Jugendfrische  Sanchez öffnete die Ledertasche und wickelte mit mütterlicher Sorgfalt, die in sonderbarem Widerspruch zu seinem rauhen Äußeren stand, die paar Meterlängen des Schals ab, der die Tsantsa in sich barg.

Sie lag vor mir... Ich hatte einen richtigen Schock, denn sie war so ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte.

Ich weiß nicht warum, aber ich war darauf eingestellt, den Kopf eines Europäers vorzufinden, dessen kastanienbraune Haare zum bläulichschimmernden, glattrasierten Kinn paßten und sich von der Blässe seiner bräunlichen Gesichtsfarbe abhoben. Aber diese Tsantsa hatte blonde, seidige Haare von seltsamer Leichtigkeit, die sich bei der geringsten Bewegung des Kopfes belebten, als gehörten sie einem noch atmenden Wesen an. Die Gesichtsfarbe war von milchiger Weiße und die hübsche Stupsnase voller Sommersprossen, wie man sie oft bei jungen Engländern sieht.

Mein erster Eindruck war, daß man mir da eine Tsantsa anbot, die den Kopf eines Jünglings, oder vielmehr eines Schülers, der noch in vollem Wachstum begriffen war, gekostet hatte.

Ich weigerte mich, dieses Stück Leiche, wie ich es bei mir nannte, zu berühren, und bat Sanchez, es wieder in den Schal einzuwickeln, dem er es mit den Bewegungen eines sentimentalen Taschenspielers entnommen hatte.

Aber selbst durch den Stoff hindurch spürte ich irgendwie, daß ich es hier nicht mit einer Antiquität, sondern mit einem neuen, grausig neuen Stück zu tun hatte, dessen Frische von der Jugend des hingemordeten Wesens herrührte. - Maurice Sandoz, Die Tsantsa. In: M. S., Am Rande. Zürich 1967

 

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