Initiation, afrikanische    Sie lag auf ihrem Bett, ohne jede Schminke, blickte nach draußen über das Domengestrüpp hinweg und stöhnte: »La lumière... Oh! la belle lumière...«

Gegen elf kamen zwei junge Bororo. Sie trugen kurze Damenröcke und Strohhüte und sahen neckisch aus.

Die Bororo sind Nomaden, die den Sahel durchwandern. Sie hegen eine tiefe Verachtung für materiellen Besitz und konzentrieren ihre sämtlichen Energien und Gefühle auf die Zucht ihrer schönen Rinder mit den lyraförmigen Hömern und auf die Pflege ihrer eigenen Schönheit.

Die Jungen — der eine mit dem Bizeps eines Gewichthebers, der andere schlanker und schön — waren gekommen, um Marie zu fragen, ob sie etwas Schminke übrig habe.

»Mais sûrement...« rief sie aus dem Schlafzimmer, und wir gingen alle zusammen hinein.

Sie griff nach ihrem Schminkkoffer, schüttete den Inhalt über der Bettdecke aus und sagte hin und wieder: »Non, pas ga!« Trotzdem nahmen die Jungen jeden Farbton von Lippen-süß, Nagellack., Lidschatten und Augenbrauenstift an sich. Sie wickelten ihre Beute in ein Kopftuch. Sie gab ihnen ein paar alte Ausgaben der Zeitschrift Elle. Dann schlurften sie mit ihren Sandalen über die Terrasse und rannten lachend davon.

»Es ist für ihre Zeremonie«, sagte mir Marie. »Heute abend werden sie beide Männer. Das müssen Sie sehen! Un vrai spectacle

»Das muß ich sehen!» sagte ick.

»Eine Stunde vor Sonnenuntergang«, sagte sie. »Vor dem Palast des Emirs.«

Auf dem Dach des Palastes hatte ich einen Logenplatz mit Blick in den Hof, wo drei Musiker spielten: ein Flötenspieler, ein Trommler und ein Mann, der an einem Instrument mit drei Saiten zupfte, dessen Resonanzboden aus einer Kalebasse gemacht war.

Der Mann, der neben mir saß, ein ancien combattant, sprach gut Französisch.

Ein Zeremonienmeister erschien und befahl zwei jungen Assistenten, einen Kreis aus weißem Puder, wie bei einer Zirkusarena, in den Sand zu streuen. Als das getan war, standen die jungen Männer Wache vor dem Kreis und gingen mit Streifen von Palmzweigen auf jene los, die die Linie überschritten.

Unter den Zuschauem befanden sich zahlreiche Bororo-frauen in mittlerem Alter mit ihren Töchtern. Die Töchter trugen eine Art weißen Schleier. Die Mütter waren in Indigoblau gehüllt, und an ihren Ohren klapperten Messingreifen. Sie ließen ihre Blicke über Schwiegersöhne in spe schweifen, mit dem Sachverständnis von Frauen beim Verkauf von Vollblutpferden.

Im Innenhof waren die jungen Männer, die in den vergangenen vier Jahren gezwungen gewesen waren, in Frauenkleidern herumzulaufen. Wir hörten einen Ausbruch wilder Schreie: dann kamen, begleitet vom Rattern der Trommel, die beiden Jungen herein, die Maries Schminke dick aufgetragen hatten,

Der »Robuste« hatte einen rosaroten Amorsbogen um seine Lippen gezogen; seine Fingernägel waren scharlachrot und seine Augenlider grün. Sein trägerloses bauschiges Kleid bestand aus blaßlila Streifen, die auf einen rosaroten Unterrock genäht waren. Die Wirkung wurde durch schillerndgrüne Socken und ein Paar Tennisschuhe zunichte- gemacht.

Sein Freund, der »Schöne«, trug einen enganliegenden malvenfarbenen Turban, war in ein grünweiß gestreiftes Futteralkleid gehüllt und bewies einen ausgeprägten Sinn für zeitgemäße Mode. Er war mit dem Lippenstift sehr sparsam umgegangen und hatte auf jede Wange säuberlich zwei Rechtecke aus rosa und weißen Querstreifen gemalt. Er trug eine Sonnenbrille mit Spiegelgläsern und bewunderte sich in einem Handspiegel.

Die Menge jubelte.

Ein anderer junger Bororo kam mit drei verschiedenen »Herkules«-Keulen dazu, die aus einem Akazienstamm geschnitzt worden waren. Er bot dem Schönen eine der Waffen zur Wahl an.

Der Schöne nahm seine Sonnenbrille ab und zeigte mit einer schlaffen Geste auf die größte, steckte sich etwas in den Mund und winkte seinen Freunden auf dem Dach zu. Sie brüllten beifällig und hoben ihre Plastikhüte auf Speerspitzen in die Höhe.

Der Zeremonienmeister nahm die Keule, die der Schöne gewählt hatte, und mit der Feierlichkeit eines Kellners, der einen Chäteau Laßte serviert, präsentierte er sie dem Robusten.

Der Schöne bezog jetzt Stellung in der Mitte des Kreises, hielt seine Sonnenbrille über den Kopf und begann, im Falsett ein Lied zu singen. Der Freund schwang währenddessen mit beiden Händen die Keule und führte am Kreis entlang Pirouetten aus.

Der Trommler beschleunigte den Rhythmus. Der Schöne sang, ah würden ihm die Lungen platzen; und der Robuste, der immer schneller wirbelte, kam näher. Schließlich schleuderte er die Keule mit einem knochenzermalmenden Schlag gegen die Rippen seines Freundes, und der Freund stieß ein triumphierendes »Au... a... a... a... a... ,« aus, wich jedoch nicht zurück.

»Was hat er gesungen? «fragte ich den ancien combattant.

»Ich kann einen Löwen töten«, sagte er. «... Ich habe den größten Schwanz... Ich kann eintausend Frauen befriedigen...«

»Natürlich«, sagte ich.

Nachdem sie denselben Vorgang zweimal wiederholt hatten, war der Schöne an der Reihe, den Robusten mit der Keule zu schlagen. Ah das vorbei war, sprangen die beiden - beste Freunde und Blutsbrüder fürs Leben - zwischen den Zuschauern hin und her, die ihre Hände ausstreckten und ihnen Geldscheine auf das Make-up klebten.  - (chatw)

Initiation

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