afka-Bestiarium Affe Ich stamme von der Goldküste. Darüber, wie ich eingefangen wurde, bin ich auf fremde Berichte angewiesen. Eine Jagdexpedition der Firma Hagenbeck - mit dem Führer habe ich übrigens seither schon manche gute Flasche Rotwein geleert - lag im Ufergebüsch auf dem Anstand, als ich am Abend inmitten eines Rudels zur Tränke lief. Man schoß; ich war der einzige, der getroffen wurde; ich bekam zwei Schüsse.
Einen in die Wange; der war leicht; hinterließ aber eine große ausrasierte rote Narbe, die mir den widerlichen, ganz und gar unzutreffenden, förmlich von einem Affen erfundenen Namen Rotpeter eingetragen hat, so als unterschiede ich mich von dem unlängst krepierten, hie und da bekannten, dressierten Affentier Peter nur durch den roten Fleck auf der Wange. Dies nebenbei. Der zweite Schuß traf mich unterhalb der Hüfte. Er war schwer, er hat es verschuldet, daß ich noch heute ein wenig hinke. Letzthin las ich in einem Aufsatz irgendeines der zehntausend Windhunde, die sich in den Zeitungen über mich auslassen: meine Affennatur sei noch nicht ganz unterdrückt; Beweis dessen sei, daß ich, wenn Besucher kommen, mit Vorliebe die Hosen ausziehe, um die Einlaufstelle jenes Schusses zu zeigen. Dem Kerl sollte jedes Fingerchen seiner schreibenden Hand einzeln weggeknallt werden. Ich, ich darf meine Hosen ausziehen, vor wem es mir beliebt; man wird dort nichts linden als einen wohlgepflegten Pelz und die Narbe nach einem - wählen wir hier zu einem bestimmten Zwecke ein bestimmtes Wort, das aber nicht mißverstanden werden wolle - die Narbe nach einem frevelhaften Schuß. Alles Hegt offen zutage; nichts ist zu verbergen ; kommt es auf Wahrheit an, wirft jeder Großgesinnte die al-lerfeinsten Manieren ab. Würde dagegen jener Schreiber die Hosen ausziehen, wenn Besuch kommt, so hätte dies allerdings ein anderes Ansehen und ich will es als Zeichen der Vernunft gelten lassen, daß er es nicht tut. Aber dann mag er mir auch mit seinem Zartsinn vom Halse bleiben!
Nach jenen Schüssen erwachte ich - und hier beginnt allmählich meine eigene Erinnerung- in einem Käfig im Zwischendeck des Ha-genbeckschen Dampfers. Es war kein vierwandiger Gitterkäfig; vielmehr waren nur drei Wände an einer Kiste festgemacht; die Kiste also bildete die vierte Wand. Das Ganze war zu niedrig zum Aufrechtstehen und zu schmal zum Niedersitzen. Ich hockte deshalb mit eingebogenen, ewig zitternden Knien, und zwar, da ich zunächst wahrscheinlich niemanden sehen und immer nur im Dunkel sein wollte, zur Kiste gewendet, während sich mir hinten die Gitterstäbe ins Fleisch einschnitten. Man hält eine solche Verwahrung wilder Tiere in der allerersten Zeit für vorteilhaft, und ich kann heute nach meiner Erfahrung nicht leugnen, daß dies im menschlichen Sinn tatsächlich der Fall ist.
Daran dachte ich aber damals nicht. Ich war zum erstenmal in meinern Leben ohne Ausweg; zumindest geradeaus ging es nicht; geradeaus vor mir war die Kiste, Brett fest an Brett gefügt. Zwar war zwischen den Brettern eine durchlaufende Lücke, die ich, als ich sie zuerst entdeckte, mit dem glückseligen Heulen des Unverstandes begrüßte, aber diese Lücke reichte bei weitem nicht einmal zum Durchstecken des Schwanzes aus und war mit aller Affenkraft nicht zu verbreitern.
Ich soll, wie man mir später sagte, ungewöhnlich wenig
Lärm gemacht haben, woraus man schloß, daß ich entweder bald eingehen
müsse oder daß ich, falls es mir gelingt, die erste kritische Zeit zu
überleben, sehr dressurfähig sein werde. - Franz Kafka, Ein Bericht für eine Akademie, nach
(kaf)
Bau-Bewohner Ich lebe im Innersten meines
Hauses in Frieden und inzwischen bohrt sich langsam und still der
Gegner von irgendwoher an mich heran. Ich will nicht sagen, daß er
besseren Spürsinn hat als ich; vielleicht weiß er ebensowenig von mir
wie ich von ihm. Aber es gibt leidenschaftliche Räuber, die blindlings
die Erde durchwühlen und bei der ungeheuren Ausdehnung meines Baues
haben selbst sie Hoffnung, irgendwo auf einen meiner Wege zu stoßen.
Freilich, ich habe den Vorteil, in meinem Haus zu sein, alle Wege und
Richtungen genau zu kennen. Der Räuber kann sehr leicht mein Opfer
werden und ein süß schmeckendes. Aber ich werde alt, es gibt viele, die
kräftiger sind als ich und meiner Gegner gibt es unzählige, es könnte
geschehen, daß ich vor einem Feinde fliehe und dem anderen in die Fänge
laufe. Ach, was könnte nicht alles geschehen! Jedenfalls aber muß ich
die Zuversicht haben, daß irgendwo vielleicht ein leicht erreichbarer,
völlig offener Ausgang ist, wo ich, um hinauszukommen, gar nicht mehr zu
arbeiten habe, so daß ich nicht etwa, während ich dort verzweifelt
grabe, sei es auch in leichter Aufschüttung, plötzlich - bewahre mich
der Himmel! - die Zähne des Verfolgers in meinen Schenkeln spüre. - Franz Kafka, Der Bau, nach
(kaf)
Baubewohner, feindlicher Es sind nicht nur die äußeren
Feinde, die mich bedrohen. Es gibt auch solche im Innern der Erde. Ich
habe sie noch nie gesehen, aber die Sagen erzählen von ihnen und ich
glaube fest an sie. Es sind Wesen der inneren Erde; nicht einmal die
Sage kann sie beschreiben. Selbst wer ihr Opfer geworden ist, hat sie
kaum gesehen; sie kommen, man hört das Kratzen ihrer Krallen knapp unter
sich in der Erde, die ihr Element ist, und schon ist man verloren. Hier
gilt auch nicht, daß man in seinem Haus ist, vielmehr ist man in ihrem
Haus. Vor ihnen rettet mich auch jener Ausweg nicht, wie er mich ja
wahrscheinlich überhaupt nicht rettet, sondern verdirbt, aber eine
Hoffnung ist er und ich kann ohne ihn nicht leben. Außer diesem großen
Weg verbinden mich mit der Außenwelt noch ganz enge, ziemlich
ungefährliche Wege, die mir gut atembare Luft verschaffen. Sie sind von
den Waldmäusen angelegt. Ich habe es verstanden, sie in meinen Bau
richtig einzubezie-hen. Sie bieten mir auch die Möglichkeit
weitreichender Witterung und geben mir so Schutz. Auch kommt durch sie
allerlei kleines Volk zu mir, das ich verzehre, so daß ich eine gewisse,
für einen bescheidenen Lebensunterhalt ausreichende Niederjagd haben
kann, ohne überhaupt meinen Bau zu verlassen; das ist natürlich sehr
wertvoll. - Franz Kafka, Der Bau, nach
(kaf)
Hund Wie sich mein Leben verändert hat und wie es sich doch nicht verändert hat im Grunde! Wenn ich jetzt zurückdenke und die Zeiten mir zurückrufe, da ich noch inmitten der Hundeschaft lebte, teilnahm an allem, was sie bekümmert, ein Hund unter Hunden, finde ich bei näherem Zusehen doch, daß hier seit jeher etwas nicht stimmte, eine kleine Bruchstelle vorhanden war, ein leichtes Unbehagen inmitten der ehrwürdigsten volklichen Veranstaltungen mich befiel, ja manchmal selbst im vertrauten Kreise, nein, nicht manchmal, sondern sehr oft, der bloße Anblick eines mir lieben Mithundes, der bloße Anblick, irgendwie neu gesehen, mich verlegen, erschrocken, hilflos, ja mich verzweifelt machte. Ich suchte mich gewissermaßen zu begütigen, Freunde, denen ich es eingestand, halfen mir, es kamen wieder ruhigere Zeiten - Zeiten, in denen zwar jene Überraschungen nicht fehlten, aber gleichmütiger aufgenommen, gleichmutiger ins Leben eingefügt wurden, vielleicht traurig und müde machten, aber im übrigen mich bestehen ließen als einen zwar ein wenig kalten, zurückhaltenden, ängstlichen, rechnerischen, aber alles in allem genommen doch regelrechten Hund. Wie hätte ich auch ohne diese Erholungspausen das Alter erreichen können, dessen ich mich jetzt erfreue, wie hätte ich mich durchringen können zu der Ruhe, mit der ich die Schrecken meiner Jugend betrachte und die Schrecken des Alters ertrage, wie hätte ich dazu kommen können, die Folgerungen aus meiner, wie ich zugebe, unglücklichen oder, um es vorsichtiger auszudrücken, nicht sehr glücklichen Anlage zu ziehen und fast völlig ihnen entsprechend zu leben. Zurückgezogen, einsam, nur mit meinen hoffnungslosen, aber mir unentbehrlichen kleinen Untersuchungen beschäftigt, so lebe ich, habe aber dabei von der Ferne den Überblick über mein Volk nicht verloren, oft dringen Nachrichten zu mir und auch ich lasse hie und da von mir hören. Man behandelt mich mit Achtung, versteht meine Lebensweise nicht, aber nimmt sie mir nicht übel, und selbst junge Hunde, die ich hier und da in der Ferne vorüberlaufen sehe, eine neue Generation, an deren Kindheit ich mich kaum dunkel erinnere, versagen mir nicht den ehrerbietigen Gruß.
Man darf eben nicht außer acht lassen, daß ich trotz meinen
Sonderbarkeiten, die offen zutage liegen, doch bei weitem nicht völlig
aus der Art schlage. Es ist ja, wenn ichs bedenke - und dies zu tun habe
ich Zeit und Lust und Fähigkeit -, mit der Hundeschaft überhaupt
wunderbar bestellt. Es gibt außer uns Hunden vielerlei Arten von
Geschöpfen ringsumher, arme, geringe, stumme, nur auf gewisse Schreie
eingeschränkte Wesen, viele unter uns Hunden studieren sie, haben ihnen
Namen gegeben, suchen ihnen zu helfen, sie zu erziehen, zu veredeln und
dergleichen. Mir sind sie, wenn sie mich nicht etwa zu stören versuchen,
gleichgültig, ich verwechsle sie, ich sehe über sie hinweg. Eines aber
ist zu auffallend, als daß es mir hätte entgehen können, wie wenig sie
nämlich, mit uns Hunden verglichen, zusammenhalten, wie fremd und stumm
und mit einer gewissen Feindseligkeit sie aneinander vorübergehen, wie
nur das gemeinste Interesse sie ein wenig äußerlich verbinden kann und
wie selbst aus diesem Interesse oft noch Haß und Streit entsteht. Wir
Hunde dagegen! Man darf doch wohl sagen, daß wir alle förmlich in einem
einzigen Haufen leben. - Franz Kafka, Forschungen eines Hundes, nach
(kaf)
Maus Unsere Sängerin heißt Josefine. Wer sie nicht gehört hat, kennt nicht die Macht des Gesanges. Es gibt niemanden, den ihr Gesang nicht fortreißt, was umso höher zu bewerten ist, als unser Geschlecht im ganzen Musik nicht liebt. Stiller Frieden ist uns die liebste Musik; unser Leben ist schwer, wir können uns, auch wenn wir einmal alle Tagessorgen abzuschütteln versucht haben, nicht mehr zu solchen, unserem sonstigen Leben so fernen Dingen erheben, wie es die Musik ist. Doch beklagen wir es nicht sehr; nicht einmal so weit kommen wir; eine gewisse praktische Schlauheit, die wir freilich auch äußerst dringend brauchen, halten wir für unsern größten Vorzug, und mit dem Lächeln dieser Schlauheit pflegen wir uns über alles hinwegzutrösten, auch wenn wir einmal - was aber nicht geschieht - das Verlangen nach dem Glück haben sollten, das von der Musik vielleicht ausgeht. Nur Josefine macht eine Ausnahme; sie Hebt die Musik und weiß sie auch zu vermitteln; sie ist die einzige; mit ihrem Hingang wird die Musik - wer weiß wie lange - aus unserem Leben verschwinden.
Ich habe oft darüber nachgedacht, wie es sich mit dieser
Musik eigentlich verhält. Wir sind doch ganz unmusikalisch; wie kommt
es, daß wir Josefines Gesang verstehn oder, da Josefine unser
Verständnis leugnet, wenigstens zu verstehen glauben. Die einfachste
Antwort wäre, daß die Schönheit dieses Gesanges so groß ist, daß auch
der stumpfste Sinn ihr nicht widerstehen kann, aber diese Antwort ist
nicht befriedigend. Wenn es wirklich so wäre, müßte man vor diesem
Gesang zunächst und immer das Gefühl des Außerordentlichen haben, das
Gefühl, aus dieser Kehle erklinge etwas, was wir nie vorher gehört haben
und das zu hören wir auch gar nicht die Fähigkeithaben, etwas, was zu
hören uns nur diese eine Josefine und niemand sonst befähigt. Gerade das
trifft aber meiner Meinung nach nicht zu, ich fühle es nicht und habe
auch bei ändern nichts dergleichen bemerkt. Im vertrauten Kreise
gestehen wir einander offen, daß Josefinens Gesang als Gesang nichts
Außerordentliches darstellt. Ist es denn überhaupt Gesang?
- Franz Kafka, Josefine die Sängerin, oder Das Volk der Mäuse, nach
(kaf)
Schakale
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