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blum3
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Kennen (2) Keinem werden
wir, und Keiner uns, ganz angehören: dazu ist weder Verwandschaft,
noch Freundschaft, noch die dringendeste Verbindlichkeit
hinreichend. Denn sein ganzes Zutrauen, oder seine Neigung schenken, sind zwei
weit verschiedene Dinge. Auch die engste Verbindung läßt immer noch Ausnahmen
zu, ohne daß deshalb die Gesetze der Freundschaft verletzt wären. Immer behält
sich der Freund irgend ein Geheimniß vor, und in irgend etwas verbirgt sogar
der Sohn sich vor dem Vater. Gewisse Dinge verhehlt man dem Einen und theilt
sie dem Ändern mit, und wieder umgekehrt: wodurch man dahin gelangt, daß man
Alles mittheilt und Alles zurückbehält, nur stets mit Unterschied der entsprechenden
Personen. - (
ora
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Gewiß konnte jemand, der sie überhaupt nicht kannte, ihr nicht nachsagen,
daß sie es darauf anlege, gefällig zu wirken. Anders als Miß Jevons benützte
sie weder Parfüm noch Puder, und ihren Lippen war der Lippenstift unbekannt.
Sie hatte eine etwas wulstige Stirn, was sie bei ihrer Frisur hart enthüllte.
Ihre Ohren waren weiß und klein, doch sie verbarg sie. Es war offenschtlich,
daß Miß Waterhouse sich nicht darum kümmerte, wie sie aussah und doch sah sie
immer attraktiv aus. Ihr breiter Mund lächelte auf eine langsame, ja fast bedächtige
Weise, aber mit Charme. Ihre großen graublauen Augen blickten zumindest intelligent
drein. Sie war ein hervorragender Zuhörer, und sie hatte die bewundernswerte
Fähigkeit, für sich zu behalten, was sie dachte. Von allen weiblichen Mitgliedern
der Lehrerschaft war sie das zurückhaltendste und
interessanteste. Sie galt als Waise und als jemand der völlig auf seine eigenen
Fähigkeiten angewiesen war. Niemand wußte allerdings, was dies für Fähigkeiten
waren.- Anthony Berkeley, Der Kellermord. München
1979 (zuerst 1932)
Das ist eine schöne Maxime. Aber: »Dein Material ist dein Leben«, das ist doppelsinnig
»Dein Leben ist dein Material« - hier ist die zweite Bedeutung fast unkenntlich, sie rührt nur aus der Erinnerung an die erste Fassung des Satzes her
»Dein Leben kennst du am besten« - das ist auch mehrsinnig, je nach der Betonung. Sagt man: »Dein Leben kennst du am besten«, so ist das falsch. Wenn ich all die Menschen versammelte, die Erinnerungen an mich haben, so würden diese Erinnerungen mein Wissen von mir um das Vielfache übertreffen. Meine ersten Lebensjahre existieren nur in der Erinnerung Anderer, und noch von meiner Schulzeit könnten meine Verwandten, Lehrer, Mitschüler, Nachbarn ein umfassenderes und genaueres Bild entwerfen als ich. Und wieviel Verdrängtes, Vergessenes, mir nie Bewußt-Gewordenes mag im Bewußtsein Anderer existieren
»Dein Leben kennst du am besten«— stimmt das wirklich? Man könnte sich Fälle vorstellen — und ich kenne auch welche-, die anders liegen. Schließlich: »Dein Leben kennst du am besten« — das ist wieder falsch. Das eigene Leben kennt man von all dem Seinen am wenigsten; sein Arbeitszimmer, seinen Pudel, seinen Schrebergarten kennt man viel besser
Könnte es sein, daß ein Satz unter den verschiedenen Aspekten seiner Hauptbetonung in jedem Fall falsch, insgesamt, in der Gesamtansicht aller Aspekte, aber richtig ist? Dann gehörte zum Begriff des Aussagesatzes der Begriff des Optimums: Unter Berücksichtigung aller Aspekte die optimale Genauigkeit
Könnte man sagen: Optimale Eindeutigkeit? Und ist »eindeutig« ein eindeutiger Begriff? Und »eineindeutig«
Was ist das: »dein Leben«? Ein unreflektierter amorpher Moment des Jetzt, und Erinnerungen. Müßte man da nicht sagen: »Dein Leben ist das, woran du dich erinnern kannst«? Aber die Säuglingszeit gehört doch auch zu diesem »dein Leben«, und an die erinnert man sich nicht, während hinwieder Pater Kornelius Barycs, an den ich mich erinnern konnte, nicht mein Leben ist
Kann man sagen: »Dein Leben ist die Summe deiner Erinnerungen«? Zweifellos nicht; »dein Leben« ist mehr. Aber das Leben, worüber man verfügt, das einem Besitz ist, das einem das Handeln in der Gegenwart und das Denken in die Zukunft erlaubt, das ist doch die Summe der Erinnerungen
Ist die Summe der Erinnerungen gleich der Summe der Erfahrungen? Kann man sagen: »Je größer die Summe der Erinnerungen, um so größer die Aktionsfähigkeit«? Wohl doch. Aber gibt es nicht auch ein Vergessen als Stärkung, als Heilprozeß, als conditio sine qua non des Weiterlebens? Ja, aber zuerst ein Bewältigen
Sich-Erinnern, um vergessen zu können. Die Vergangenheit, an die ich mich erinnern kann, habe ich bewältigt, sie ist dadurch Erfahrung geworden; die andere Vergangenheit ist mir entfremdet und kann mich überwältigen (immer wieder: das unheimliche Haus
»Die Vergangenheit, an die ich mich erinnern kann«- dies »kann« ist dreideutig: »können« im Sinn von »vermögen«; »können« im Sinn von »dürfen«; schließlich »können« in einem unbelasteten Sinn, ohne Fortsetzung eines »ohne zu« ... (erröten, erkranken, stocken, erbleichen usw.)
»Ich vergesse das, was ich gelebt habe!« - »Vergiß das, was ich gelebt habe!«
Diese Art von Satzwandlung ist verblüffend; es steckt ein merkwürdig gebrochenes
Wunschdenken darin - Franz Fühmann, Drei Tage von zweiundzwanzig:
Budapest. In: F. F., Den Katzenartigen wollten wir verbrennen. München 1988
(zuerst 1973)
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