ain Kain
kauerte in mühseliger Haltung am Boden. Er richtete sich auf. Seme Schönheit
ist übermenschlich, sein Blick traurig, seine Lippen sind blaß. Er ist nackt;
um seine sorgenvolle Stirn windet sich eine goldene Schlange wie ein Diadem...
der umherirrende Mensch wirkt noch immer todmüde:
»Schlaf und Tod seien mit dir, mein Sohn! Fleißiges und unterdrücktes Geschlecht, um meiner Schuld willen leidest du! Heva war meine Mutter. Eblis, der Engel des Lichts, hat in ihren Busen heimlich den Funken gelegt, der mich beseelt und der meine Sippe erneuert hat; Adam, aus Schlamm geknetet und Treuhänder einer gefangenen Seele, Adam hat mich genährt. Als Kind der Elohiim liebte ich dieses Geschöpf Adonais, und so habe ich die mir innewohnenden Gaben in den Dienst der unwissenden, schwachen Menschheit gestellt. Ich habe meinen Ziehvater auf seine alten Tage genährt und das Kind Habel gewiegt... das sie meinen Bruder nannten. Wehe! Wehe!
Bevor ich die Erde den Mord lehrte, hatte ich Undank, Ungerechtigkeit und
Enttäuschungen erlebt, die das Herz verbittern. Ich habe ohne Rast gearbeitet,
dem geizigen Boden unsere Nahrung abgerungen, zum Besten der Menschen den Pflug
erfunden, der die Erde zwingt, Früchte zu tragen, habe für sie im Überfluß jenes
Eden wiedererstehen lassen, das sie verloren, kurz, mein Leben war ein einziges
Opfer. Aber, o Gipfel der Ungerechtigkeit! Adam mochte mich nicht! Heva entsann
sich, daß sie wegen meiner Geburt aus dem Paradies vertrieben worden war, und
ihr durch Selbstsucht verschlossenes Herz schlug nur für ihren Habel. Er, hochmütig
und verhätschelt, hielt mich für jedermanns Diener: Adonai war mit ihm, was
bedurfte es da noch mehr? Während ich die Erde, auf der er sich König dünkte,
mit meinem Schweiß benetzte, weidete er faul und umschmeichelt, träge unter
Sykomoren dahindösend seine Herden. Ich beklagte mich, worauf unsere Eltern
Gott zum Schiedsrichter anriefen. Wir bringen unsere Opfergaben dar, aber die
meinige, Getreidebüschel, die ich zum Sprießen gebracht hatte, die Erstlinge
dieses Sommers - die meinige wird verächtlich abgelehnt... So hat dieser eifersüchtige
Gott stets das erfinderische und fruchtbare Genie zurückgestoßen und die Macht
samt dem Recht der Unterdrückung den niedrigen Geistern gegeben. Das übrige
weißt du selbst; was du jedoch nicht weißt, ist, daß Adonais Ablehnung mich
zur Unfruchtbarkeit verdammte und er unsere Schwester Aklinia, die mich liebte,
dem jungen Habel zur Frau gab. Daher rührt die Urfehde zwischen den aus dem
Element des Feuers hervorgegangenen Dschinns oder Kindern
der Elohim und den Söhnen Adonais, die aus Schlamm
gemacht sind.« - Gérard de Nerval, Reise in den Orient.
München 1986 (zuerst 1851)
Kain (2)
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