Kap Hoorn  Von einem wütenden Westwind auf dem Achtersteven umgedreht, ist manches auf der Ausfahrt befindliche Schiff quer über den südlichen Ozean auf das Kap der Guten Hoffnung zugetrieben worden, um auf diesem Kurs eine Passage in den Pazifik zu finden. Und ich zweifle nicht, daß dieses stürmische Kap manches schöne Fahrzeug, ohne daß etwas davon verlautete, auf den Grund des Meeres geschickt hat. An diesem Ende der Welt gibt es keine Chroniken. Was bedeuten die zerbrochenen Spieren und Wanten, die Tag um Tag glücklicheren Schiffen vor den Bug getrieben werden, oder die in Eisberge eingeschlossenen hohen Masten, die man vorübersegeln sieht? Sie verweisen nur- auf die alte Geschichte von Schiffen, die aus ihren Häfen abgesegelt sind und von denen man nie wieder etwas gehört hat.

Unbezwingliches Kap! Man mag aus dieser oder jener Richtung draufzufahren - wie es einem gefällt ~, von Osten oder von Westen, den Wind von achtern, querab oder von vorn, Kap Hoorn bleibt Kap Hoorn! Kap Hoorn ist es, das dem Süßwassermatrosen den Hochmut austreibt und den Gesalzensten in noch salzigere Lake taucht.

Wehe dem Neuling! Den Tollkühnen beschirme der Himmel!

Euer Mittelmeerschiffer, der bisher mit einer Ladung Orangen lustige Reisen über den Atlantik gemacht hat, ohne auch nur ein Bramsegel zu bergen, erhält oft bei Kap Hoorn eine Lektion, die er sich bis zum Grabe merkt, obgleich das Grab - wie das allzu oft der Fall ist - so dicht auf die Lektion folgt, daß die Erfahrung keinen Nutzen mehr bringt.

Andere Fremdlinge, die, ihre Seele voll von Schiffbrüchen und Katastrophen, mit vorsorglich gerefften Marssegeln, alles sorgfältig gesichert, auf dieses patagonische Ende unseres Kontinents zulaufen, diese Fremdlinge finden zuerst unerwartet eine glatte See und schließen daraus voreilig, das Kap sei letzten Endes doch nur ein Kinderschreck; sie hätten sich durch Fabeln beeindrucken lassen, und alles, was hier von Scheitern und Untergang erzählt würde, seien nur unglaubwürdige Märchen.

„Reffbindsel los, ihr Süßen! Vorn und achtern Bramsegel setzen! Klar zum Setzen der Vortopp-Leesegel!"

Aber, Kapitän Voreilig, diese Segel wären viel sicherer auf dem Segelmachersboden. Denn nun, während das Schiff noch unbekümmert über die Wogen dahinfährt, erhebt sich aus der See eine schwarze Wolke, die Sonne fällt vom Himmel herab, und ein furchtbarer Nebel breitet sich weit und breit über das Wasser.

„An die Fallen! Losfieren! Aufgeien!"

Zu spät!

Denn noch ehe die Tauenden von den Belegnägeln gelöst werden können, bläst ihnen der Orkan tief in den Rachen. Die Masten werden zu Weidenruten, die Segel zu Fetzen, das Tauwerk zu Wolle zerrissen. Das ganze Schiff gärt in der Hefe des Sturmes.

Und jetzt, wenn Kapitän Voreilig von der ersten über ihn hereinbrechenden grünen See nicht über Bord geschwemmt wird, hat er fürwahr alle Hände voll zu tun. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind seine drei Masten bereits über Bord gegangen, und seine Segel flattern, zu Streifen zerrissen, in der Luft. Oder vielleicht ist das Schiff aufgeluvt oder in Lee gebracht. In jedem Fall steh der Himmel den Seeleuten, ihren Frauen und ihren Kleinen bei, und Gott helfe den Versicherungen!    - (weiss)

 

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