Jungfrauenopferung      Die Geschichte der Versündigung des Agamemnon ist nicht leicht zu wiederholen, da die späten Erzähler sie sehr gekürzt und vereinfacht, wenn nicht gar entstellt haben und die Tragödiendichter nur in Andeutungen sie berühren. Es scheint, daß damals das günstige Wetter für die Schiffahrt ungewöhnlich lange Zeit ausblieb. Da versprach Agamemnon von sich aus das Schönste, was das Jahr hervorgebracht hatte, der Göttin zu opfern. Dies scheint Artemis angenommen zu haben. Es geschah indessen, daß der König zufällig im Hain der Göttin ein Hirschkälbchen aufscheuchte, mit sprießendem Geweih und mit geflecktem Fell. Wünschte die Göttin dieses schöne Geschöpf für sich als Opfer? Dem Mund des Königs entschlüpfte das unbedachte Wort: »Nicht einmal Artemis selbst... !« Er meinte wohl: »Nicht einmal Artemis selbst, wenn sie es wollte, könnte das Tier mehr retten!« Denn er schlachtete das Hirschkalb sogleich ab, gut zielend, im heiligen Hain. Wenn er in seinem allzugroßen Selbstvertrauen nur die Macht der Göttin nicht in Zweifel gezogen hätte!

So hörte das günstige Wetter wieder auf, ob nun ein Sturm ausbrach oder die Winde nunmehr völlig ausblieben298. Kalchas, der Wahrsager des Heeres, wurde befragt, und er offenbarte, daß die erstgeborene Tochter des Agamemnon müßte geopfert werden, um den Zorn der beleidigten Göttin zu beschwichtigen: für das verfehlte Opfer wäre sie der einzige Gegenwert. Man mußte nach ihr schicken, um sie von ihrer Mutter zu holen. Aber wie wird Klytaimnestra ihre Tochter zur Opferung hergeben? Odysseus soll die Lüge erfunden haben, Iphigeneia sollte zur Vermählung mit Achilleus nach Aulis kommen. Hochzeit und Tod, wie in der berühmten Klage der Tochter des Oidipus, waren immer verwandte Gedanken, seitdem Hades die Persephone geraubt hatte. Eine Gesandtschaft wurde zu Klytaimnestra geschickt. Odysseus führte das Wort bei ihr. Und sie selbst begleitete die Tochter wie zur Hochzeit.

Doch wurde dann Iphigeneia nicht bei den blonden Haaren zur Opferung geschleppt. Ein pompejanisches Wandgemälde zeigt uns, wie Odysseus und Diomedes sie in ihren Armen in die Höhe heben und zum Altar tragen. Das safrangelbe Gewand, das die Dienerinnen der Artemis in Brauron trugen, fiel von ihr herab, der Busen war frei dem Messer. Agamemnon wandte sich ab und bedeckte das Gesicht. Sie breitete die Arme zu ihrer Göttin aus. Kalchas, der Opferpriester, sah indessen schon, was bevorstand. Artemis wachte über der Szene und zeigte ihre rettende Macht, die Agamemnon bezweifelt hatte. Im Augenblick der Schlachtung vertauschte sie das Mädchen mit einer Hindin und entrückte Iphigeneia durch die Luft nach der Taurischen Halbinsel - heute Krim genannt -, damit sie ihr bei den Barbaren als Priesterin diene. Ihr wurden dort Menschen geopfert: die dorthin verschlagenen Griechen.   - (kere)

Opfer Jungfrau

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