Kind, schwächliches    Es gab Zeiten, wo sie immer noch glaubte, das Kind sei mit umgekommen, obwohl sie es in ihren Armen hielt und leise Lieder über ihm summte.

Popeye hätte durchaus auch tot sein können. Erst mit fünf Jahren zeigten sich die ersten Haare auf seinem Kopf, und um diese Zeit war er bereits eine Art externer Anstaltsinsasse: ein unterentwickeltes, schwaches Kind mit einem Magen, der so zart war, daß schon die leiseste Abweichung von der strengen Diät, die der Arzt ihm verordnet hatte, ihn in Krämpfe fallen ließ. »Alkohol würde ihn umbringen wie Strychnin«, sagte der Arzt. »Und ein Mann wird er nie werden, im eigentlichen Sinne. Bei sorgsamer Pflege und Vorsicht wird er noch einige Zeit leben. Aber er wird nie älter sein, als er jetzt ist.« Er sagte das zu der Dame, die Popeye in ihrem Wagen gefunden hatte, an dem Tag, wo seine Großmutter das Haus niederbrannte, und auf deren Veranlassung hin Popeye in ärztliche Behandlung gekommen war. Sie holte ihn an Nachmittagen und in den Ferien manchmal in ihr Haus, wo er dann allein vor sich hinspielte. Sie beschloß, eine Kinderparty für ihn zu geben. Sie erzählte ihm davon, kaufte ihm einen neuen Anzug. Als der Nachmittag kam und die Gäste langsam eintrafen, war Popeye nirgends zu finden. Schließlich stellte ein Dienstmädchen fest, daß eine Badezimmertür verschlossen war. Sie riefen das Kind, bekamen aber keine Antwort. Sie schickten nach einem Schlosser, doch in der Zwischenzeit hatte die Frau in ihrer Angst die Tür bereits mit der Axt aufbrechen lassen. Das Badezimmer war leer. Das Fenster stand offen. Es ging auf ein niedriges Dach, von dem ein Regenrohr zum Boden niederführte. Aber Popeye war fort. Auf den Fliesen lag ein Korbkäfig, in dem zwei Sperlingspapageien gehalten wurden; daneben lagen die Vögel selbst und die blutige Schere, mit der er sie lebendig zerschnitten hatte.

Drei Monate später wurde Popeye auf Veranlassung eines Nachbarn seiner Mutter verhaftet und in ein Heim für schwererziehbare Kinder gebracht. Er hatte in derselben Weise ein kleines Kätzchen zerschnitten.  - William Faulkner, Die Freistatt. Zürich 1981 (zuerst 1931)

Kind Schwäche

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