Infrarot   Er spürte, wie er schon abdriftete, als er eben noch die Lampe ausschalten wollte, um nun zu schlafen. Es war zwar sowieso schon dunkel. Der Maresciallo hatte keinen sehnlicheren Wunsch als den, daß der Mann neben ihm still sein möge. Er wollte nicht abgelenkt werden. Ihm war nicht ganz klar, warum die gerade vor seinen Augen abgelaufene Szene just in dem Moment, in dem er das Licht ausschaltete, von einem glühenden Rot überzogen wurde. Vielleicht lag es ja daran, daß man sonst in der undurchdringlichen warmen Dunkelheit überhaupt nichts gesehen hätte.

Sein Herz hämmerte laut, und er wußte, daß Furcht der Grund dafür war, obwohl er die Furcht selbst gar nicht klar empfand. Auf alle Fälle mußte er wachsam sein. Er war nie ein Voyeur gewesen, und er hatte sich nie vorstellen können, wie das wohl sein mochte. Aber er war ja auch dienstlich hier, und das war etwas anderes.

Der Mann neben ihm stieß ein leises, von panischer Angst erfülltes Wimmern aus. »Leise...«

Konzentrieren. Er mußte sich konzentrieren. Er konnte alles sehen, und er mußte jede Einzelheit aufnehmen. Die dünne, schwarz gekleidete Gestalt zog den Körper der jungen Frau nun hinter sich her den Abhang hinab. Die Frau war nackt, und ihre Haut schimmerte rosa in dem roten Licht - einem Infrarotlicht.

Der Mann legte den Frauenkörper auf der Erde ab und breitete Arme und Beine auseinander. Seine Bewegungen waren schnell und ruckhaft wie in einem Stummfilm. Bevor er sich ernsthaft an die Arbeit machte, schien er sich aufzurichten und den Maresciallo aus rotgesprenkelten, funkelnden Augen anzuschauen. Doch dem unverwandten Blick des Maresciallo begegnete nur ein Auge, dessen Pupille vom Drogenkonsum geweitet war. Das andere Auge war starr und blicklos.

Dann beugte sich die Gestalt ächzend wieder nach unten. »Nein!« Doch der Film spulte sich unaufhaltsam immer weiter ab, und neben dem Maresciallo rief nun auch der Verdächtige laut. »Nicht! Sei still!« Zu seiner Erleichterung wurde dem Maresciallo die Vorführung der Verstümmelung erspart. Der Mann schien sich in einer leidenschaftlichen Umarmung auf dem reglosen Körper zu bewegen, und es blieb dem Maresciallo überlassen, allein darauf zu kommen, daß jeder flüchtige Kuß und Biß in den Hals in Wirklichkeit ein kleiner Messerstich war und daß der Mann, als er die linke Brust der Frau umfaßte und, auf die andere Hand gestützt, scheinbar in sie eindrang, in Wirklichkeit mit dem Messer noch tiefer schnitt.

Das Geheul neben ihm wurde lauter. Wie konnte er sich beiden Problemen gleichzeitig widmen? Das war zuviel. Zum Glück war der Verdächtige so klein, daß es am einfachsten war, ihn hochzuheben und fortzutragen.

Er klemmte sich den in Tränen aufgelösten Wmzling unter den linken Arm und wandte sich nach links zu der dunklen Straße.

»Kommen Sie weg da. Das ist nichts für Sie.«  - Magdalen Nabb, Das Ungeheuer von Florenz. Zürich 1997

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