iefer Die
Kiefer (so bin ich versucht zu sagen) ist die Elementaridee des Baumes.
Sie ist ein I, ein Stiel, und das übrige tut wenig zur
Sache. Daher kommt es, daß sie — durch ihr unumgängliches Horizontalwachstum
— so viel Totholz hervorbringt. Das heißt: alles, was zählt, ist der Stiel,
ganz geradeaus, schlank, kindlich und von solch kindlichem Elan nicht abgehend;
ohne Gewissen, ohne Abstriche, reuelos. (In einem Elan
ohne Reue, ganz simpel und geradeaus.)
-
Francis Ponge, Das Notizbuch vom Kiefernwald und La Mounine. Frankfurt am Main
1982 (zuerst 1952)
Kiefer (2)
Kiefer (3)
Es läßt sich noch einiges über die Kiefer hinzufügen zu den bemerkenswerten
und durchdringenden Aufzeichnungen aus dem Kiefernwald von Francis Ponge
(er wird immer bleiben). Die lebenswichtige Beziehung, die sie zu dem sandigen
Boden unterhält, den sie flicht, verfilzt, sterilisiert und jätet, damit vom
Hals an nichts verloren geht, über die exotische und japanische Anmut,
die die launische Gewundenheit des Stamms manchmal besitzt. Wie sie die nahtlos
rund um sie gestreuten Nadeln nutzt: wie einen Spiegel, der nicht ihr Bild
wiederspiegelt und weiterleitet, sondern ihre Wärme und ihren gerösteten Duft.
Der von ihr gestriegelte und gepanzerte Boden ist für ihre harzhältige und duftende
Spezies das, was für eine Wasserpflanze der Wasserspiegel ist, der ihre Vertikalität
steigert. Stellen wir uns, als Beweis a contrario, eine Kiefer inmitten eines
Brachfeldes vor - die rituelle, sterilisierte, glatte und trockene kleine Lichtung,
die sie um sich ausrollt, ist aufgewühlt — und sie streckt sich nackt zur Sonne
wie ein Moslem ohne seinen Gebetsteppich. - (
grac2
)
Kiefer (4) Plötzlich war alles in
das milchige Licht der Unterwelt getaucht. Ein Scheinwerfer
hinter mir suchte flach über dem Erdboden. Ich wandte mich erschrocken um, und
da sah ich, daß selbst die Natur im Haß gegen sich selbst aufgestanden war.
Zwei stammlose Kiefern hatten den friedlichen Bann ihres Daseins durchbrochen
und sich in schwarze Wölfe verwandelt, die gierig nach der blutenden Mondsichel
sprangen, die vor ihnen aufging. Die Augen leuchteten weiß und Geifer troff
ihnen aus den gefletschten Mäulern. - Hans Erich Nossack, Der Untergang.
Frankfurt am Main 1987 (entst. 1943)
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