annibalenball   Einmal kam Pascin aus Paris (als Gast der Berliner Sezession, die seine Arbeiten am Kurfürstendamm ausstellte) und veranstaltete mit dem Kunsthändler F. einen «Kannibalenball». Das Plakat an den Litfaßsäulen zeigte einen zähnefletschenden Wilden in Tanzstellung, nur mit Frack und weißer Krawatte, die merkwürdigerweise weit nach unten gerutscht war, bekleidet. Eine geschickte Dekoration ließ die Festsäle so niedrig erscheinen, daß man sich in Zelten zu befinden glaubte. In der Mitte stand ein riesiger roter, mit Totenschädel und Knochen bemalter Pappkessel, in dem zu Anfang des Festes zwei halbnackte Maler «schmorten» und ihrer Pein dadurch Ausdruck verliehen, daß sie dauernd Weinflaschen an den Mund setzten und schreiend und gestikulierend um neuen Stoff baten, der ihnen dann auch von den amüsierten Gästen gereicht wurde...

Die Flammen unter dem Kessel waren natürlich keine echten Flammen, sondern flatternde, von unten beleuchtete Papierschlangen. Von einer Windmaschine bewegt, machten sie den Eindruck eines hellodernden Feuers. Dieses war das einzige Licht im Raum; die Illusion, in einer Lichtung im tiefsten Urwald zu sein, war vollkommen. Als die Windmaschine dann abgestellt wurde, sah man bis auf vereinzelte rote Tischlampchen hier und da in den Zelten nur noch Hunderte von Zigarren und Zigaretten glimmen, wie kleine Feuerfliegen aus Afrika. Es war ein Stück Urwald in Berlin W.

Ein Bekannter von mir hatte einen riesigen frischen, noch etwas blutigen und sehnigen Kalbsknochen mitgebracht, den er sich von seinem Schlächter hatte reservieren lassen. Ein unappetitliches Ding — aber er verteidigte es hartnäckig die ganze Nacht gegen andere Kannibalen; sogar beim Tanzen hielt er den Knochen fest unter den Arm geklemmt wie einen Fetisch. Gegen vier Uhr morgens wollten ein paar neidische Kumpane ihn selber schlachten und braten. Es kam zu einem fürchterlichen Tumult, der erst aufhörte, als jemand auf den Gedanken kam, die blutdurstige Schar vom Hofe aus mit Schneebällen zu bombardieren.

Im trüben Morgenlicht sah der Festsaal wirklich wie ein Kannibalentanzplatz aus. Ein paar der Zelte waren eingestürzt, und stellenweise sah man menschliche Gliedmaßen unter der herunterhängenden Zeltdecke. Der Pappkessel war im Laufe des Festes zertreten worden und lag nun in rötlichen Lache aus Wein und Leimfarbe, die einen ganz unheimlich kannibalischen Eindruck machte.

Später am Morgen wurden einige Festteilnehmer wegen Ruhestörung und Erregung öffentlichen Ärgernisses auf das nächste Polizeirevier gebracht. Mein Bekannter mit dem Kalbsknochen war darunter, sowie eine Dame der Gesellschaft, die nur in einen Pelzmantel gehüllt war und einen Ring in der Nase hatte. - George Grosz, Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst 1955

 

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