ugendschutz   Der Antrag, die Schrift »Die Tigerin« von Walter Serner, Paul Steegemann-Verlag, Berlin, in die Liste der Schund- und Schmutzschriften aufzunehmen, wird abgelehnt.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Roman »Die Tigerin, eine absonderliche Liebesgeschichte« von Walter Serner macht den Versuch, zwei Typen der pariser Unterwelt in ihrem Verhältnis zueinander und zur Umwelt psychologisch zu zergliedern. Die »Tigerin« ist eine pariser Kokotte, die einem Hochstapler Fec begegnet und sich mit ihm zusammentut, um zunächst spielerisch ihre Anziehungskraft auf ihn auszuprobieren. Gegenseitige wechselweise Anziehung und Abstoßung, meist in Gesprächen dargestellt, machen den eigentlichen Inhalt des Buches aus. In dem Verhältnis der Beiden zueinander gehen Ernst und Spiel in oft verwirrender Weise durcheinander. Beide versuchen sich über die psychologischen Hintergründe ihres Verhältnisses bald klar zu werden, bald zu täuschen. Es gelingt dem Verfasser nicht ganz, in die komplizierte Verwirrung der Gefühle künstlerische Klarheit zu bringen. Sein Versuch ist jedoch nicht wertlos. Er zeigt vielmehr ernsthafteste Bemühung um literarische Form. Schon deswegen kann von einem Schundcharakter keinesfalls die Rede sein. Die Sprache der Erzählung stellt ein seltsames, höchst privates Gemisch aus pariser Argotbrocken und versnobtem Literatendeutsch dar. Als schmutzig kann die Erzählung deswegen nach Ansicht der Prüfkammer nicht bezeichnet werden, weil der sachliche Zynismus, mit dem gelegentlich intime körperliche Vorgänge erwähnt sind, die Erregung niederer Lüsternheit geradezu ausschließt, Die von der antragstellenden Behörde beanstandeten Partien prägen nicht etwa den Charakter des Buches. Sie erklären sich vielmehr aus dem durchaus ernsten und sachlichen Bestreben des Verfassers, das von ihm dargestellte Milieu bis ins letzte auszugestalten. Denn nur so läßt sich die psychologische Aufgabe, die er sich gestellt hat, restlos durchführen.

Da es sich nach Ansicht der Prüfkammer also nicht um eine Schund- oder Schmutzschrift handelt, war das Moment der Jugendgefährdung nicht zu prüfen. Es mag aber noch darauf hingewiesen werden, daß gerade der schwer zugängliche Stil der Erzählung eine Gefährdung der Jugend ausschließt und daß überdies das Buch beim Verlage völlig vergriffen und im Buchhandel nur sehr schwer aufzutreiben ist.

gez. Dr. Behl
Vorsitzender.

Beglaubigt:
[gez.] Dr. Bach
Expedient  - Aus: Walter Serner, Der Abreiser. Material zu Leben und Werk. Hg. Thomas Milch. München 1984

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Jugend Schutz
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