nterview   Es gibt Tage, an denen einem das Alleinsein unerträglich wird, so daß ich beschließe, auf den Dachboden zu steigen, um ein Weilchen mit Matilde zu schwatzen. Soviel ich weiß, hat noch nie jemand eine Spinne interviewt. Dabei erscheint es mir gar nicht so schwierig. Ich brauche dazu nicht mehr als ein bißchen Phantasie, und diese muß ich dann in den Dienst dessen stellen, was die Spinne mir erzählen will.

Außerdem weiß ich ja, daß die Tiere in diesem Dorf keine Kinostars sind. Sie haben keine geheimen Liebesaffären zu offenbaren. Nichtsdestotrotz bin ich davon überzeugt, daß Matilde mir diesbezüglich eine Menge erzählen könnte.

Also habe ich mich neben sie gesetzt und sie ohne Umschweife gefragt, was sie von der Liebe hält.

- Was hältst du von der Liebe? fragte ich zum zweiten Mal und hob etwas die Stimme.

Schließlich antwortete sie - und sie tat es mit dem Stimmchen eines Revuegirls -, daß sie nichts davon halte, ihr genüge es, sie zu praktizieren.

- Wie oft in der Woche praktizierst du die Liebe? fragte ich daraufhin. Einmal? Zweimal? Vierzehnmal?

- Sooft ich kann, war die Antwort.

- Da hast du aber Glück, seufzte ich.

- Und dabei, fuhr ich dann fort, bist du nicht eben sehr attraktiv. Nicht einmal für die Spinnenmänner. Sei mir nicht böse, aber ich kann mir kaum vorstellen, wie du so unermüdlich bei der Sache sein kannst.

Matilde schwieg, und während sie nach einer Antwort suchte, begann die Kirchenuhr Mitternacht zu schlagen. Als der letzte Schlag verklang, sagte Matilde zu mir, ich könne denken, was ich wolle, aber in Liebesdingen habe sie immer Glück gehabt, ja, sie halte sich sogar für eine leidenschaftliche Person.

- Also gut, sagte ich zu ihr. Wenn du schon damit anfängst, dann erzähl mir doch von deiner ersten Liebesnacht.

Sie schwieg eine Weile, als wolle sie darüber nachdenken, und dann berichtete sie mit bewegter Stimme, daß in ihrer Hochzeitsnacht ein runder roter Mond über dem Fluß schien und sie sich in einem Winkel des Dachbodens geliebt hätten. Sie gestand mir auch, und ihre Stimme zitterte nicht, daß sie sich nach vollzogenem Geschlechtsakt ihren Partner einverleibt habe. Sie habe ihn restlos ausgesaugt, und das arme Männchen sei ohne einen Mucks und ohne irgend etwas zu verstehen gestorben.

So sterben sie alle, die verratenen Liebhaber, seufzte ich und war tief erschüttert. - Javier Tomeo, Der Gesang der Schildkröten. Berlin (ca.) 1998

Interview (2)

 

CALVINO Nachdem uns Herr Neander die monotone, nervenaufreibende Arbeit beschrieben hat...

NEANDER Monoton bist du! Monoton! Kannst du vielleicht Kerben in Steine hauen, lauter gleiche Kerben, kannst du monotone Kerben machen? Nicht? Na also, was redest du dann da! Ich kann es! Und seitdem ich damit angefangen habe, seitdem ich gemerkt habe, daß ich einen Daumen habe - siehst du meinen Daumen? Den strecke ich nach der einen Seite, und die anderen Finger strecke ich nach der anderen Seite, und dazwischen kommt ein Stein in die Hand, die ich schön fest zudrücke, damit er mir nicht ausrutscht; seitdem ich gemerkt habe, daß ich den Stein in der Hand halten und damit einen Schlag tun kann, so, oder so, seitdem kann ich das, was ich mit den Steinen mache, mit allem machen; aus den Tönen, die aus meinem Mund kommen, kann ich solche Töne machen: aaa, ppp, nnn, und dann höre ich nicht mehr auf, Töne zu machen, ich fange an zu sprechen und höre nicht mehr damit auf, ich fange an, vom Sprechen zu sprechen, ich fange an, Steine zum Bearbeiten von Steinen zu bearbeiten und inzwischen fange ich an zu denken, ich denke an alles, was ich beim Denken denken könnte, und dann bekomme ich auch Lust, etwas zu tun, womit ich den anderen etwas zeigen kann, zum Beispiel, mir rote Streifen ins Gesicht malen, einzig und allein um zu zeigen, daß ich mir das Gesicht mit roten Streifen bemalt habe, und dann bekomme ich Lust, meiner Frau eine Kette aus Wildschweinzähnen zu machen, einfach um zu zeigen, daß meine Frau eine Kette aus Wildschweinzähnen hat und deine nicht; du bildest dir ein, wer weiß was zu haben, was ich nicht hatte, dabei hat es mir wirklich an nichts gefehlt; alles, was später getan worden ist, habe ich auch schon gestern getan, alles, was gesagt, gedacht und ausgedrückt worden ist, war schon in dem enthalten, was ich gesagt, gedacht und ausgedrückt habe, diese ganze verwickelte Verwicklung war schon da. Ich brauche nur diesen Stein mit dem Daumen und der hohlen Hand zu halten und die anderen vier Finger darumzuschließen, und schon ist alles da; alles was es später gab, hatte ich damit, alles was man später wußte und konnte, hatte ich schon, nicht weil es mir gehört hätte, sondern weil es da war, weil es schon da war, weil es ganz einfach da war, während man es später immer weniger hatte und wußte und konnte, immer ein bißchen weniger als hätte sein können, immer ein bißchen weniger als vorher war, als ich vorher hatte, als ich vorher war; ich war damals wirklich in allem und für alles, ganz anders als du, alles war in allem und für alles, alles was nötig ist, um in allem und für alles zu sein; und auch alles, was es später an Dummheit gab, war schon in diesem deng, deng, ding, ding! Also was redest du überhaupt, für wen hältst du dich eigentlich? Was bildest du dir ein, jemand zu sein, der du doch gar nicht bist; wenn es dich gibt, dann nur weil ich da war und weil der Bär da war und die Steine und die Halsketten und die Schläge auf die Finger und alles, was nötig ist, um da zu sein, und das da ist, wenn es da ist. - Italo Calvino, Alles war schon da. Der Neandertaler. In: Unmögliche Interviews. Berlin 1996

Interview (3)  Drei Schritt von der neuesten Form von Weibtum in der Welt entfernt zu sein, flößte mir, nun - um es milde auszudrücken, Unbehagen ein.

Eine Weile machte sie sich nicht die Mühe zu antworten. Wenn man sie von oben betrachtet, ist sie nur ein kleiner grauer Fleck. Aus der Hocke betrachtet, ist sie eine eigenwillige kleine Hochbahnlok. Wenn es Ihre Würde erlaubt, sich mit ihr im Gesichterschneiden zu messen, werden Sie schon nach dem ersten Kreisen des höhnischen Mundes meilenweit hinterherhinken, denn, glauben Sie mir, Dinah verfügt über das perfekteste Sortiment hemmungsloser Scherze, wem immer sie sich auch gegenübersehen mag. Ihr Gesicht ist der Absprungbalken des Humors.

Nachdem ich ihr so gute zwanzig Minuten hinterhergekrochen war, setzte ich mich hin und ging mit mir zu Rate. Ich sagte mir: Nun wollen wir doch mal sehen, ob die Vorzüge der Zivilisation mich nicht nach allem doch befähigen, diese ziemlich einmalige Situation zu meistern.

Erneut drang ich in sie mit den Worten: »Also, Dinah, nun beantworte mir mal meine Frage. Was hältst du denn von unseren Vereinigten Staaten? Du bist doch schon einen Monat hier.«

Sie verharrte reglos, den Kopf schiefgelegt.

Djzna Barnes mit Gesprächspartnerin

Djuna Barnes ....

»Warte mal ...« Sie legte die Hand ans Ohr und bürstete sich  ein  Stück  Sackleinen  von der Schulter. (Ich interpretiere frei nach Professor Garners Regeln.) »Das erste, was wirklich meine Aufmerksamkeit erregt hat, war der Taxameter in dem Wagen, den Professor Garner genommen hat, um mich hierher in den Zoo zu bringen. Das Ding kletterte genau dreieinviertelmal schneller als ein Schimpanse, viermal schneller als ein gewöhnlicher Affe und sechsmal schneller als ein Gorilla. Es war mir zuwider, alles so außer Kontrolle geraten zu sehen.

Außerdem hat es mich doch ziemlich betrübt«, fuhr sie klagend fort, »beobachten zu müssen, daß die Sonne in New York keine Chance hat und der Mond nur eine Erinnerung an vergangene Tage ist. Ich konnte gar nicht feststellen, ob hier Tageslicht oder Elektrizität herrschte.«

Sie unternahm einen kleinen Ausflug durch den Käfig, wobei sie zwischen   Engelholms   Beinen   hindurchtauchte. Dann verharrte sie abrupt und lächelte.

»Nur eins habe ich bis jetzt noch nicht ausprobiert.«

»Und was ist das?«

»Kaugummi!   Phänomenal!   Ich   wüßte gern, was an dieser kleinen Leckerei das ist, das soviele  Menschen unter ihren  Hüten kreisen läßt. Doch hier im Zoo habe ich bis jetzt das seltsamste und zugleich lustigste Zeug zu  essen  bekommen,  das  mir je über den Horizont gegangen ist: Bananen,  Orangen,  Fleisch  und vor allem Croissants.«  

Blick, fragender

.... mit Gesprächspartnerin

- Djuna Barnes, New York. Berlin 1987 (zuerst 1914)

Interview (4)  „Aha!... da gibts nichts zu 'ahaen'!... gehn Sie mit einem Sprung pinkeln und kommen Sie wieder! fertig!"

„Nein!... ich möchte lieber!... ich werde nachher pinkeln! ... vielleicht ist die Pißbude besetzt? ..."

Ein schöner Vorwand!

„Sie sind ein Nörgler, Oberst! ... aber gut! ... wenn Sie sich vollpissen wollen? nur zu! ich werde meine Geschichte fertig erzählen!"

„Ja, schnell!... ja, schnell!"

„Also! ... Blaise Pascal! ... erinnern Sie sich an Blaise Pascal? ..."

„Ohja! ...ja!"

„Die Offenbarung, die er auf der Brücke von Neuilly gehabt hat? ... die scheuenden Pferde? ... die stürzende Kutsche? ... das weggerissene Rad? ... wie er beinahe abgesoffen wäre?"

„Oh ja! ...oh ja!..."

„Sie erinnern sich?"

Er saß... er hielt es nicht mehr aus... er stand wieder auf... er fummelte sich wieder im Schritt rum ... ich hielt ihn davon ab zu gehen!... aber nein!... aber nein!  

„Gehn Sie doch!"

„Ach ja!... Blaise Pascal!"

Er erinnerte sich ...

„Der mit den GedankenT

„Haargenau! haargenau, Oberst! der, der überall nur noch einen Abgrund sah! immer einen Abgrund! ... seit diesem Tag! ... nach dem Entsetzen! ... der Abgrund zu seiner Rechten!..."

„Ja, zu seiner Rechten!"    ...
Er wiederholte alle meine Worte ...

„Gehn Sie pinkeln, Oberst!"

„Oh nein! oh nein! nein!"

„Gut! wie Sie wollen! der Abgrund zu seiner Rechten!" „Zu seiner Rechten!"

„Und dann in der Luft, Oberst! in der Luft, danach! Die unendlichen Räume schrecken mich! auch von Pascal, Oberst! ein wahnsinniger Gedanke von Pascal!... erinnern Sie sich?"

„Ja!ja!ja!"

„Das hat sein Leben verändert, dieser furchtbare Zwischenfall auf der Brücke! ... von Grund auf! das Genie freigesetzt! sein Genie!..."

„Ach was?"

„Ja, Oberst! ... und ich! sehn Sie mich an, Oberst! Ich bin einer vom Schlag Pascals..."

„Nicht möglich?"

„Doch! doch! ... wenn ich's Ihnen sage! ... verdammt nochmal! sehn Sie mich an!"

Er zappelte immer mehr ... gleichzeitig eine furchtbare Grimasse! ... er litt ... er konnte nicht mehr ... ich kann wohl sagen, daß die Leute auf uns aufmerksam wurden ... Urin floß seine Beine runter ... der Sand war schon voll! ... er zappelte in seiner Lache rum ... wenn ich ihm 'ne Kopfnuß verpassen würde? ... mal angenommen? ... er würde aus den Latschen kippen! ... ich wär ihn los! aber was wäre mit meinem Interwjuh? ... das beinah fertig war!... nur noch ein paar Worte? ...

„Wollen Sie nicht pinkeln gehen? wirklich nicht? gut! ... wie Sie wollen! ... - Louis-Ferdinand Céline. Gespräche mit Professor Y. Hamburg 1986 (Edition Nautilus. Zuerst 1955)

Interview (5)  

Dialog
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