Journalistenbeschimpfung   «Ich betreibe den Journalismus, wie ich Kinovorführer sein könnte, oder Obermaat auf einem Segler oder Zauberkünstler.»

«Du hast recht», stimmte Pietro Nocera zu, «zum Journalismus nimmt man seine Zuflucht, wie man sie zum Theater nimmt, nachdem man die ungleichsten und verzweifeltsten Berufsarten probiert hat: Priester, Zahnarzt, Versicherungsagent; einige verlieben sich in den Journalismus, weil sie von weitem seine glänzendsten Seiten gesehen haben oder seine glücklichsten Vertreter, wie sie sich beim Theater in den Beruf des Schauspielers verlieben, weil sie gesehen haben, wie dem Darsteller des Othello applaudiert wurde. Und sie sagten sich: auch ich werde den Othello spielen.»

« Statt dessen spielen sie den Diener, der nichts zu sprechen hat.»

«Wie viele Diener, die nichts zu sagen haben, gibt es im Journalismus! — Wir sind keine Wesen, die im Leben leben. Wir stehen am Rande des Lebens; wir müssen eine Meinung unterstützen, die wir nicht haben, und sie dem Publikum aufdrängen; Fragen behandeln, die wir nicht kennen, und sie dem Publikum schmackhaft machen; wir dürfen keinen eigenen Gedanken haben; wir müssen den des Zeitungsdirektors haben; aber nicht einmal der Leiter der größten Zeitung hat das Recht, mit seinem Gehirn zu denken, denn wird er vor den Verwaltungsrat gerufen, muß er seine Ansicht unterdrücken, wenn er überhaupt eine hat, und diejenige der Aktionäre vertreten...

Aber wenn du wüßtest, wie erbärmlich es hinter den Kulissen dieser großen Bühne aussieht! Du hast viele Säle gesehen, viele Teppiche, viele Lampen, die Bar, den Fechtboden, das Restaurant; aber die Menschen kennst du noch nicht: welch ein tenorhaftes Milieu! Wie viele politische Bramarbasse machen ihre anmaßenden Stimmübungen in diesen Räumen, und wie viele Größenwahnsinnige rühmen sich der Erfolge, die sie niemals hatten!

Wer nicht in diesem Betrieb steckt, glaubt, daß der Journalist ein bevorzugtes Wesen ist, weil die Theater ihm die Fauteuilplätze überlassen, die Minister ihm vor den Präfekten und den Senatoren, die sie antichambrieren lassen, Zutritt gewähren, die großen Künstler ihn duzen. Aber das Publikum ahnt nicht, daß alle diese Leute ihn in ihrem Inneren verachten, obwohl sie ihm dem Anschein nach jede Zuvorkommenheit erweisen: vom Portier des Krankenhauses an, der den Reporter über den Trambahnzusammenstoß informiert, bis zum Präsidenten der Republik, der dem parlamentarischen Berichterstatter eine Unterredung gewährt. Alle denken über den Journalisten das schlechteste. Und sie behandeln ihn gut, weil sie Furcht haben vor der großen Erpressung oder der kleinen Niedertracht; willig erteilen sie ihm alle erbetenen Informationen, und zuweilen geben sie sie ihm gleich schriftlich oder diktieren sie ihm wörtlich, weil sie fürchten — da sie seine bodenlose Unwissenheit kennen -, daß er ihnen wer weiß welchen Blödsinn in den Mund legen könnte. Der hervorragende Musiker, der beliebte Dramatiker oder der vielapplaudierte Schauspieler behandeln den Zeitungskritiker durchaus familiär, aber sie wissen ganz genau, was dieser Kritiker ist: er ist ein Individuum, das zwischen dem achtzehnten und fünfundzwanzigsten Jahr als Reporter in eine Zeitung eingetreten ist, wie ich dort eingetreten bin und wie du eingetreten bist, wie man zum Handel mit Lebertran oder zur Buchhalterei eines Zirkus übergegangen wäre. - Pitigrilli, Kokain. Reinbek bei Hamburg 1988 (rororo 12225, zuerst 1922)

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