artoffelnase  Es gibt zum Beispiel Kartoffelnasen, und es gibt griechische Nasen. Unter den Kartoffelnasen gibt es natürliche, das heißt wilde Kartoffelnasen, und es gibt künstliche, das heißt zivilisierte Kartoffelnasen. Bei den griechischen Nasen ist es nicht anders. Es gibt natürliche, das heißt wilde griechische Nasen, und es gibt künstliche, das heißt zivilisierte griechische Nasen. Aber dabei bleibt es ja nicht. Der Mensch in seinem Drange möchte es nicht bei Kartoffelnasen und nicht bei griechischen Nasen bewenden lassen.

Auf Grund des Vervollkommnungsdrangs und des Reduktionsstrebens gibt es nun wilde Kartoffelnasen mit dem Drang zur wilden griechischen, und es gibt wilde griechische Nasen mit dem Streben zur wilden Kartoffelnase, wie es umgekehrt zivilisierte Kartoffelnasen mit dem Drang zur zivilisierten griechischen Nase und zivilisierte griechische Nasen mit dem Streben zur zivilisierten Kartoffelnase gibt. Doch auch die wilde Kartoffelnase hat einen Hang zur zivilisierten griechischen, und die zivilisierte griechische hat eine Schwäche für die wilde Kartoffelnase, nicht zu vergessen der Hang der zivilisierten Kartoffelnase zur wilden griechischen und die Schwäche der wilden griechischen zur zivilisierten Kartoffelnase.

Aber es gibt keinen größeren Unterschied als den zwischen einer wilden Kartoffelnase und einer zivilisierten griechischen Nase, und dieser Unterschied ist so auffallend und deshalb auch so schwerwiegend, daß nur er allein zur Ursache des ganzen Elends der Ungleichheit wurde. Denn die Menschen haben diese Unterscheidungsmerkmale zum Gegenstand ihrer geheimen Beachtung, und die menschlichen Gesellschaften haben sie dann zum Gegenstand ihrer öffentlichen Achtung gemacht. Schließlich wurde unter den wilden Kartoffelnasen die wildeste, und unter den zivilisierten griechischen die zivilisierteste zuerst am meisten beachtet und dann am höchsten geschätzt.

Das aber war der erste Schritt zur Ungleichheit und damit gleichzeitig zum Laster. Aus diesen ersten Bevorzugungen gingen einerseits Eitelkeit und Verachtung, andererseits Scham und Neid hervor. Jedermann wollte die wildeste Kartoffel- oder die zivilisierteste griechische Nase besitzen. Wo aber Besitz ist, da ist auch Nichtbesitz. Niemand kann zugleich eine griechische und eine Kartoffelnase besitzen. Entweder besitzt er eine griechische Nase, dann ist er im Nichtbesitz einer Kartoffel-, oder er besitzt eine Kartoffelnase, dann ist er im Nichtbesitz einer griechischen Nase. Wo Besitz und Nichtbesitz herrschen, da herrscht die Ungleichheit.  - Ludwig Harig, Rousseau. Der Roman vom Ursprung der Natur im Kopf. München 1981 (zuerst 1978)

Kartoffelnase (2)  Sie ist die natürliche Tochter des Fürsten Konstantin und einer Jüdin. Ihre Mutter war sehr schön; als sie von den Pocken entstellt worden war, ließ sie alle Spiegel im Haus verhängen, um sich nicht mehr zu sehen. Die Kleine wuchs ohne Spiegel auf. Man sagte ihr, sie habe eine Kartoffelnase: das quälte sie sehr, sie wußte nicht, was es sein könnte. Um den Verdacht fürstlichen Blutes in ihren Adern zu untertreiben, verheiratete man sie sehr jung an einen französischen Schneider in Moskau. Von da ließ sie sich von Herz entführen, der ihr Klavierunterricht gab. Als 1848 Herz in Paris ruiniert ist, flüchtet er und läßt sie zurück. Sie wird schwer krank, lebt ohne einen Sou im vierten Stock des Hotel Valin, Rue des Champs-Elysées. Gautier erhält von ihr ein Billet, worin sie ihn um seinen Besuch bittet. Er geht hin. Sie sagt zu ihm: »Du siehst, wie es um mich steht. Es kann sein, daß ich nicht mehr hochkomme. Wenn es so ist, dann ist alles gesagt. Wenn ich mich aber erholen sollte, bin ich nicht die Frau, in Heimarbeit Pantoffel zu flechten: ich will zwei Schritte von hier das schönste Palais von Paris haben, verstehst du? Erinnere dich daran!« Sie erholte sich. Ihre Freundin Camille, die Modistin, beschafft ihr die Kriegsausrüstung, liefert ihr ein Arsenal an Unterwäsche und Toiletten für ihren großen Coup. Gautier trifft sie wieder, als sie dabei ist abzureisen; alles ist ausgebreitet, und sie probiert an, wie ein Soldat vor der Schlacht sein Gewehr ausprobiert. Sie sagt zu ihm: »Da man ja für nichts bürgen kann, kann ich meinen Coup auch verfehlen. Na ja, dann eben: Gute Nacht!« Und sie bittet ihn um ein Flacon mit Chloroform, um sich bei verfehlter Chance zu vergiften.  - (gon)

Kartoffelnase (3)   Geradezu durchtränkt von einem Gefühl der Seltsamkeit war dieser Raum. Sogar über der Architektur — der Decke, dem Fußboden —, über den wie zufällig verteilten Stühlen lag etwas Seltsames. Ich hatte eine sonderbare Empfindung — als ob sie, sobald ich sie nicht fest ansah, umtaumelten und sich bewegten und hinter meinem Rücken ein lautloses Blindekuhspiel trieben. Und die Wandbekleidung wies ein Schlangenmuster mit Larven auf, die bei weitem ausdrucksvoller waren, als es für Gip gut war.

Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit von einem der sonderbar aussehenden Gehilfen gefesselt. Er stand ein Stück weit von mir und wußte augenscheinlich nichts von meiner Gegenwart — ich erblickte so ungefähr drei Viertel seiner Länge durch einen Säulenbogen über einem Stapel von Spielsachen, er lehnte augenscheinlich an einem Pfeiler und schnitt die scheußlichsten Grimassen. Ganz besonders scheußlich war, was er mit seiner Nase trieb. Und er machte es so ganz einfach, als hätte er eben nichts anderes zu tun und amüsiere sich bloß ein bißchen. Zuerst war es eine ganz kurze Kartoffelnase; dann plötzlich schoß sie heraus wie ein Teleskop, schoß und schoß und wurde dünner und dünner, bis sie aussah wie eine lange, rote, biegsame Gerte. Wie ein Alpdrücken war es! Und er fuhr mit ihr herum und schwang sie, wie ein Angler seine Rute.   - Herbert George Wells, Der Zauberladen. In: H.G.W., Die Tür in der Mauer. Stuttgart 1983. Die Bibliothek von Babel Bd. 29, Hg. Jorge Luis Borges

 

Knollennase Kartoffelgesicht

 

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