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Direkt vor meiner Nase sah ich ein Gesicht. Manchmal besitzt der Schlaf die heimtückische Eigenschaft, daß man glaubt, man sei aufgewacht, obgleich in Wirklichkeit das Gaukelspiel des Träumens weiterläuft. Daran glaubte ich auch jetzt. Denn das, was ich erblickte, gehörte weder in meine Erfahrungswelt noch zu Welten, in denen ich irgendwelche Erfahrungen sammeln wollte. Man hat mir oft vorgeworfen, daß ich Leute mit schillernden Figuren aus der Populärkultur, vornehmlich aus der Filmkunst, vergleiche, und so das Objekt der Beschreibung für den Außenstehenden effekthascherisch, das heißt letztlich falsch reflektiere. Nun, ich gelobe Besserung - aber ein letztes Gleichnis der hollywoodschen Art sei mir noch gestattet, da es den Nagel diesmal wahrhaftig auf den Kopf trifft. Das Gesicht der zu mir bis auf dreißig Zentimeter Entfernung hinuntergeneigten Frau war eine richtiggehende Kopie der Schauspielerin Joan Crawford. So wie bei der Diva bestanden ihre Augenbrauen aus wülstigen, kohlschwarzen Halbovalen, die maskenhaft und bedrohlich wirkend über den ins Uferlose getuschten Wimpern und tischtennisballgroßen Augäpfeln lasteten. Die ganze Miene mit der kantigen, offensichtlich einem Ingenieurbüro für Schwermaschinenbau entsprungenen Kinnlade konzentrierte sich auf die feuerwehrrot gefärbten Lippen. Diese waren mittels des Konturenstiftes beinahe um das Doppelte ihres Umfangs vergrößert worden, was ihr das Aussehen eines Düsenbombers verlieh, auf dessen Bug gelangweilte Soldaten ein furchteinflößendes Haifischmaul gepinselt hatten. Der einzige Unterschied zu dem Star war ihr stark angegrautes, allerdings wie beim Original durch Spraytornados in Betonfasson eingefaßtes Haar.
Sie schaute mich nicht an, sie funkelte mich an, und es kam mir so vor, als
schössen aus ihren eisgrauen Augen tausend Blitze in meine Richtung. Herablassend,
irgendwie angeekelt und abwägend, was sie wohl mit mir anstellen solle, beobachtete
sie meine ungläubigen Reaktionen wie der Gepard das zwischen den Felsen eingekeilte
Antilopenkalb. Langsam dämmerte es mir, daß diese groteske Fremde, die problemlos
eine nach Vergeltung kreischende Göttin
aus einer antiken Oper hätte abgeben können, blanke Realität war. Und mit der
Gewißheit eines Propheten
wußte ich auf einmal, daß sie auch meine künftige Realität von Grund auf verändern
würde. Die guten alten Tage waren vorbei. - Akif Pirinçci,
Francis. München 1996 (zuerst 1993)
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Marcel Jouhandeau, Das Leben und Sterben eines Hahns. Tiergeschichten. Stuttgart
1984 (zuerst 1947 u.ö.)
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Wanda Wulz
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