Kelch   Sie näherten sich einer jener schlanken Formen, die sie in der Dämmerung für Bäume gehalten hatten, und verlangsamten den Schritt. Ein senkrechter Stamm ragte aus dem bräunlichen Boden, grau wie Elefantenleder, mit schwachem metallischem Glanz. Dieser Stamm, am Ansatz kaum dicker als ein Männerarm, ging oben in eine kelchartige Erweiterung über, die sich etwa zwei Meter über dem Boden flach ausbreitete. Ob der Kelch offen war, konnten sie nicht sehen. Er blieb völlig unbeweglich. Sie hielten wenige Meter vor einem solchen Gebilde. Der Ingenieur trat impulsiv vor und hob bereits die Hand, um den »Stamm« zu berühren, da schrie der Doktor: »Halt!« Der Ingenieur wich erschrocken zurück. Der Doktor zog ihn am Arm weg, hob einen Stein auf, nicht größer als eine Bohne, und warf ihn hoch. Der Stein fiel in steilem Bogen auf die leicht gewellte flache Kelchoberfläche. Alle zuckten'zusammen, so heftig und so unerwartet war die Reaktion. Der Kelch wogte, faltete sich blitzartig, ein kurzes Zischen war zu hören, als strömte Gas aus, und die ganze, nun fieberhaft zitternde graue Säule versank im Erdboden, als würde sie hineingesaugt. Die Öffnung, die sich im Boden gebildet hatte, füllte sich für einen Augenblick mit einer bräunlichen, schäumenden Schmiere, dann schwammen Sandkrümel auf der Oberfläche, die Haut wurde immer dicker, und nach ein paar Sekunden war von der Öffnung nicht die geringste Spur geblieben; die Oberfläche des sandigen Bodens war glatt wie überall ringsum. Die Männer hatten sich noch nicht von ihrem Staunen erholt, als der Chemiker rief: »Schaut nur!« Sie sahen sich um. Vor einer Weile noch hatten in einer Entfernung von einigen Dutzend Metern drei oder vier ähnliche hohe, schlanke Gebilde gestanden, nun war kein einziges mehr da.  - Stanislaw Lem, Eden. München 1974  (dtv 843)
 
 

Gefäß Blüte Trinken

 

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