Jacke   Plötzlich kam ein Befehl, das Großoberbramleesegel zu setzen, und da die Fallen nicht eingeschoren waren, übertrug Jack Chase diese Arbeit mir. Nun ist das Einscheren der Fallen eines Groß-oberbramleesegels ein Geschäft, das viel Scharfsinn, Geschicklichkeit und Schnelligkeit verlangt.

Man bedenke, daß man das Ende einer etwa zweihundert Fuß langen Leine - meinetwegen zwischen den Zähnen - hinauftragen und weit auf die schwindligste Rahe hinauszerren muß. Hat man sie durch alle Arten von Verwicklungen hindurchgezogen und -gedreht, wobei man sich in den spitzesten "Winkeln um die schärfsten Ecken windet, so muß sie dann, klar von allen Hindernissen, in einer geraden lotrechten Linie bis auf das Deck hinabfallen. Im Laufe dieses Geschäfts gibt es eine Menge von Scheibenlöchern und Blöcken, durch die man sie durchholen muß. Oft ist das Tau sehr schwer zu handhaben, so als ob man ein grobes Garn in eine Batistnadel einfädelt. Es ist tatsächlich etwas, das sich selbst bei Tage nur mit großer Geschicklichkeit erledigen läßt. Man bedenke also, was es heißt, Batistnadeln bei Nacht auf See und hundert Fuß hoch in der Luft einzufädeln.

Das Ende der Leine in der einen Hand, enterte ich die Toppmastwanten empor, als unser Toppvormann meinte, ich solle besser die Jacke ausziehen, aber wenn es auch eine nicht sehr kalte Nacht war, so hatte ich doch so lange im Mars gelegen, und es war mir etwas kühl geworden, so daß es mir am besten schien, den Rat nicht zu befolgen.

Nachdem ich die Leine durch alle unteren Blöcke geschoren hatte, ging ich damit hinaus auf das Ende der Luvoberbram-rahnock und war gerade dabei, mich hinüberzulehnen und sie durch den dort aufgehängten Fallblock zu ziehen, als das Schiff in der plötzlichen Dünung der ruhigen See überholte und mich noch weiter über die Rah warf, wobei mir die schweren Schöße meiner Jacke direkt über den Kopf flogen und mich völlig einhüllten. Irgendwie glaubte ich, es wäre das Segel, das geflattert hätte, und warf unter diesem Eindruck meine Arme hoch, um es mir vom Kopf wegzuziehen. Dabei lehnte ich mich auf das Segel selbst, um mich inzwischen zu stützen. In demselben Augenblick machte das Schiff noch einen plötzlichen Ruck, und kopfüber stürzte ich von der Rah. An dem Sausen der Luft an meinen Ohren merkte ich, wo ich war, aber alles andere war nur ein Nachtmahr. Ein blutroter Schleier lag vor meinen Augen, durch den geisterhaft mein Vater, Mutter und Schwestern auftauchten und wieder verschwanden. Ein unaussprechlicher Schwindel befiel mich. Ich wurde mir bewußt, wie ich nach Luft rang. Der Atem schien mir im Leibe zu stocken. Es waren mehr als hundert Fuß, die ich fiel - tief, tief hinab mit wie im Tode zusammengepreßten Lungen. Mir war, als seien mir zehntausend Pf und Kanonenkugeln an den Kopf gebunden, als mich das unwiderstehliche Gesetz der Erdanziehung kopfüber und gerade wie ein Würfel unfehlbar auf den Mittelpunkt dieses von Land und Meer bedeckten Globus hinzog. Alles, was ich in meinem Leben gesehen, gelesen und gehört, was ich gedacht und empfunden hatte, schien sich zu einer festen Vorstellung in meiner Seele zu verdichten. Aber so dicht diese Vorstellung war, sie setzte sich zusammen aus Atomen. Da ich von der hinausragenden Rahnock hinabgefallen war, wurde ich mir einer gesammelten Befriedigung in meinen Empfindungen bewußt, daß ich nicht auf das Deck geschmettert, sondern in die unaussprechliche Tiefe des Meeres versinken würde.

Neben dem blutroten blinden Schleier vor meinen Augen hatte ich noch ein leises seltsames Summen im Kopf, als ob sich eine Hornisse darin befände, und ich sagte mir, großer Gott, das ist der Tod. Aber diese Gedanken waren ohne jede Erregung. Wie Eisblumen, deren schartige Farbtöne in der Sonne blitzen und sich verändern, waren alle meine ineinander verflochtenen vermischten Gefühle in sich eisig kalt und ruhig.

So endlos schien mir mein Fall, daß ich mir jetzt noch das Gefühl der Verwunderung darüber vorstellen kann, wie viel länger es dauerte, ehe alles vorüber war und ich aufschlug. Die Zeit schien stillzustehen und die ganze Welt an ihren Polen im Gleichgewicht zu verharren, als ich so in aller Ruhe durch die sausenden Wirbel und Strudel des Maelstroms der Luft hinabfiel.

Zuerst muß ich, wie ich bereits gesagt habe, kopfüber gestürzt sein, aber schließlich wurde ich einer schnellen schleudernden Bewegung meiner Glieder bewußt, die sich unwillkürlich ausbreiteten, so daß ich schließlich wie ein Bündel gefallen sein muß. Das Ist um so wahrscheinlicher wegen des Umstandes, daß ich, als ich auf das Meer aufschlug, so fiel, als ob mir jemand einen Schlag quer über die Schulter und einen Teil meiner rechten Seite versetzt hätte.

Als ich in das Meer hineinschoß, klang mir ein Donnerschlag ins Ohr; mir war, als flöge meine Seele aus meinem Mund. Mit den Wogen überflutete mich das Gefühl des Todes. Der Schlag der See mußte mich umgedreht haben, so daß ich, fast mit den Füßen voran, in eine sanfte, siedende, schäumende Stille hinabsank. Ein Strom schien mich hinwegzutreiben. Ohne Bewußtsein überließ ich mich ihm und sank gleitend hinab. Purpurn und reglos war die tiefe Ruhe um mich her, durchzuckt von sommerlichen Blitzen in azurner Ferne. Der furchtbare Schwindel war vergangen, der blutrote blinde Schleier verwandelte sich in ein fahles Grün, ich wußte nicht, war ich schon tot oder noch am Sterben. Aber plötzlich strich ein gestaltloser Körper an mir vorüber, irgendein träger, sich windender Fisch des Meeres. Das durch Mark und Bein gehende Gefühl, noch am Leben zu sein, durchfuhr wieder meine Nerven, und der starke Wille, dem Tod zu entkommen, durchdrang mich.

Einen Augenblick lang überkam mich ein qualvoller Wechsel der Empfindungen, als ich mich in die äußerste Tiefe versinken fühlte. Im nächsten Moment war die Wucht meines Falles erschöpft, und dann hing ich bebend in der mittleren Tiefe. Welche wilden Töne drangen da an mein Ohr! Die einen waren wie ein leises Stöhnen, wie von leichten Wellen am Strand, die anderen wild herzlos jubilierend wie die des Meeres auf der Höhe des Sturmes. O Seele, da vernahmst du das Leben und den Tod, wie der am Gestade von Korinth Stehende die jonischen und die ägäischen Wogen hört. Dieses Gleichgewicht zwischen Tod und Leben war bald vorüber, und dann fand ich mich sacht emportauchend und erblickte einen schwachen Lichtschimmer.

Schneller und schneller stieg ich hinauf, bis ich schließlich hochschoß wie eine Boje und mein ganzer Kopf in der gesegneten Luft gebadet wurde.

Ich war in einer Linie mit dem Großmast gefallen, jetzt fand ich mich querab vom Besanmast, und die Fregatte glitt wie eine schwarze Welt im Wasser langsam vorüber. Ihr riesiger Rumpf schimmerte in der Nacht und ließ Hunderte von Matrosen in den Hängemattennetzings erkennen. Einige schleuderten Taue hinaus und andere warfen kopflos die Hängematten über Bord. Aber ich lag zu weit von ihnen entfernt, um unmittelbar das zu erreichen, was sie warfen. Ich versuchte auf das Schiff zuzuschwimmen, aber sofort wurde ich mir eines Gefühls bewußt, als wäre ich in ein Federbett eingebunden, und als ich meine Hände bewegte, fühlte ich, wie meine Jacke oberhalb meines festgebundenen Gürtels vom Wasser aufgebläht war. Ich bemühte mich, sie abzustreifen, aber sie war hier und da mit Schnüren geschlossen, und die Schlingen ließen sich mit der Hand nicht lösen. Ich zog mein Messer, das an meinem Gürtel hing und schnitt meine Jacke von oben bis unten auf, als ob ich mich selbst aufschlitzte. Mit einer heftigen Anstrengung brach ich aus ihr heraus und war frei. Schwer vollgesogen, versank sie langsam vor meinen Augen.

Sinke, sinke, du Totenhemd, sagte ich mir, versinke für immer! Verfluchte Jacke, die du bist!

„Seht da, der weiße Hai!" schrie eine entsetzte Stimme vom Backbord. „Er übernimmt den Mann in sein Luk! Schnell, die Harpune, die Harpune."

In demselben Augenblick durchbohrte das gezackte Harpunenbündel die unglückliche Jacke und entschwand schnell damit unserem Blick.

Nun befand ich mich achtern der Fregatte und ruderte mit aller Kraft auf die hochragende Stange einer der Rettungsbojen zu, die ausgeworfen worden war. Bald danach fischte einer der Kutter mich auf. Als sie mich aus dem Wasser in die Luft zogen, ließ der plötzliche Übergang aus dem einen Element in das andere mich jedes Glied wie Blei empfinden, und hilflos sank ich auf den Boden des Bootes.   - (weiss)

 

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