inokritik   Ein Mann mag ein Spieler, ein Lüstling, ein Ehebrecher, ein Mörder sein, zu allen Schandtaten bereit, allen Versuchungen offen, und er kann dennoch ein Heiliger sein. Die Hauptperson in Hallelujah ist hierfür ein Beispiel. Genauso mag eine Frau der Inbegriff von Durchtriebenheit und Lüge sein, was ebensowenig bedeuten würde, daß sie keine Heilige und bisweilen sogar zu einem bewundernswerten Rausch befähigt ist, in dem ihre maßlose Überschwenglichkeit für das Gute mit einem rauschhaften Zustand einhergeht, wo sie zu allem bereit ist, außer zur Mittelmäßigkeit, mit einem Wort: Sie ist heilig, heilig wie Lilith, Mutter der Strigen und schöner als Eva, Mutter der Menschen, heilig wie jene, von der Gerard de Nerval sagte:

Die Heilige der Abgründe ist in meinen Augen von noch größerer Heiligkeit

In einer derart seichten Epoche wie der unsrigen, in der es nur so wimmelt von lächerlichen Peinlichkeiten und schwammigen intellektuellen Spekulationen, hat ein Film wie Hallelujah gute Chancen, Mißfallen zu erregen oder aber wegen eines völlig nebensächlichen Aspekts, seines pittoresken Charakters, zu überzeugen.

In so einer verkommenen Zeit, wo Heilige nach dem Maß einer Gesellschaft von Industriellen, Geschäftsleuten und Bankiers geschnitzt werden und die Form »achtbarer« und schäbiger Figürchen im Stil Therèse de Lisieux' annehmen, ist ein solcher Film von Bedeutung, weil er uns daran erinnert, was wirkliche Mystik ist; eine, die nichts mit Religion und dem widerwärtigen Getue weißer christlicher Kirchen zu tun hat, sondern sich in allem wiederfindet: in der Erotik, im Alkohol, im Skandal, in jeder Form von Abenteuer - ebensogut in einem hysterischen Anfall wie in sinnlichem Vergehen und heiliger Ekstase. - Michel Leiris, Leidenschaften. Frankfurt am Main 1992 (Fischer-Tb. 10560)

 

Kino Kritik

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme