Indien, altes  - Indische Sexualität? Die klassischen indischen erotischen Texte unterscheiden sich sehr voneinander. Ihnen im Westen ist nur das Kamasutra bekannt, aber es stammt aus dem 3.Jahrhundert, unsere früheste und vielleicht auch profundeste Untersuchung sexueller Praktiken. Ein Werk analytischer Beschreibung ebenso wie praktischer Anleitung. Die Werke, die danach kamen, sei es im 12. Jahrhundert das Kokashastra oder im 16. Jahrhundert das Ananga Ranga, sind in schamhafter Kenntnis des Kamasutra geschrieben. Burton war von dem alten Indien angezogen, das in sexueller Hinsicht ein aufgeklärteres Land war. Frauen genossen alle Freiheiten, Sex vor der Ehe war ebenso akzeptiert wie außerhalb der Ehe. Ehebruch war im alten Indien eine Selbstverständlichkeit, und Autoren wie Vatsyayana diskutierten das Thema ohne moralische Erregung. Denn das Kamasutra ist, ich vermute, Sie kennen es, geprägt von einem kühlen Pragmatismus, der Verführung und Beglückung stets den Vorzug vor Leidenschaft und Liebestollheit gibt. Die Kurtisanen waren hochgebildete und künstlerisch bewanderte Frauen, keine Huren. Die Tabus bezogen sich eher auf Sex zwischen verschiedenen Kasten und auf Fragen der Hygiene und Ästhetik. Sex an sich war nie schmutzig, sondern nur wenn ein Element der Verunreinigung hinzukam. Zudem verband das Sexuelle das Diesseitige mit dem Jenseitigen; der altindische Himmel ist bewohnt von Glamourgirls, die sogar zur Erde gerufen werden können. In der Ramajana wird beschrieben, wie ein rishi1* die Armee auf ihrem Weg zum verbannten Rama willkommen heißt. Aus dem Paradies von Indra rief er Heerscharen von apsaras** herab. Brahma schickte zwanzigtausend Schönheiten, Kubera und Indra zogen mit ihm gleich, und sogar die Lianen im Wald verwandelte der Yogi in verführerische Gestalten. Diese Liebesdienerinnen bereiteten jedem Krieger ein Bad - wohlgemerkt: die meisten von ihnen waren verheiratet -, offerierten ihm ein belebendes Getränk und >die Blüte ihres göttlichen Körpers<, so steht es wortwörtlich in dem Text.

Dr.Tawalkar lehnte sich zufrieden zurück, nahm einen Schluck Wasser aus einem Messingbecher, drehte sich um und holte nach kurzem Zögern ein Buch aus dem Regal, ehe er fortfuhr.

- Nicht nur bildeten Sex und Religion bei uns eine Einheit, wie sie in keiner anderen Religion erreicht worden ist, Sex konnte sogar Belohnung für ein religiös korrekt geführtes Leben sein. Aber dann kam unser Mittelalter. Moral wurde zu einem Korsett, die religiösen Texte beschnitten die Rolle der Frau, definierten ihre Position ausschließlich über den Gehorsam gegenüber ihrem Ehemann. Ich werde Ihnen eine Stelle aus dem Brahmavaivarta Purana vorlesen.  - Sir Richard Francis Burton, nach: Ilija Trojanow, Nomade auf vier Kontinenten. Auf den Spuren von Sir Richard Francis Burton. München 2008 (zuerst 2007)

* Sanskrit: Ein weiser Mann, der oft mit übernatürlichen Kräften ausgestattet ist
** Sanskrit: Najade, Wassernymphe

Indien

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