksal, das
sie unbewehrt, hungrig, frierend der Unterwelt zuschiebt, arm in jeder Hinsicht,
wenn sie nicht Krieger waren oder Führer, die in den Wolken weiterleben, kämpfen,
jagen, fischen, trinken, essen, nach Herzenslust sich bedienen lassen von schönen
Mädchen ... Man soll die Toten nicht ihrer Schätze berauben: sie sind die einzige
Wehr, die sie haben. - (
arauk
)
Klage (4) »Ich armselichter Armselichter,
ohne meynen saftichten Vogel und ohne Eyer! Ich armselicht Zugerichteter und
Ohnglücklichter! Mich durchfährts, als hätt die Seel mann mir zur Gäntz herausgerissen!
Was suchet ein Mann ohne Vogel, ohne Lustwurz, ohne Horn, ohne Ruth,
ohne Keyler in dieser Welt? Was suchet er? Mit einem Loche in loco. Bestrafet
worden bin ich, weyl ich von der Natur ein Ey im Überflusz erhalten, und itzo
hap ich nicht mal mehr eines! Und dieser Hundt,
von woher kam er? Warum hat er die Eyer meyn gefressen, doch die von andren
nicht? Wer hat ihm eingesagt, die meynen nur zu fressen? Oiweh, oiweh, schon
fühl ich mich zu Bodten stürzen mit aller Ohnmacht! Oiweh, oiweh, so gar viel
Bluth trytt aus und mit ihm auch meyn Leben! Was hilfft die Groszmuth gegen
Unterthanen schon und all die Weythsicht, all der Muth, die Güth und Weisheyth?
Was hilfft das alles? Ein streunend wildtes Hundsviech zerstörte meyn Leben.
Hätt er mir einen Arm doch abgerissen, anstell des Vogels! Hätt er mir einen
Fusz mitsamt dem Beyn doch ausgerissen bis zum Knie!« - Luigi Malerba, Pataffio. Berlin 1988
Klage (5) Kehren wir zu
unserer Phantasie zurück: daß nämlich das, was du durchmachst - Angst
und Schrecken - generativ ist und eben jene
wehklagend schwere Verwandlung generiert; und
deshalb könnte der Groll, den du in diesem Klang vermutest, auch etwas sein,
das ohne dich nicht existierte. Du also zeugst das Sein?
Nicht du - deine Angst ist samengleich, spermatisch. Aber nehmen wir nun als
nicht unbegründet die folgende Hypothese: daß das Sein der Angst entspringt
und daß diese deine ist. In dem Augenblick, da sich der Übergang, der sich im
Sein erfüllt, aller Wahrscheinlichkeit nach vollzieht, fällt dir die Aufgabe
zu, eine Haltung - irgendeine - dem Gluckern gegenüber zu beziehen. Wir haben
es als Klage definiert. Du bist nicht ganz sicher, es ist aber wahrscheinlich,
daß es sich um eine Klage handelt. Jedenfalls ist jener Klang demjenigen, den
du als Klage betrachtest, ähnlich. Du erkennst also in jenem Klang einen dir
eigenen Klang, in jener Redeweise eine dir eigene Weise. Also erkennst du auch
die Klage, denn die Klage ist eine sprachliche Form von dir und dir darum nicht
fremd, sondern im Gegenteil natürlich; ich meine jene Klage. Das Gluckern kommt
von einem Wesen her, oder vielmehr von einem Beinah-Wesen,
von dem wir angenommen haben, es sei ein Monstrum. Wir wissen nicht, ob es ein
Monstrum ist, aber sagen wir, die Hypothese,
es sei ein Monstrum, ist das Äußerste, was wir bemühen können. Nehmen wir also
an, es sei ein Monstrum; wenn du nun aber deine Klage als mit jener Klage blutsverwandt
erkennst - heißt das dann nicht, daß du so eng mit dem Monstrum verwandt bist,
daß es nicht ausgeschlossen erscheint, in dir nichts anderes zu sehen als ein
Monstrum? Doch kehren wir zur Bedeutung der Klage zurück. Das Gluckern, in dem
sie sich ausdrückt, ist kein edler und würdiger Klang; aber wir wissen
nicht, ob seine Nichtswürdigkeit auf seinem Klagesein beruht oder
auf einer inneren Eigenschaft seiner Modulation. Jedenfalls kennen wir die Klage
in einer Form, die man ohne Ubertreibung als schändlich bezeichnen kann. Da
aber die Klage mit dir verwandt ist und du schweigst,
könnten wir auch folgendes vermuten: daß jenes Gluckern eine delegierte Klage
ist, und daß seine Schändlichkeit darauf beruht, daß es mit einem unerträglichen
Auftrag belastet ist; und wenn du merkst, was du unweigerlich merken mußt, daß
es rings um das Gluckern still geworden ist - in Wirklichkeit dauert die Stille
nur an, aber auch die Geräusche scheinen jetzt wie verflüchtigt - dann kannst
du vermuten, daß die Klage in Wahrheit kollektiv ist, also ein
ganzer Haufen von delegierten Klagen, unter denen die philosophisch dürftigen,
ja die widersprüchlichen oder schlecht durchdachten überwiegen; und wenn deine
Klage unter diesen Klagen weilt, dann heißt das, daß du Nutzen daraus ziehst
oder daß die Lage dir entspricht. Doch man bedenke auch dieses: wenn deine Klage
eine der unzähligen verschwiegenen weil an das Gluckern delegierten Klagen ist,
das wie gesagt von einem Monstrum stammen kann, dann ist es ganz unvermeidlich,
daß unter den vielfach delegierten Klagen auch Monstren sind; schweigsame eben,
was zeigt, daß es auch schweigsame Monstren geben kann; also schließt selbst
deine Stille dich nicht von der Möglichkeit aus, selbst Monstrum zu sein. - Giorgio Manganelli, Geräusche
oder Stimmen. Berlin 1989
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