ungfer, alte Sie war ein gutes Geschöpf, eine Seele wie mit Sprungfedern, die in der Begeisterung aufschnellten. Ihr mangelte es an Gleichgewicht wie allen Frauen, die mit fünfzig Jahren noch Jungfer sind. Sie sah aus wie in ihre sauer gewordene Unschuld eingeweckt; aber im Herzen hatte sie sich etwas sehr Junges, Entflammbares bewahrt. Sie liebte die Natur und die Tiere mit einer überspannten Liebe, übergärig wie ein zu altes Getränk, mit der sinnlichen Liebe, die sie nie einem Mann geschenkt hatte.
Bestimmt durchfluteten sie beim Anblick einer säugenden Hündin, einer Stute,
die mit ihrem Füllen zwischen den Beinen auf der Wiese ging, eines Vogelnestes
mit piepsenden Kleinen, den offenen Schnäbeln, den riesigen Köpfen, den noch
nackten Körperchen unmäßige Gefühlswallungen. - (
nov
)
Jungfer,
alte
(2) Die Tanten waren alte
Jungfern. Janie, die ältere und witzigere, war Künstlerin. Als junge Frau hatte
sie auf Capri gelebt und Skizzen von nackten Knaben gezeichnet. Sie erinnerte
sich noch, daß sie Maxim Gorki dort gesehen hatte, möglicherweise auch Lenin;
und in Paris hatte sie im Studio Kees Van Dongens, des holländischen Malers,
eine Party besucht. Während des Ersten Weltkriegs hatte sie, glaube ich, als
Krankenschwester gearbeitet. Vielleicht war sie durch den Tod so vieler schöner
junger Männer dazu angeregt worden, all die Bilder des heiligen Sebastian zu
malen, die in ihrem Atelier gestapelt waren. Unermüdlich las sie moderne Erzähler.
Später erklärte sie mir, amerikanische Schriftsteller schrieben besseres, saubereres
Englisch als die Engländer selbst. Eines Tages sah sie von ihrem Buch auf und
sagte: »Was für ein wunderbares Wort ist doch ›Arsch‹!«
- Bruce Chatwin, Der Traum des Ruhelosen. Frankfurt
am Main 1998 (Fischer-Tb. 13729, zuerst 1996)
Jungfer,
alte
(3) Eine dicke alte
Jungfer, schrullig und charmant. Sie verachtet alle Konventionen, redet
wie ihr der Schnabel gewachsen ist, zieht sich egal wie an, ist in Gesellschaft
allen überlegen dank ihrer Ausstrahlung, ihrem Witz und ihrer Unbefangenheit.
Wer sie nicht kennt und sie in ihrem Park sieht würde sie für die Köchin halten
oder irgendeine Hausangestellte. Sie verreist nie, die Stadt und Geselligkeiten
sind ihr ein Graus, sie lebt von den Einkünften aus ihrem Landbesitz, den sie
ganz allein verwaltet. Ein weites Herz, nie versiegendes Mitgefühl für die Unglücklichen,
Zuflucht aller Hungerleider, Landstreicher und anderen Unglücksraben. Sehr geliebt
vom Zigeuner, den sie häufig an ihren Tisch lädt, zum
Ärger ihrer Haushälterin, ihrer Hausangestellten und Freunde. Der Meister gleicht
ihr in dieser Hinsicht und macht sich ein Vergnügen daraus, wenn er in Gesellschaft
des Landfahrers bei ihr war, allen Leuten davon zu erzählen, ob sie es hören
wollen oder nicht, dabei kann er sich vor Lobsprüchen über den Nomaden gar nicht
lassen, seine Schönheit, seine Intelligenz, seinen Humor. - Robert Pinget, Der Feind. Berlin 1988
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