Kinogängerin  Das weiß ich noch: daß es wie aus Eimern goß und ich dieses Kino betrat, weil mir nicht einfiel, wo ich sonst hätte hingehen sollen. Es war Sonntag abend, gerade zehn Uhr vorbei, und der Film hatte längst angefangen. Ich setzte mich in die letzte Reihe und zog mir als erstes meine verdreckten Schuhe aus. Gezeigt wurde ein Liebesfilm, in dem eine blonde Frau mit zwei Riesentitten mitspielte und ein Kerl, der auf dem Kopf einen Federhut trug und an der Brust einen Haufen Orden. Typ Märchenprinz oder so. Nach kurzer Zeit schlief ich wie ein Stein, und als mich der Platzanweiser aufweckte, waren schon fast alle Leute gegangen. Die Lichter waren längst wieder an, er aber fuchtelte mir mit einer Taschenlampe unter der Nase herum und fragte mich, ob das hier vielleicht ein Hotel sei. Ich sagte, ich wisse schon, daß das hier kein Hotel sei, aber draußen regne es und ich hätte einfach keine Idee, wo ich heute nacht hingehen könne.

Ich erzählte ihm alles ganz genau, und schaute ihm fest in die Augen. Daraufhin gaffte mir der Kerl in den Ausschnitt und was er da sah, gefiel ihm anscheinend, denn für einen Moment hörte er auf, mit der Lampe zu wackeln. Er sah ziemlich mickrig aus, sein winziger Schnurrbart wirkte eher wie eine Ansammlung von Sommersprossen, und um seine schon stark fortgeschrittene Glatze zu verbergen, hatte er sich die paar Haare auf seinem Hinterkopf nach vorne gekämmt. Als er sich an meinen Titten sattgesehen hatte, leuchtete er mir ins Gesicht und fragte, wer mir das blaue Auge verpaßt hätte.

»Mein Mann«, antwortete ich.

In Wirklichkeit war es der Typ gewesen, mit dem ich zusammenlebte und von dem ich mich ab und zu durchprügeln ließ, aber nur, damit er ein bißchen in die Gänge kam.   - Javier Tomeo, Das Verbrechen im Orientkino. Berlin 1996

 

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