Kind, weinendes »Ich habe Euch viel schlimmere Dinge als jene gesagt, genug, um zehntausend Männer zum Tode zu verurteilen.« Wie kann einer mehr Stolz oder mehr Demut zeigen? Wiederholt weint Sire de Rais vor Reue; was er nicht kann, ist, nicht mehr ungeheuerlich sein: wir sehen ein Ungeheuer weinen, und die Reue die es bekennt, ist die eines Ungeheuers. Man darf sich darin nicht täuschen. Gemeinhin läßt man sich von seiner Frömmigkeit in den letzten Tagen erweichen. Aber andere vom Schreiber aufgezeichnete Worte wirken störend. Gilles richtete sie am Ende einer Gegenüberstellung an François Prelati seinen jungen Magier aus Florenz. Es muß hier von vornherein gesagt werden, was es mit diesem Prelati auf sich hatte: er war ein abgefeimter Komödiant, gebildet, aber ein Spitzbube; zweifellos verführte er seinen Herrn (allem Anschein nach war er selbst homosexuell), und sicher bereicherte er sich an ihm. Bis ans Ende mißbrauchte er seine Naivität; einmal täuschte er mit Gebrüll vor, vom Teufel mit Stockhieben gezüchtigt worden zu sein; verwundet kam er heraus. Aber als der Angeklagte ihn vor sich hatte, sagte er vor den Richtern als Zeugen in dem Moment, als Prelati den Saal verließ, schluchzend zu ihm:

»Adieu, François, mein Freund! Niemals werden wir uns wiedersehen in dieser Welt. Ich bete zu Gott, er möge Euch Geduld und Erkenntnis und Hoffnung auf Gott geben, den wir in der Seligkeit des Paradieses sehen werden; bittet Gott für mich, und ich werde für Euch beten!«

Wenige menschliche Wesen haben Spuren von sich hinterlassen, die es noch nach fünf Jahrhunderten ermöglichen, sie so sprechen, so weinen zu lassen! Derartige Szenen sind nicht das Werk eines Autors. Sie haben stattgefunden: wir haben sie gewissermaßen in Kurzschrift. Doch es kann uns nicht erstaunen, in Ungewißheit gelassen zu werden: Das Tragische dieser Abschiedsworte mildert ihren höhnischen Anstrich nicht. Und wenn wir nach der Kohärenz dieser Geschichte, dieser Person und der ganzen Angelegenheit suchen, ahnen wir etwas Grundlegendes: dieses Monstrum, das dennoch das Monstrum der Legende, der Blaubart jener Landstriche ist, in denen die Trümmer der feudalen Mauern und Türme bei Nacht Entsetzen verbreiten, dieses Monstrum tritt vor uns hin wie ein Kind.

Wir können die Monstrosität der Kindheit nicht leugnen. Wie oft wären Kinder, wenn sie könnten, Gilles de Rais! Stellen wir uns die praktisch unbeschränkte Macht vor, über die er verfügte.   - Georges Bataille, Gilles de Rais. Frankfurt/Main, Berlin, Wien 1975 (zuerst 1965)

 

Kind Weinen

 

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