Juxpalast      Ganz oben auf einer Rolltreppe erschienen die ersten Kunden beiderlei Geschlechts, geblendet von einem Scheinwerfer und bestürzt darüber, so ungewarnt als Männer der Bosheit des Publikums, als Frauen dessen Geilheit ausgeliefert zu werden. Von der Macht der Dinge die Treppe herunterbefördert, sahen sie sich In die unangenehme Lage versetzt, rücklings über eine sorgfältig gewachste schiefe Ebene zu rutschen. Die Philosophen konnten hier ihr Sehvermögen bereits bis zur äußersten Grenze seiner Leistungsfähigkeit ausnutzen, wobei jeder von diesem Sinnesorgan Klarheit, Schnelligkeit, Scharfsichtigkeit und Wirklichkeitstreue verlangte. Aber das war noch gar nichts, nicht einmal so viel, wie der Tiefflug der Schwalben an Regen ankündet. Man muß nämlich verstehen, daß ein solches Schauspiel, in verschwindend geringen Fällen zwar, auch im Verlaufe des banalsten Alltagslebens genossen werden kann, Sturz in der Metro, Ausgleiten in einem Autobus, Purzelbaum auf einem zu blank gewachsten Boden. Hier war also noch so gut wie nichts von der Erregungsspezifität zu finden, die die Philosophen zum Preise von drei Francs im Juxpalast suchten.

Doch, der Schimpf verfolgte unterdessen mit seiner berechneten Arglist die Wege der Amateure: Treppen, deren Stufen in der Horizontale plötzlich verschwinden, Bodenwellen, die sich im rediten Winkel aufrichten oder sich zu einer Vertiefung einwärts krümmen, Förderbänder, die ständig die Richtung wechseln, Fußböden, deren Dielen von einem brownschen Beben geschüttelt werden. Und anderes. Dann kam ein Gang, in dem verschiedene miteinander kombinierte Kniffe und Listen jedes Weiterkommen unmöglich machten. Pierrot hatte den Auftrag, den Leuten aus dieser Sackgasse herauszuhelfen. Bei den Männern genügte es, wenn man ihnen die Hand reichte, doch wenn eine Frau kam, die kopfscheu geworden war von diesem schwierigen Durchgang, so packte man sie bei den Handgelenken, zog an ihr, zog sie heran und stellte sie schließlich auf einen Luftkanal, der ihr die Röcke hochblies, ein erster Leckerbissen für die Philosophen, falls dabei genü-• gend Schenkel entblößt wurde. Dieses rasche Vorspiel wurde nach einem verworrenen Labyrinth, das zu durchlaufen den Patienten vorgeschrieben war, beim Verlassen der Tonne vervollständigt. Übrigens bereitet das zuerst Geschaute schon die Apotheose vor; in konvulsivischer Erwartung merken sich die Philosophen die besten Stücke und schielen mit aufgerissenen Augen und blitzenden Pupillen nach ihnen hin. Nach dem Labyrinth also standen die Opfer des Spottes vor einem Zylinder, der sich um seine eigene Achse drehte und in den sie hineinsteigen mußten, um aller Vergnügungen teilhaft zu werden, die sie sich für ihren einen Franc leisteten. Einige zogen sich mit Anstand aus der Affäre: völlig uninteressant. Andere, von der Umdrehung mitgerissen, verloren das Gleichgewicht, purzelten hin, drehten sich um die eigene Achse, rollten sich zusammen, verwickelten sich, rollten sich wieder auf und wirbelten im Kreis herum, zum größten Vergnügen derer, die die Prüfung schon hinter sich hatten und nun zu der Gruppe der Philosophen gestoßen waren. Was die Philosophen betraf, so amüsierte sie das gar nicht sonderlich, diese Pirouetten und diese Purzeldinger. Die Lächerlichkeit der Tölpel interessierte sie viel weniger als die Dessous der Weiber, und da erschien gerade eine am Eingang der Tonne, die vor dem Unternehmen zurückschreckte aus Angst, ein Fiasko zu erleben. Petit-Pouce packte sie an den Armen und half ihr, sie halb tragend, ohne Zwischenfall ans andere Ende; doch am Ausgang stellte er sie auf einen Schacht, der ihr Luft unters Kleid blies, die ihre Beine und Dessous entblößte: die entzückten Philosophen klatschten Beifall, während die naiven Geister lediglich über das Mißgeschick lachten, das der Dame zugestoßen -war. Eine, die hinterherkam, das besagte Mißgeschick sah und es vermeiden wollte, weigerte sich, Petit-Pouce zu folgen, der zurückgekehrt war, um neue Opfer zu holen; aber er packte sie. Im Saal tobte man vor Begeisterung; er zog sie mit, alles schwieg in Erwartung äußerster Indiskretion, und er stellte sie dorthin, wo sie hingestellt werden mußte, und hielt sie länger dort fest als die andere, um Rache zu nehmen für die Philosophen, die durch den Versuch einer Weigerung wild geworden waren. Eine dritte wurde von den Satyren ungeduldig erwartet, denn der erste Luftstrom hatte eine auf ein Minimum beschränkte Unterwäsche erhoffen lassen.

- Laß sie ja nicht aus, rief ein Amateur Petit-Pouce zu, während Paradis die Leute weitergehen hieß, damit denen in der ersten Reihe nicht die Aussicht versperrt wurde. Petit-Pouce bekam sie zu greifen: ein Triumph! Man wußte nicht so recht, ob die Dame beleidigt war oder ob es ihr Spaß gemacht hatte, ihre Reize bewundern zu lassen. Hinterher kamen noch drei oder vier andere, aber bei weitem nicht so interessant, und dann war die erste Sitzung zu Ende. Das gewöhnliche Volk räumte das Parkett, die Fanatiker blieben.    - Raymond Queneau, Mein Freund Pierrot. Frankfurt am Main 1964 (zuerst 1942)

Juxpalast (2)

Palast

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme