indergarten Sie
bekennt sie sich zu dem Satz, daß »ein Rußki aufm Bauch« nicht so schlimm sei
wie »ein Ami aufm Kopf«. Sie kann darüber mitreden; sie ist, wie sie sagt, durch
einen Volltreffer mit anderen Hausbewohnern im Keller verschüttet worden. Es
gab Verletzte und eine Tote. Erst nach zwei Stunden kamen Helfer und gruben
die Verschütteten aus. Die Erzählerin geriet in allergrößte Erregung, als sie
auf die Tote zu sprechen kam, eine alte Frau. »Die hat an der Wand gesessen,
genau vor einem Spiegel.« Den Spiegel hatten die Erbauer
so niedrig angebracht, weil der Keller ursprünglich für die Kleinen des Kindergartens
gedacht war, der sich in einer Baracke nebenan befand. Als dann aber alle Kinder
aus Berlin evakuiert wurden, war der Kindergarten geschlossen und der Keller
für die Hausbewohner freigegeben worden. »Und nun hat die alte Frau den Spiegel
in tausend Splittern in den Rücken und den Hinterkopf gekriegt. Ganz still ist
sie daran verblutet, ohne daß es im Dunkel und in der Aufregung einer gemerkt
hat.« Die Erzählerin fuchtelte empört mit ihrem Suppenlöffel in der Luft herum:
»Spiegel! Dolles Ding!« - Anonyma, Eine Frau in Berlin. Tagebuch-Aufzeichnungen
vom 20. April bis 22. Juni 1945. Berlin 2005 (zuerst 1954)
Kindergarten (2) Sarahs <Kindergarten> nahm die oberste Etage eines altmodischen Ziegelhauses ein, das bessere Tage gesehen hatte. In dem Stockwerk darunter lebte ein puertoricanischer Clan, der aus so vielen Familien bestand, daß die Apartments sie gar nicht alle aufnehmen konnten. Deshalb wurde dort im Essen, Schlafen, Kochen und Lieben abgewechselt, und alle, die gerade nicht an der Reihe waren, blieben draußen auf der Straße, bis die im Haus mit ihren jeweiligen Verrichtungen fertig waren. Radios plärrten Tag und Nacht mit höchster Lautstärke. Zusammen mit den naturgegebenen akustischen Folgen des spanischen Temperaments, dem Lachen und Streiten, übertönte dieser Höllenlärm jedes Geräusch, das von oben kommen mochte. Wie die Familien weiter unten im Haus das aushielten, danach fragte niemand.
Grave Digger und Coffin Ed parkten weiter unten an der Straße und kamen zu Fuß zurück. Niemand gönnte ihnen einen zweiten Blick. Sie waren Männer, und das war alles, was Sarah interessierte - Männer: weiße, schwarze, gelbe, braune, anständige, kriminelle, dumme. Sarah erklärte, nur Frauen kämen ihr nicht ins Haus; sie unterhalte kein Lokal für Wachteln. Alle Welt wußte, daß sie ein Spitzel war, aber sie bespitzelte auch die Polizei.
Das erste, was den Detektiven entgegenschlug, als sie unten in den schlechtbeleuchteten Hausflur traten, war der Gestank. Als nächstes nahmen sie die Bemalung der Wände wahr.
«Kein Wunder, daß sie so viele Babies machen. Das ist alles, woran sie denken», schloß Coffin Ed daraus.
Schweigend stiegen sie die Treppe hinauf. Der Gestank ließ nach, während
sie die sechs Etagen emporstiegen. Die Wände waren weniger dicht tätowiert.
Die Etage mit dem Bordell war sauber. -
Chester Himes, Schwarzes Geld für weiße Gauner. Reinbek bei Hamburg 1967
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