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Dies hier ist Irak, ein zukunftsreicher Staat, er liefert
Erdöl, Weizen, Gerste, Baumwolle, Reis, Datteln. Seine Einfuhr
betrug 1924/5 191 Mill. Rupien, seine Ausfuhr, Teppiche,
Wolle, Petroleum, Opium 142 Millionen. An der Spitze des Staats
steht ein gewählter König mit einem Kabinett und acht Ministern.
Der König ernennt 20 Mitglieder des Senats, die 88 Mitglieder
des Unterhauses werden vom Volk gewählt. Die auswärtige Politik
und die Finanzen leitet England durch einen Oberkommissar. Menschen
hat es drei Millionen. Was aber ist Freiheit?
Eines Tages setzten sich die großen Mächte des Westens an den
Tisch und erklärten, sie hätten im Auge die vollkommene und endgültige
Befreiung der so lange von den Türken unterdrückten Völker und
die Errichtung von Regierungen, die ihre Autorität aus der freien
Wahl der eingeborenen Bevölkerung herleiten. Und sie gingen daran,
dies zu verwirklichen. Schon der einfache Mann weiß, welch großer
Weg von der Idee zur Tat ist, zum Beispiel Fahrstuhl fahren und
er wird grade repariert. Wie nun wird es mit der vollkommenen
und endgiltigen Befreiung der so lange von der Türkei
unterdrückten Völker gehen? Gelbe Steppe, gelbe Steppe, gelbe
Steppe. Von dem Tisch kam das beruhigende Wort: wir wollen einen
Artikel hineinsetzen, der folgenden Wortlaut hat: «Nicht
alle Völker, die jetzt befreit sind, sind imstande, sich unter
den schwierigen Verhältnissen der modernen
Welt selbst zu leiten. Ihr Wohlergehen und ihre Entwicklung bilden
eine heilige Aufgabe der Zivilisation.
Darum sollen die fortgeschrittensten Staaten die Vormundschaft
über diese Völker übernehmen.»
Von Westen erschien daher in englischer
Uniform Sir Percy Cox, genannt Kokus, setzte seinen Tropenhelm
fest und besah die Landschaft. Gelbe Steppe, gelbe Steppe, gelbe
Steppe war da, auch Petroleum, Baumwolle, ferner Gertrude Bell.
Sie war Archäologin, wußte Bescheid
von Assyrien bis Babylon. Sie holten sich den Emir Feissal, dessen
Vater Großscherif von Mekka war, und fragten ihn, ob er König
von Irak werden wollte. Er schlug ein und wurde König von Irak,
und niemand wußte es, und kein Feuer
kann brennen so heiß als heimliche Liebe,
von der niemand nichts weiß. Er wurde gewählt durch Volksentscheid
und einstimmige Wahl.
Es gab noch einen Tee bei Kokus' Frau. Zu dem hatte man Talib,
einen Edlen aus Basra, eingeladen, der anderer Meinung war. Er
trank seinen Tee. Als er aber seinen Wagen
bestieg, stand leider ein englischer Lastwagen quer über dem
Weg und Monteure waren nicht zur Stelle. Es fand sich ein Offizier,
der nahm sich des edlen Talib an. Er verschaffte ihm einen Sonderzug
und sogar einen Dampfer. Denn für manche Menschen ist es gesünder,
sie gehen an die See und fahren nach Ceylon, einer schönen weit
entfernten Insel im Indischen Meer, wo
völlige Meinungsfreiheit herrscht über die Regierung von Irak.
- Alfred Döblin, Babylonische Wandrung oder Hochmut
kommt vor dem Fall. München 1982 (dtv 10035, zuerst 1934)