azz   Ich kann nicht sagen, wie die Musik der amerikanischen Neger mich erschüttert. Es scheint heute fast ein Gemeinplatz, vom Jazz zu sprechen, und doch glaube ich ganz und gar nicht, daß über diesen Gegenstand das letzte Wort gesprochen ist, ich gehe so weit, zu behaupten, daß von allen, die bis jetzt darüber geschrieben haben, keiner auch nur im entferntesten geahnt hat, um was es sich hier in Wirklichkeit handelt. Denn es geht auch hier noch einmal um Metaphysik und nichts anderes.

Lieder wie »All alone«, »Sweet Creola« oder »Lady be good« haben auf mein Leben außerordentlichen Einfluß gewonnen, so großen vielleicht wie irgendeine Lektüre oder ein Ereignis von entscheidendem Einfluß. Keine Musik scheint mir so sehr die Beschaffenheit lebendigen Fleisches zu haben. - Michel Leiris, Leidenschaften. Frankfurt am Main 1992 (Fischer-Tb. 10560)

Jazz (2)  Im Café Oranienburger-Tor hörte ich zum ersten Mal so etwas wie eine Jazzkapelle. Man nannte es damals eine Radaukapelle. Es war auch keine Jazzkapelle im heutigen Sinn, eher eine Wiener Salonkapelle, die plötzlich verrückt geworden war. Zwei bis drei Musikanten mit Sägen und Kuhglocken parodierten und unterbrachen irgenwie rhythmisch die allgemeine Melodie. Der Kapellmeister nannte sich «Mister Meschugge» und benahm sich wie ein Wahnsinniger. Er tat so, als könne er den Lärm nicht mehr meistern, zerbrach seinen Taktstock oder hieb mit seiner Geige plötzlich einem Musiker über den Kopf. Schließlich riß er die große Baßgeige an sich und führte mit ihr einen grotesken Kampf auf; das Ende war immer, daß er die Stücke der zersplitterten Geige ins Publikum schleuderte, das vor Entzücken brüllte und die Trümmer zurückwarf. - George Grosz, Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, dt. zuerst 1955

Jazz (3)

Jazz

- Siné

Jazz (4)  Eine stille Straße. Plötzlich: der Trichter eines Saxophons. Der Bauch eines Banjos. Und der JAZZ. Angestellte, Stenotypistinnen, Mannequins, Schuljungen, Backfische, Dadaisten, Schneiderpuppen, ein Bruchstück aus dem Standbild Debussys, jemand in Barbarossados, Komparsen aus LA JUIVE. Ein Kirchenältester, der aussieht wie Tirpitz. Die Blaskapelle Zehlendorf. Der berühmte König der Onanisten.

Alle Tanzstundenjazzschritte sind verschwunden. Le lyrisme souverain. Jeder jazzt nach Instinkt. Kraftanspannung Zentral-Europas, um zu vernegern.

In der Mitte

Sadi Ride

 der saubere Neger.

Dominanz. 

 

Superiorität.

Portiers verfolgen die Tänzer.

Klavierlehrerinnen lassen mit einem Satz ihren Schumann im Stich. Ein Neger skandiert. Bewegung mit Bambusstock. Rhythmische Bewegung der Schultern. Der Hüften. Die Jazzbegleitung brüllt.     Tikketasch

Tikketasch

(was auf Kisuaheli bedeutet: rhythmisch die Hüften bewegen). Bürger hissen die schwarz-weiß-rote Flagge. Die bayrische, die preußische, die apostolische. Der Doppeladler mit der Krone. Totale. Dann der Adler allein. Dann die Krone allein. Derweil die Krone auf der Leinwand bleibt, erscheint verschwommen das Jazzbild. Wird schnell schärfer. Die Krone fällt mitten in den Jazz.  - Paul van Ostaijen, Der Pleite JAZZ. Berlin 1996 (Friedenauer Presse)

Jazz (5)  Cronopien sind die Brüder Adderley und die unzähligen Brüder Heath mit der gewaltigen Unterstützung von Sam Jones, Kontrabaß und Violincello, Blue MitchelL, Trompete, und Wynton Kelly, Klavier (Cedar Walton ist so etwas wie ein Gespenst, das, wie alle Gespenster, die hoch im Kurs stehen, nur einmal erscheint, dir jedoch Eisnadeln unter die Kopfhaut jagt). Der Jazz, den diese Cronopien machen, ist nicht überwältigend, gerade richtig für einen Sommer in den Hügeln, beruhigend und plötzlich stimulierend, gemäß dem amerikanischen Rhythmus, mit Benzedrin zu beginnen, um mit Barbituraten aufzuhören. Wenn Sie einen Sommer in Saignon oder an einem vergleichbaren Ort verbringen, empfehle ich Ihnen, sich die Riverside-Serie anzuschaffen: Much Brass. Nat Adderley Sextet (RLP 12-301). The Chant. Sam Jones plus 10 (RLP 353. Blues Moods, Blue Mitchell (RLP336) und The Thumper, Jimmy Heath Sextet (RLP 12-314).    - (cort)

 

Musik

 

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