ammer  Törleß blieb unschlüssig am Bettende stehen. Basini sah ihn noch einmal mit einem fragenden, prüfenden Blicke an, dann stieg er vollends aus dem Bette, schlüpfte in Mantel und Hausschuhe und ging mit schlurfenden Schritten voran.

Törieß wurde es mit einem Schlage klar, daß dies nicht zum erstenmal geschehe.

Im Vorbeigehen nahm er die Schlüssel zur Kammer, die er unter seinem Kopfkissen versteckt hatte, mit. — — —

Basini schritt geradenwegs zur Bodenkammer voraus. Er schien mit dem Wege, den man ihm damals doch noch verheimlicht hatte, inzwischen genau bekannt geworden zu sein. Er hielt die Kiste fest, als Törieß daraufstieg, er räumte die Kulissen zur Seite, umsichtig, mit diskreten Bewegungen, wie ein geschulter Lakai.

Törleß sperrte auf, und sie traten ein. Er stand mit dem Rücken zu Basini und zündete die kleine Lampe an.

Als er sich umdrehte, stand Basini nackt vor ihm.

Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück. Der plötzliche Anblick dieses nackten, schneeweißen Körpers, hinter dem das Rot der Wände zu Blut wurde, blendete und bestürzte ihn. Basini war schön gebaut; an seinem Leibe fehlte fast jede Spur männlicher Formen, er war von einer keuschen, schlanken Magerkeit, wie der eines jungen Mädchens. Und Törleß fühlte das Bild dieser Nacktheit wie heiße, weiße Flammen in seinen Nerven auflodern. Er konnte sich der Macht dieser Schönheit nicht entziehen. Er hatte vorher nicht gewußt, was Schönheit sei. Denn was war ihm in seinem Alter Kunst, was kannte er schließlich davon?! Ist sie doch bis zu einem gewissen Alter jedem in freier Luft aufgewachsenen Menschen unverständlich und langweilig!

Hier aber war sie auf den Wegen der Sinnlichkeit zu ihm gekommen. Heimlich, überfallend. Ein betörender warmer Atem strömte aus der entblößten Haut, eine weiche, lüsterne Schmeichelei. Und doch war etwas daran, das zum Händefalten feierlich und bezwingend war.

Aber nach der ersten Überraschung schämte sich Törleß des einen wie des anderen. «Es ist doch ein Mann!» Der Gedanke empörte ihn, aber ihm war zumute, als ob ein Mädchen nicht anders sein könnte.  - Robert Musil, Die Verwirrungen des Zöglings Törleß. Reinbek bei Hamburg 1965 (zuerst 1906)

Kammer (2)  Oben führt eine schräge Rampe auf den engen Gang, in dem rechts hinten die Eingangstür zu dem Mordraum liegt. Es ist eine nur etwa 7 qm große Kammer. Der Fußboden wie die Wand zeigten sich bei der späteren Untersuchung mit Menschenblut durchtränkt. In der Kammer befindet sich linker Hand von der Eingangstür ein kleiner, aus dem Dache hervorgebaiiter Erker mit einem Fenster nach der Roten Reihe zu. Daneben fällt das schräge Dach zurück. In dem dadurch gebildeten Winkel an der der Tür gegenüberliegenden Wand stand ein Bort; neben diesem das blutdurchtränkte, seegrasgepolsterte Feldbett. An den Wänden rechts und links von der Tür standen kleine Tische. Ein Waschständer und zwei Stühle vervollständigten die Einrichtung. In der Tapete steckten Postkartenbüder unzüchtigen oder sentimentalen Geschmacks. An der Zimmerdecke, zwischen dem Tische rechts und dem Bette hatte Haarmann an Ketten einen Kochtopf aufgehängt, so daß er von unten erhitzt werden konnte. Ein Ofen ist nicht vorhanden.  - Theodor Lessing, Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs. Berlin 1925
 
 

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