adaver   Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und drang wieder in das Ried, das sich in einiger Entfernung zu lichten schien. Dabei behielt ich den Kurdel im Auge und verpaßte auch nicht den wichtigen Augenblick, als er so unvermittelt stoppte, daß ihm die Beine auseinanderfuhren. Ungeschickt versuchte er kehrtzumachen, wobei er sich in seinem Schwanz verhedderte, der ihm buchstäblich wie ein Klotz am Bein hing. Nach vollzogener Kehrtwendung humpelte er auf dem Weg, den er gekommen war, zurück, und wenn er auf den Unebenheiten des Bodens stolperte, wackelte sein Kopf, als hätte er im Hals statt der elastischen Wirbelsäule einen starren Träger oder eine Stütze. Und sein Schwanz ist wie tot, dachte ich, sollte er einen Unfall gehabt haben? Ich nahm das Fernglas aus dem Futteral. Der Riese schwankte beim Gehen wie ein Schiff bei starkem seitlichem Wellengang. Zwischen den Schulterblättern waren ihm sämtliche Haare ausgegangen, und auf dieser großen kahlen Stelle leuchtete etwas Buntgestreiftes. Ich stellte das Glas schärfer ein und erstarrte vor Staunen. Dort oben auf dem Kurdelrücken, zwischen den im Marsche arbeitenden gewaltigen Spanten der Schulterblätter, sonnten sich mehrere Personen in Liegestühlen! Als ich meinen Blick jedoch auf den Kopf des sonderbaren Kurdels richtete, schlug mein Erstaunen in Entsetzen um: Unter Fetzen verrotteter Haut sah der blanke Schädel hervor, anstelle der Augen gähnten tiefe schwarze Höhlen, und was ich zunächst für einen im Gebiß hängengebliebenen Bissen, einen belaubten Ast oder ein Birkenstämmchen gehalten hatte, war ein gräßlicher Zungenrest. Ein Kadaver also, der sich dennoch bewegte, und das sogar in ziemlich munterem Marsch! Ich beobachtete ihn lange, bis mir der Wind auf einmal ein regelmäßiges Geräusch zutrug, in dem ich das Dröhnen einer Pauke oder eines anderen Schlaginstruments erkannte. In dem Kurdel — wo anders sollte das Geräusch herkommen? — spielte ein Orchester. Er marschierte im Takt zu der Melodie, zu den dumpfen Paukenschlägen, die natürlich gedämpft klangen, denn sie kamen ja tief aus dem Bauch. - Stanislaw Lem, Lokaltermin. Berlin  1985 (zuerst 1982)

Kadaver (2)

- Jan de Baen:  The Corpses of the De Witt Brothers

 

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