dentitätswechsel Er, Arnold Tilh, und Martin Guerre hatten zusammen
in Kriegsdiensten gestanden und waren vertraute Freunde und Zeltkameraden gewesen.
Martin hatte ihm bei verschiedenen Gelegenheiten alles Mögliche von seinem Herkommen,
seinem Vermögen, seinen Eltern und seinem Weibe auf das Umständlichste erzählt;
ja einmal in der Trunkenheit hatte er ihm auch die Geheimnisse seines Ehebettes
entdeckt. Als er den Abschied genommen und nach Hause gekehrt, hätten ihn mehrere
Leute als Martin Guerre angeredet und begrüßt, selbst mehrere von den vertrauteren
Freunden desselben. Anfangs mochte er aus Scherz darauf eingegangen sein. Da
ihm die Rolle aber über alles Erwarten glückte, sei er zuerst auf den Gedanken
gekommen, Ernst daraus zu machen und allen möglichen Vorteil davon zu ziehen.
Aus dem Scherze wurde ein Studium. Er entlockte diesen Freunden seines Kameraden
beim traulichen Gespräche auf der Straße und in den Herbergen immer neue Umstände,
die er gebrauchen konnte, und frischte die Erinnerungen an das auf, was ihm
aus Martins Mitteilungen entfallen war, weil es ihn damals wenig interessiert
hatte. So zog er, wohlvorbereitet und gerüstet, in Artigues ein, wo alles nach
seinem Wunsche und über Erwarten ging. Von Bertranden selbst wußte er hier im
täglichen und nächtlichen Gespräche die lückenhafte Kenntnis über sein früheres
Leben allmählich immer mehr zu ergänzen, in dem er auf dieses und jenes die
Rede lenkte, immer, als wolle er seine eigene Erinnerung sammeln, und sie wurde,
ihn bestreitend oder ihm aushelfend, ohne Arg und Mitwissenschaft seine Lehrmeisterin
und Gehilfin im Betruge. - Der neue Pitaval. Eine Sammlung der interessantesten Criminalgeschichten
aller Länder aus älterer und neuerer Zeit. Hg. vom
Criminaldirector J. E. Hitzig und Dr. W. Häring. Frankfurt am
Main 1986 (it 819, zuerst 1842)
Identitätswechsel (2) Ich nahm schon bald die Gewohnheit an, jedesmal, wenn ich eines der düsteren Zimmer betrat, mit raschem Blick zu prüfen, ob seine schattigen Ecken auch niemanden verbargen. Um ganz sicher zu sein, verbrannte ich in meinem Zimmer alle meine Ausweispapiere und behielt nichts als Bernards Soldbuch und die Briefe, die Hélène an ihn gerichtet hatte.
So überwachte ich alle und gewann zugleich die Überzeugung, daß die anderen auch mich überwachten; darin irrte ich mich vielleicht, aber die Stille in den großen, halbdunklen Räumen, die Paravents und Schränke, das alte Mobiliar schufen eine Atmosphäre bedrohlicher Fremdheit, die meine Sinne stets in Alarmzustand hielt. Ohne bestimmte Absicht strich ich durch die Zimmer, in denen Erinnerungen an die große Pariser Weltausstellung neben Familienerbstücken standen, die einige Generationen von Industriellen und Beamten hier aufgehäuft hatten: manche von ihnen blickten noch aus nachgedunkelten Porträts von den Wänden herab ...
Ich kannte den Duft Hélènes, der klar und bestimmt war, und den von Agnes,
der ungewiß in den Räumen verschwamm, und manchmal packte mich das Begehren
beinahe übermächtig. Es hätte mir so wohlgetan, gerade hier, in diesen melancholischen
Räumen, in denen der Staub sich lautlos häufte wie Pollen. Ich kannte mich nicht
mehr. - Boileau / Narcejac, Ich
bin ein anderer. Reinbek bei Hamburg 1990
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