ahrmarkt    MARIE. Mensch, sind noch die Narrn von Verstande, dann ist man selbst Narr. - Komische Welt! schöne Welt! Beide gehn weiter zum Marktschreier.

MARKTSCHREIER vor einer Bude mit seiner Frau in Hosen und einem kostümierten Affen. Meine Herren, meine Herren! Sehn Sie die Kreatur, wie sie Gott gemacht: nix, gar nix. Sehn Sie jetzt die Kunst: geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein' Säbell Der Äff ist Soldat; 's ist noch nit viel, unterste Stuf von menschliche Geschlecht. Ho! Mach Kompliment! So - bist Baron. Gib Kuß! Er trompetet: Wicht ist musikalisch. - Meine Herren, hier ist zu sehen das astronomische Pferd und die kleine Kanaillevögele. Sind Favorit von alle gekrönte Häupter Europas, verkündigen den Leuten alles: wie alt, wieviel Kinder, was für Krankheit. Die Rapräsentationen anfangen! Es wird sogleich sein das Commencement von Commencement.

WOYZECK. Willst du?

MARIE. Meinetwegen. Das muß schön Dings sein. Was der Mensch Quasten hat! Und die Frau hat Hosen! Beide gehn in die Bude.

TAMBOURMAJOR. Halt, jetzt! Siehst du sie? Was ein Weibsbild!

UNTEROFFIZIER. Teufel! Zum Fortpflanzen von Kürassierregimentern!

TAMBOURMAJOR. Und zur Zucht von Tambourmajors!

UNTEROFFIZIER. Wie sie den Kopf trägt! Man meint, das schwarze Haar müßt sie abwärts ziehn wie ein Gewicht. Und Augen -

TAMBOURMAJOR. Als ob man in ein' Ziehbrunnen oder zu einem Schornstein hinunter guckt. Fort, hinterdrein!   - Georg Büchner, Woyzeck

Jahrmarkt (2)  Ringkämpfer, Schießbuden, Karamelbonbons, Lotteriebuden. Spielen Sie mit, setzen Sie... das Rad dreht sich... die 15 gewinnt. Die 15 gewinnt fünf Kilo Zucker. Wahrsagen, Handlesen, Liebeshoroskop, Schiff schaukeln. Der Zwerg mit den zwei Köpfen, der Mann mit den tausend Händen. Das Riesenbaby: zwanzig Jahre, zweihundert Kilo, zwei Meter Taillenumfang. Emma mit ihren Schlangen. Eva mit ihren Töchtern. Nur für Erwachsene. Musée Dupuytren. Medizinische Wunder. Launen der Natur. Jemand tritt Gilbert Bécaud kräftig auf die Füße. Er jault noch lauter als sonst. Überall Ringkämpfe. Rechts von mir der Freundliche von der Calmette, Champion aller Klassen. Links Kid Batignol, der Held von Australien. Griechischrömisch, Freistil, Catchen, Boxen, Straßenkampf, auf Wunsch mit Zusammenschlagen. Jeder ist angesprochen: die Menschenmenge, die Athleten auf dem Podest, die Frau, die die Trommel schlägt. Überall Ringkämpfe. Kampf ist angesagt. Wer nicht aufpaßt, kriegt was drauf. Kid Batignol gegen Monsieur X, dem Profi-Amateur, der seit zehn Jahren als erster in den Ring steigt, um das Geschäft anzukurbeln. Herrreinspaziert, Messieurs-Dames, auf Sie wartet ein Schaukampf! Sport, Sport, überall Sport. Achtung, aufgepaßt! Das Fest geht weiter. Tierische Schreie, Gebrüll, Rohrflöten, Lachen, Weinen. Zuckerwatte. Weingummi aus Lyon. Schweinetaufe. Trockenes Geknalle von Gewehren und Pistolen. Prüfen Sie Ihre Geschicklichkeit! Versuchen Sie Ihr Glück! Das tanzende Ei auf dem Springbrunnen, Serge Lifar aus dem Krieg. Gipsröhrchen purzeln. Fünf Stoffbälle, hundert Francs. Die Pyramide aus alten Konservenbüchsen stürzt in sich zusammen. Tusch! Und das Rad dreht sich weiter. Rotor. Labyrinth. Spiegelkabinett. Todesschleife. Knatternde Motorräder. Geisterbahn. Kitzelnde Skelette. Von Motten zerfressenes altes Weib, das ins Mikrophon spuckt. Das Schauspiel für aufgeklärte Erwachsene, für alle Liebhaber des Schönen Geschlechts, für Kunst- und Naturfreunde, kurz, für alle, die den Glanz und die Frische der Jugend zu schätzen wissen. Für hundert Francs, nicht mehr, für nur hundert Francs, Mademoiselle Coralie und ihre Schwestern, hier sind sie, ein Plattenspieler übertönt die Stimme der Schreckschraube, Mademoiselle Coralie kommt nach vorn aufs Podest, zappelt gegen die Musik an, ihr seitlich geschlitztes hautenges Kleid zeigt einen Oberschenkel, tierisches Gebrüll, Mademoiselle Coralie und ihre Schwestern, fatale Schönheiten, wie es sie heute gar nicht mehr gibt, sie werden hier drin zu Ihrem Vergnügen, zu Ihrer Freude, als Augenschmaus, sie werden ein lebendes Bild darstellen, das Tote wiederauf erweckt. Frau mit Bart. Dressierte Tiere. Es wogt hin und her. Riesenrad, Berg- und Tal-Bahn, Auto-Skooter, Düsenflugzeuge, Holzpferde, jede Menge Holzköpfe, Raupen, das Ungeheuer von Loch Ness.

Rufen Sie, brüllen Sie, schreien Sie! Reizen Sie das Ungeheuer, das schreckliche Monster! Hierher! Hierher! Leibhaftige Feuerschlucker, der Mann aus Borneo, das wilde Tier auf zwei Beinen, hierher! Omelette mit Dieselöl, Löwenwurst mit Sägemehl, Teer und Petroleum, das sind ihre Lieblingsspeisen. Mesdames, Messieurs, junge Leute und Soldaten! Sie schmieden mit ihren nackten Füßen diese Eisenstange, die ist nicht rot angemalt, die glüht im Feuer - nehmen Sie den Feuerhaken in die Hand, wenn Sie's nicht glauben! Sie berühren damit ihre Haut an den empfindlichsten Stellen, sogar an der Zunge, Sie werden hören, wie das Fleisch zischt, meine Herrschaften, Sie werden es riechen!   - Léo Malet, Kein Ticket für den Tod. Reinbek bei Hamburg 1992 (zuerst 1957)

Jahrmarkt (3)  Wir bogen zum hauptplatze, wo man den gräulichen jahrmarckt jeweils um neumond zu begehen pflegte, mit raschen schritten ein und waren sogleich von einer festlich gekleideten menschenmenge umgeben, die hatten alle zusammen, genau wie der Rufus es profezeihet, beunruhigend große nasen vorgebunden, ja manche unter ihnen trugen sogar autobrillen, aus furcht, man möchte sie mit irgend so einem artigen riechkolben anrennen und von ohngefähr blenden!

Im fackellicht der duncklen nacht drohten uns die schaubuden und glückshäfen als ausgenommene, finster auf bambuspflöcken und stangen gespannte, elephanten oder nashornmagen. Ein geruch von gebranntem fleisch und blauem moschus lag in allen nüstern, die hohen affenbrodbäum redeten einander in zerhackten zaubersprüchen an, in höltzernen käfigen kratzten und quietschten die gefangenen mädchen, vögel legten hier und dort ihre eier in die großen hüte der würdenträger, die glücksräderchen rollten, gewinn & verlust nach den ausgestreckten händen der spieler werffend, musickanten & sängerinnen trillerten wie ein wald voll wilder vögel, daß es eine wahrhaffte freud hatt können sein, war nicht hinter aller lustbarkeit, ja in der erlustigung selbst, nur zu gut der jubel & trubel dieser trübseligen, bleichblickenden maschinerie des menschenfressertumbs zu erkennen gewesen. Mein tapferer bär und ich waren nun in unsrer verkleidung bis an die käfige der unglücklichen opfer herangekommen und konnten die metzgerischen wächter und wärter bereits mit ohnbewaffneter nase riechen .. Sie saßen müßig umher, wie eben sonst auch in edleren gegenden sauhirten oder selchergesellen umhersitzen, um die ferckel oder schinckenwürst vor dem zugriff diebischer gewalten zu bewahren. Einer von diesen unseligen unterstunde sich sogar, vor unsren augen seelenruhig ein gekochtes menschenbein abzunagen, ja, es schien ihm so zu schmecken, daß er noch lang am leergenagten knochen mit seinem schändlichen maul umführe, als könnt er überhaupt nimmer aufhören mit seiner teuffels-vesper! - H.C.Artmann, Der aeronautische Sindtbart oder Seltsame Luftreise von Niedercalifornien nach Crain. Ein fragment von dem Autore selbst aus dem yukatekischen anno 1958 ins teutsche gebracht sowie edirt & annotirt durch Klaus Reichert. München 1975 (dtv 1067, zuerst 1958)

Jahrmarkt (4)   Die Front der Schaubuden, so früh am Morgen, war mit Brettern vernagelt. Es stank nach dem Langschläferurin der Schaubudenbcsit-zer. Ihre Wohnwagen hatten den Anstrich reisender Zirkusartisten. Gott wies mit der Rechten auf die Kulissen der Lustbarkeit, sagte, seiner Rolle sicher: Eitelkeit Torheit das Laster. Paasch nickte zustimmend. Mit der Spitze des Schirms visierte er die Mitte des Riesenrads, als wollte er es um die Achse des Schirms kreisen lassen. Die Torheit ist rund, sagte Gott und tat ein Wunder: das Rad kreiste, aber die Apokalypse blieb aus. In den Gondeln vergnügte sich die Familie des Eigentümers.

Sie ließen den Jahrmarkt hinter sich. Am Kiosk der Haltestelle kaufte Paasch, Gott im Auge behaltend, die 'Ä'ELTBÜHNE und steckte sie, zusammengerollt, in den Schirm.

Geh an der Welt vorbei, sagte Gott, es ist nichts.

Schopenhauer, sagte Paasch, der es aus seines Vaters Bücherschrank hatte.

Nein, sagte der Alte. Ich bin Gott.   - Fritz Rudolf Fries, Der Weg nach Oobliadooh. Leipzig 1993 (zuerst 1975)

 

Unterhaltung Markt

 

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