arfunkel
Offenbar hat mich der
Gedanke an den Bergkristall auf dem Wappen bis in den Schlaf
verfolgt; jedenfalls entsinne ich mich nicht, jemals einen so
seltsamen Traum erlebt zu haben wie in jener Nacht.
Der Karfunkel schwebte
irgendwo hoch über mir in der Finsternis. Ein Strahl, der bleich von
ihm ausging, traf meine Stirn, und ich fühlte deutlich, daß
zwischen meinem Kopf und dem Stein auf diese Weise eine
bedeutsame Verbindung hergestellt war. Dieser Verbindung suchte
ich mich, da sie mich ängstigte, zu entziehen und wandte deshalb den
Kopf hierhin und dorthin zur Seite, aber es gelang mir nicht, dem
Lichtstrahl auszuweichen. Dafür machte ich bei den wiederholten
Wendungen und Drehungen des Kopfes eine mich befremdende Erfahrung:
es schien mir nämlich, als stünde der Strahl des Karfunkels
auch dann auf meiner Stirn, wenn ich das Gesicht nach unten in die
Kissen grub. Und deutlich fühlte ich, wie mein Hinterhaupt die
plastische Struktur eines neuen Vorderhauptes annahm: mir wuchs aus
der Scheitelgegend hervor ein zweites Gesicht. - Es
erschreckte mich nicht; war mir nur lästig, weil ich nun auf keine
Weise mehr dem Lichtstrahl zu entrinnen vermochte. Januskopf, sagte
ich zu mir, aber ich wußte im Traum, daß das lediglich eine
Bildungsreminiszenz aus dem Lateinunterricht war, und wollte
mich mit dieser Erkenntnis zufriedengeben; doch es ließ mir
keine Ruhe. Janus? - Unsinn, nicht: Janus! Aber was dann? - Mit
ärgerlicher Beharrlichkeit heftete sich mein Traumbewußtsein
an dieses »Was dann?« - Dabei wollte es mir nicht einfallen,
»wer ich war«. - Statt dessen geschah etwas anderes: der
Karfunkel senkte sich langsam, langsam aus der Höhe, in der er über
mir stand, herab und näherte sich meinem Scheitel. Und ich hatte das
Gefühl, als sei er etwas derart mir Fremdes, Urfremdes, daß ich es
in keiner Art hätte in Worte fassen können. Ein Gegenstand von
fernen Gestirnen wäre mir nicht fremder gewesen. - Ich weiß
nicht, warum ich jetzt, wenn ich mir den Traum überlege, an die
Taube denken muß, die bei der Taufe Jesu durch den Aszeten Johannes
vom Himmel herabgekommen ist.-----Je näher der Karfunkel rückte,
desto steiler fiel der Lichtstrahl auf mein Haupt, das heißt: auf
die Verbindungslinie beider Köpfe. Und allmählich empfand ich dort
ein eiskaltes Brennen. An diesem nicht einmal unangenehmen Gefühl
wachte ich auf. - Gustav Meyrink, Der Engel
vom westlichen Fenster. München 1984 (zuerst 1927)
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