ägersatzung
Sie flatterten auf eine Blüte zu, sie standen über ihr. Den Kescher
angehoben, erwartete ich nur noch, daß der Bann, der von der Blüte auf
das Flügelpaar zu wirken schien, sein Werk vollendet habe, da entglitt
der zarte Leib mit leisen Stoßen seitwärts, um genau so reglos eine
andere Blüte zu beschatten und genau so plötzlich, ohne sie berührt zu
haben, sie zu lassen. Wenn so ein Fuchs oder Ligusterschwärmer, den ich
gemächlich hätte überholen können, durch Zögern, Schwanken und Verweilen
mich zum Narren machte, dann hätte ich gewünscht, in Licht und Luft
mich aufzulösen, nur um ungemerkt der Beute mich zu nähern und sie
überwältigen zu können. Und so weit ging der Wunsch mir in Erfüllung,
daß jedes Schwingen oder Wiegen der Flügel, in die ich vergafft war,
mich selbst anwehte oder überrieselte. Es begann die alte Jägersatzung
zwischen uns zu herrschen: je mehr ich selbst in allen Fibern mich dem
Tier anschmiegte, je falterhafter ich im Innern wurde, desto mehr nahm
dieser Schmetterling in Tun und Lassen die Farbe menschlicher
Entschließung an, und endlich war es, als ob sein Fang der Preis sei, um
den einzig ich meines Menschendaseins wieder habhaft werden könne. Doch
wenn es dann vollbracht war, wurde es ein mühevoller Weg, bis ich vom
Schauplatz meines Jagdglücks an das Lager vorgedrungen war, wo Äther,
Watte, Nadeln mit bunten Köpfen und Pinzetten in der Botanisiertrommel
zum Vorschein kamen. Und wie lag das Revier in meinem Rücken! Gräser
waren geknickt, Blumen zertreten worden; der Jagende selber hatte als
Dreingabe den eignen Körper seinem Kescher nachgeworfen; und über so
viel Zerstörung, Plumpheit und Gewalt hielt zitternd und dennoch voller
Anmut sich in einer Falte des Netzes der erschrockene Schmetterling. Auf
diesem mühevollen Weg ging der Geist des Todgeweihten in den Jäger ein.
Die fremde Sprache, in welcher dieser Falter und die Blüten vor seinen
Augen sich verständigt hatten - nun hatte er einige Gesetze ihr
abgewonnen. Seine Mordlust war geringer, seine Zuversicht um so viel
großer geworden.
- Walter Benjamin, nach
(arc)
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