Immer mehr fühlte ich das gemeinsame Band in allem. Farben, Düfte, Töne und Geschmacksempfindungen waren für mich austauschbar. Und da wußte ich es: — die Welt ist Einbildungskraft, Einbildung — Kraft. Überall, wohin ich ging und was ich trieb, war ich bemüht, meine Freuden und Leiden zu verstärken, und heimlich lachte ich über beides. Wußte ich es doch jetzt sicher, daß das Hin-und Herpendeln ein Gleichgewicht darstellt; gerade bei der weitesten und heftigsten Schwingung kann es sich am deutlichsten fühlbar machen.
Einmal sah ich die Welt als ein teppichhaftes Farbenwunder, die überraschendsten
Gegensätze alle in einer Harmonie aufgehend, ein andermal überschaute ich ein
unermeßliches Filigran der Formen. In der Finsternis umrauschte mich eine Orgelsymphonie
von Tönen, worin sich pathetische und zarte Naturlaute zu verständlichen Akkorden
ergänzten. Ja, ganz neuartige Empfindungen erfaßte ich nachtwandlerisch. Ich
entsinne mich jenes Morgens, da ich mir wie das Zentrum eines elementaren Zahlensystems
vorkam. Ich fühlte mich abstrakt, als schwankender Gleichgewichtspunkt von Kräften
— ein Gedankengang, der mir niemals wieder gekommen ist. Nun war ich mitten
unter den großen Burlesken ein Hauptlacher, ohne zu verlernen, mit den Gequälten
zu zittern. In mir war ein Tribunal, das alles beobachtete, und da wußte ich,
daß im Grunde gar nichts geschah.- Alfred Kubin, Die Andere Seite. München 1975 (zuerst 1909)
|
||
|
||