Jüngling, verwirrter     Ich hatte das Verlangen aufzuschauen. Und ich tat es. Da stand vor mir ein Mensch. Ich sah anfangs nur zwei entblößte Beine, bis zu den Knieen entblößt. Dann erkannte ich, daß es ein Mädchen war. Sogleich standen die Aussprüche Haakons in mir auf. Ich wurde verwirrt Und lüstern. Und sehr demütig. Und sehr weinerlich, denn ich glaubte, nur Haakon lieben zu können. Sie aber sprach mich an: »Du hast schöne rote Stiefel.« Ich blieb sitzen, wie ich saß und antwortete: »Es ist Juchtenleder.« Sie sagte: »Ich möchte auf deinem Pferde reiten.« Ich antwortete: »Du darfst es.« Sie nahm das Tier, tat ihm die Trense ins Maul, schwang sich in den Sättel. Es war ein schöner Anblick, wie sie dahinritt. Meine Augen folgten ihr. Meine Augen empfingen sie wieder, als sie herankam. »Ich möchte einmal deine Stiefel an meine Füße tun«, sagte sie. Ich zog die Stiefel aus und reichte sie hin. Sie tat das Leder an ihre unbekleideten Füße, ging wieder in den Sattel und ritt davon. Meine Augen folgten ihr und empfingen sie wieder als sie zurückkam. »Diese Wiese gehört meinem Vater«, sagte sie, entledigte sich der Stiefel und gab sie mir zurück. Sie setzte sich an meine Seite. Ich sah ihr Gesicht ganz nahe. Und es bewegte sich etwas in mir. Ich konnte es nicht deuten. Es waren andere Gefühle als Haakon sie mir beschrieben hatte. Ich schaute sehr lange in ihr Angesicht. Sie hielt meinen Blicken stand und betrachtete mich. Es verging eine Zeit. Ich weiß nicht, was für eine lange oder kurze Zeit es war. Sie erhob sich. Sie ging hinter mich. Ich horte es in den Büschen, die zurückstanden, rascheln und knistern. Sie erschien wieder vor mir und hatte einen Dornbusch in der Hand. Mit dem Dornbusch schlug sie auf mich ein. »Wir wollen miteinander spielen«, schrie sie dabei sehr laut. Ich blieb sitzen wie ich saß. Nur die Augen schloß ich. Die Zweige und Dornen zerrissen mir das Angesicht. Ich wehrte mich nicht. Nach einer Weile hielt sie inne mit ihrem Tun. Sie kam nahe zu mir heran. Ich sah wieder ihre entblößten Füße bis hinauf zu den Knieen. Ich wischte mir das Blut von den Wangen, in das sich ein paar salzige Tränen gemischt. Ich hörte, daß sie sprach: »Schlage du mich. Ich halte still wie du.« Sie hockte nieder ins Gras. Ich erhob mich, nahm den Busch. Ich vermochte nicht, sie zu schlagen. Ich schaute sie an. Das war alles, was an diesem Tage geschah. Und ich behielt in mir ihr Bild - bis ich es gewaltsam ausriß.   - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main 1966 (zuerst 1929)
 

Jüngling Verwirrung

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme