Kinematik  Eine MASCHINE zur Erforschung der ZEIT zu entwerfen, ist nicht viel mühsamer, als den RAUM zu erforschen, ob man nun die ZEIT als die vierte Dimension des RAUMES betrachtet oder sie ihres Inhalts wegen als einen wesentlich unterschiedlichen Ort ansieht.

Gewöhnlich definiert man die ZEIT: als den Ort der Ereignisse, wie der RAUM der Ort der Körper ist. Oder einfacher: als deren Abfolge, während der RAUM die Gleichzeitigkeit ist, gleichgültig, ob es sich um den euklidischen, also den dreidimensionalen Raum handelt oder um den aus der Überschneidung mehrerer dreidimensionaler Räume entstandenen vierdimensionalen; oder um die Riemannschen Räume, bei denen die Sphären umklappbar sind, da der Kreis auf der Kugel gleichen Durchmessers geodätische Linie ist; oder um die Lobatschewskischen Räume, bei denen die Ebene nicht umklappbar ist; oder um jeden nichteuklidischen Raum, daran erkennbar, dass man in ihm nicht, wie in jenem, zwei gleiche Figuren konstruieren kann. Jeder gleichzeitige Teil der ZEIT hat Ausdehnung und ist infolgedessen mit Hilfe von Maschinen zur Erforschung des RAUMS erforschbar. Die Gegenwart ist AUSDEHNUNG in drei Richtungen. Begibt man sich an einen beliebigen Punkt der Vergangenheit oder der Zukunft, so wird dieser Punkt im Augenblick des Aufenthalts gegenwärtig und in drei Richtungen ausgedehnt sein. Umgekehrt hat der RAUM oder die GEGENWART die drei Dimensionen der ZEIT: den durchlaufenen oder vergangenen Raum, den kommenden Raum und die eigentliche Gegenwart. RAUM und ZEIT sind messbar; die Erforschung des RAUMS durch die Kenntnis seiner Punkte kann nur nach der Länge der ZEIT erfolgen, und um die ZEIT quantitativ zu messen, führt man sie auf den RAUM der Zifferblätter von Chronometern zurück. RAUM und ZEIT können auf grund ihrer gleichen Beschaffenheit als unterschiedliche physikalische Zustände einer gleichen Materie oder als verschiedene Arten von Bewegung betrachtet werden. Selbst wenn wir sie nur als Denkformen auffassen, sehen wir den RAUM als einen festen Körper und als strenges System von Phänomenen; während es in der Poesie banal geworden ist, die ZEIT mit einer sich in gleichförmiger, gradliniger Bewegung befindlichen Flüssigkeit zu vergleichen, die aus beweglichen Molekülen besteht, deren geringste Beweglichkeit oder Trägheit im Grunde nichts anderes ist als das Bewusstsein. Da der RAUM um uns bewegungslos ist, bewegen wir uns, um ihn zu erforschen, im Vehikel der DAUER. In der Kinematik spielt sie die Rolle einer beliebigen unabhängigen Variablen, als deren Funktion sich die Koordinaten der betrachteten Punkte ergeben. Die Kinematik ist eine Geometrie. Die Phänomene haben in ihr kein Vorher und kein Nachher, und die Tatsache, dass wir diese Unterscheidung treffen, beweist, dass wir mit ihnen davongetragen werden.

Wir bewegen uns in der Richtung der ZEIT und mit der gleichen Geschwindigkeit, denn wir sind selbst Teil der Gegenwart. Wenn wir im absoluten Raum bewegungslos verharren könnten, während des Ablaufs der Zeit, d. h. uns plötzlich in eine MASCHiNE einschlössen, die uns von der ZEIT isolierte, (abgesehen der geringen normalen Geschwindigkeit der DAUER, in der wir auf grund der Trägheit verharren werden), es würden alle zukünftigen oder vergangenen Augenblicke (wir werden später feststellen, dass die VERGANGENHEIT von der Maschine aus gesehen jenseits der ZUKUNFT liegt) nacheinander erforscht werden, so wie der sitzende Betrachter eines Panoramas die Illusion einer schnellen Reise durch rasch aufeinanderfolgende Landschaften hat.   - (faust)

 

Wissenschaft Bewegung

 

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