ungfrauschaft  »Denkt Ihr über das Wesen der Jungfrauschaft nach?«

»Ja, eben. Ihr seid so ein Stück von Soldaten; laßt mich Euch eine Frage tun. Die Männer sind der Jungfrauschaft feind: wie können wir sie vor ihnen verrammeln?«

»Haltet sie draußen!«

»Aber sie stürmen; und unsere Jungfrauschaft, wenn auch in der Verteidigung tapfer, ist dennoch schwach. Lehrt uns einen kunstgerechten Widerstand!«

»Es gibt keinen. Die Männer, sich vor euch lagernd, unterminieren euch und sprengen euch auf.«

»Der Himmel bewahre unsere arme Jungfrauschaft vor Minierern und Aufsprengern! Gibt‘s keine Kriegskunst, wie Jungfrauen Männer auf sprengen könnten?«

»Ist die Jungfrauschaft aufgesprengt, so springt der Mann um so hurtiger auf; meiner Seel‘, sprengt ihr ihn wieder herunter, so verliert ihr durch die Bresche, die ihr selber gemacht habt, eure Burg. — Läßt sich denn ein vernünftiger Grund im Naturrecht nachweisen, die Jungfrauschaft zu bewahren? Verlust der Jung-frauschaft ist vielmehr verständiger Zuwachs; und noch nie ward eine Jungfrau geboren, daß nicht vorher eine Jungfrauschaft verloren ward. Das, woraus ihr gemacht seid, ist Stoff, um Jungfrauen draus zu machen. Eure Jungfrauschaft, einmal verloren, kann zehnmal wieder ersetzt werden; immer erhalten, ist sie immer verloren; sie ist eine zu frostige Gefährtin; fort damit!«

»Ich will sie doch noch ein wenig festhalten, sollt‘ ich auch darüber als Jungfrau sterben.«

»Dafür läßt sich wenig sagen; es ist gegen die Ordnung der Natur. Die Partei der Jungfrauschaft nehmen, heißt, seine Mutter anklagen, und das ist ein handgreiflicher Ungehorsam. Wie eine, die sich aufhängt, ist solch eine Jungfrauschaft; sie gleicht einem Selbstmörder und sollte an der Heerstraße begraben werden, fern von aller geweihten Erde, als eine tollkühne Frevlerin gegen die Natur. Die Jungfrauschaft brütet Grillen, wie Käse Maden, verzehrt sich selbst bis auf die Kruste, nährt sich vom Eingeweide und stirbt an der Stillung des eigenen Hungers. Überdies ist die Jungfrauschaft wunderlich, stolz, müßig, aus Selbstliebe zusammengesetzt, welches die verpönteste Sünde in den Zehn Geboten ist. Behaltet sie nicht; Ihr könnt gar nicht anders, als dabei verlieren; fort damit! Leiht sie aus, im Laufe eines Jahres habt Ihr zwei für eins; das ist ein hübscher Zins, und das Grundstück hat nicht viel gelitten. Fort damit!«

»Was aber tun, um sie zu verlieren nach eigenem Gefallen?«

»Laßt sehen! ei nun, leiden vielmehr, um dem zu gefallen, dem sie nicht gefällt. Es ist eine Ware, die durchs Liegen allen Glanz verliert; je länger aufbewahrt, je weniger wert: fort damit, solange sie noch verkäuflich ist. Nützt die Zeit der Nachfrage! Die Jungfrauschaft, wie eine welke Hofdame, trägt eine altmodische Haube, ein Hofkleid, dem keiner mehr den Hof macht; recht wie Hutschleife und Zahnstocher, die man nicht mehr trägt. Die Zeit taugt Eurem Wein besser, als Eurer Wange; und Eure Jungfrauschaft, Eure alternde Jungfrauschaft, ist wie eine welke Dattel. Sie sieht ledern aus und schmeckt noch lederner, wenn man sich überwindet, sie zu kosten. Meiner Seel‘ sie gleicht einer alten Dattel; sie war vormals besser; sie ist eben bloß noch eine alte runzelige Dattel. Wollt Ihr was damit?« - Von dem Shakespeare, der nicht zitiert wird. Nach: Karl Kraus, Die chinesische Mauer. Frankfurt am Main 1967 (Shakespeare: Ende gut, alles gut)

Jungfrauschaft (2)  Man ist jungfräulich vor dem Grauen wie vor der Wollust.   - (reise)

Jungfrauschaft (3)  Der Aberglaube hat einige Völker veranlaßt, den ersten Genuß der Jungfrauen an die Priester ihrer Götzen abzutreten oder ihn zu einer Art Opfergabe an die Götzen selbst zu machen. Die Priester der Königreiche von Cochin & Calicut genießen dieses Recht; & bei den Kanarern aus Goa werden die Jungfrauen, ob sie wollen oder nicht, von ihren eigenen Eltern einem Götzen aus Eisen der Unzucht preisgegeben. Der blinde Aberglaube reißt diese Völker aus religiösen Erwägungen zu solchen Exzessen hin. Rein menschliche Erwägungen haben andere veranlaßt, ihre Töchter diensteifrig ihren Häuptlingen, ihren Herren, ihren Herrschern zu überlassen. Die Rewohner der kanarischen Inseln, des Königreichs Kongo geben ihre Töchter auf diese Weise der Unzucht preis, ohne daß diese deswegen entehrt wären. Etwas sehr Ahnliches geschieht in der Türkei, in Persien & in mehreren anderen Ländern Asiens & Afrikas, wo sich die größten Herren nur allzu geehrt fühlen, aus der Hand ihres Herrschers die Frauen zu empfangen, deren er selbst überdrüssig geworden ist.

Im Königreich von Arakan & auf den philippinischen Inseln würde sich ein Mann für entehrt halten, wenn er ein Mädchen heiratete, das nicht von einem anderen entjungfert wurde, & nur für Geld kann man jemanden dazu bewegen, dem Gatten zuvorzukommen. In der Provinz Tibet suchen die Mütter Fremde & bitten sie inständig, ihre Töchter in den Stand zu setzen, Ehemänner zu finden. Auch die Lappen geben Mädchen den Vorzug, die mit Fremden verkehrt haben; sie meinen, daß diese größere Verdienste haben als die anderen, da sie es verstanden haben, Männern zu gefallen, die sie als größere Kenner & bessere Richter der Schönheit erachten als sich selbst. Auf Madagaskar & in einigen anderen Ländern sind die leichtfertigsten & ausschweifendsten Mädchen jene, die am frühesten verheiratet sind. Wir könnten, schließt Buffon, noch viele weitere Beispiele für diesen seltsamen Geschmack nennen, der nur von der Roheit oder der Verderbtheit der Sitten herrühren kann. - Jaucourt, (enc)

Jungfrauschaft (4)  Die hohe Vorstellung von dem Wert ihrer Leiblichkeit artete in Größenwahn aus, wie vordem bei der norwegischen Königin Sigrid der Hochmütigen, als sie die kleinen Zaunkönige der Gauschaften, die um sie freiten, zu sich entbot, dann Feuer ans Haus legte und die ganze Sippschaft verbrannte. Ich will euch Zaunkönige lehren, so mir nichts dir nichts um mich zu freien! Mag sein, Königin Malin hätte in aller Seelenruhe ein Gleiches getan. Das Wort aus der Heiligen Schrift, das die Herrnhuterin ihr vorgelesen hatte, bewahrte sie in ihrem Herzen: Daß, wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon in seinem Herzen die Ehe gebrochen mit ihr - und sie hatte sich zum weiblichen Gegenstück solch evangelischer Gewissenhaftigkeit ausgebildet. Eines Mannes Verlangen nach ihr nahm sie wahrscheinlich nicht anders auf als Königin Sigrid auch, sie war tödlich beleidigt und nahm die Kränkung so ernst, als habe man ihr Gewalt antun wollen.  - (blix)
 
Mädchen Unberührtheit
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