Interesse, philosophisches (an Frauen) Was ihm noch übrigblieb von Zeit und Kraft in dem Wirbel der Zerstreuungen, wandte er auf ein Mädchen, die er so sehr als möglich allein zu besitzen strebte, obgleich er sie unter denen gefunden hatte, die beinah öffentlich sind. Was sie ihm so interessant machte,  war nicht allein das weshalb sie allgemein gesucht und gleichsam berühmt war, ihre seltne Gewandtheit und unerschöpfliche Mannigfaltigkeit in allen verführerischen Künsten der Sinnlichkeit. Ihr naiver Witz überraschte ihn mehr und reizte ihn am meisten, wie die hellen Funken von rohem tüchtigem Verstand, vorzüglich aber ihre entschiedne Manier und ihr konsequentes Betragen. Mitten im Stande der äußersten Verderbtheit zeigte sie eine Art von Charakter; sie war voll von Eigenheiten und ihr Egoismus nicht im gemeinen Stil. Nächst der Unabhängigkeit liebte sie nichts so unmäßig wie das Geld, aber sie wußte es zu brauchen. Dabei war sie billig gegen jeden, der nicht sehr reich war und selbst gegen die ändern treuherzig in ihrer Habsucht und ohne Ranke. Sie schien ganz sorgenlos nur in der Gegenwart zu leben und war doch immer auf die Zukunft bedacht. Sie sparte im Kleinen um nach ihrer Art im Großen zu verschwenden und im Überflüssigen das Beste zu haben.  Ihr Boudoir war einfach und ohne alle gewöhnlichen Meublen,  nur von allen Seiten große,  kostbare Spiegel und wo noch Raum übrigblieb, einige gute Kopien von den wollüstigsten Gemälden des Correggio und Tizian, desgleichen einige schöne Originale von frischen, vollen Blumen- und Fruchtstücken; statt der Lambris die lebendigsten und fröhlichsten Darstellungen in Basrelief aus Gips nach der Antike; statt der Stühle echte orientalische Teppiche und einige Gruppen aus Marmor in halber Lebensgröße: ein gieriger Faun, der eine Nymphe, die im Fliehen schon gefallen ist,  eben völlig überwinden wird; eine Venus, die mit aufgehobenem Gewände lächelnd über den wollüstigen Rücken auf die Hüften schaut und andre ähnliche Darstellungen.

Hier saß sie oft auf türkische Sitte Tage lang allein und die Hände müßig im Schoß, denn sie verabscheute alle weiblichen Arbeiten. Sie erfrischte sich nur von Zeit zu Zeit mit Wohlgerüchen und ließ sich dabei von ihrem Jockey, einem bildschönen Knaben, den sie sich in seinem vierzehnten Jahre eigens verführt hatte, Geschichten, Reisebeschreibungen und Märchen vorlesen. Sie gab wenig darauf acht, außer wenn etwas Lächerliches vorkam, oder eine allgemeine Bemerkung, die sie auch wahr fand. Denn sie achtete nichts und hatte Sinn für nichts als für Realität und fand alle Poesie lächerlich.  - Friedrich Schlegel, Lucinde (1799)

Interesse

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