Ich bin der große Gaukler Vauvert. Ich bin aus dem Abgrund der falsche Prophet, Ich bin der Geheimnisse lächelnder Ketzer, |
- Hugo Ball, nach: Richard Huelsenbeck (Hg.): Dada. Eine
literarische Dokumentation. Reinbek bei Hamburg 1964
Ich (122) Auch Aristoteles hat es erkannt, wenn er vom Bewegenden Organon spricht. Wer, glaubt ihr, ist dieses Bewegende Organon ? Ich natürlich, ob es euch nun paßt oder nicht. Plato dagegen, woher will er wissen, daß die reine Anschauung genügt? Ich existiere, warum wollt ihr mich nicht zur Kenntnis nehmen, vor allem gewisse Philosophen? In euern Philosophien werde ich nie erwähnt, warum nicht? Antwortet mir. Was hofft ihr zu erreichen ? Wollt ihr mich eliminieren? Ich existiere aber, und ihr wißt es auch, obwohl ihr es nicht zugebt, wenn ihr vom Menschen redet. Studiert, studiert nur, ihr Philosophen, wie aber seid ihr auf die Welt gekommen ? Wenn es mich nicht gab, dann gab es auch euch nicht, und ihr hättet nicht philosophieren können. Warum eigentlich haßt ihr mich? Ich möchte nicht verkümmern wie gewisse Indianer-Stämme, die mich mit Hilfe von geistigen Exerzitien vergessen haben und auf natürliche Weise ausgestorben sind. Sie haben es mehr oder weniger wie Plato gemacht and sich mit der reinen Anschauung begnügt. Hier beginnt das Problem des Ichs oder, man könnte auch sagen, das des Menschen, das heißt das der ganzen Menschheit als artikulierte Subjektivität. So drückt sich Husserl aus. Kaum sage ich nämlich ich, so verwandelt sich dieses Ich in ein Anderes-Ich, das heißt, in uns alle miteinander. Aber wer sind denn wir? Das heißt, wer sind wir als Elemente der Wirklichkeit der Welt? Und ist diese Wirklichkeit nicht zufällig ein Phänomen, das seine Bedeutung erst in unserem Reden über sie gewinnt? Und ver stellt denn diese Fragen, die ich jetzt stelle? Ich oder wir alle miteinander?
Und dieses Ich, das Fragen stellt, wer ist es ? Vielleicht der Boß? An den Unterzeichnenden denkt ihr nicht? Da habt ihr mich also schon wieder vergessen. Es ist eine Schande, ihr behandelt mich wie die Rassisten einen afrikanischen Neger, übertreibt ihr da nicht ein wenig ? Daß es schwierig ist, mir in der Gesamtheit des Ichs eine absolute Individualität zuzuerkennen, das kann ich begreifen. Dann bin ich also nach eurer Ansicht ein Unter-Ich, und meine Individualität ist eine reine Illusion? Das muß ungefähr Husserls Vorstellungen entsprechen. Und doch ist das ein sehr kluger Philosoph. Ich muß mich über ihn wundern.
Ich und die Gesamtheit des menschlichen Körpers. Wir sind zu zweit, auch wenn ich das bewegende Ich bin. Wo aber ist das primäre Ich? Bin ich es oder wer ist es? Den Boß schließe ich aus. Vielleicht ist es der Arsch des Menschen. Den sollte man auch nicht unterschätzen. Wenn Hermes vom Krater der Weisheit sprach, was glaubt ihr, auf wen er da anspielte?
Husserl und seine Philosophie, meiner Meinung nach seid ihr auf dem
Holzweg. Das Geheimnis der Existenz des Menschen haben sie vergessen,
ihr alle habt dieses Problem mit euren universellen Abstraktionen
vergessen. Ihr geht aber umher auf den Straßen mit euern Beinen, die
zum menschlichen Körper gehören. Ihr könnt gehen. Ihr könnt essen. Und
ich sollte nur das Instrument eures Vergnügens sein? Nein, meine
Lieben, da täuscht ihr euch. Ich bin das Schöpferische Lebenszentrum,
das heißt der Protagonist, das Individuum, die Person. Ich stelle den
Menschen dar. - Luigi Malerba, Der
Protagonist
. Berlin
1989 (zuerst 1973)
Ich (123) MANGANELLI Dann liebten Sie diese Zersetzung der Gegenstände, ihre fleischliche Bestimmung also nicht?
GAUDI Doch, doch: ich liebte sie, diese Zersetzung,
doch da ich ein bescheidener und unbedeutender Sünder bin, liebte ich
sie bisweilen als zersetztes und mithin vervielfachtes, als
zersetzendes und mithin tödliches Leben; ich selbst war — Sie werden
eine Photographie von mir gesehen haben - ein unschöner, widerwärtiger,
neurolabiler Mann, ein Witz der Natur, und doch liebte ich mich
zuweilen — stellen Sie sich die Ungeheuerlichkeit vor, ich liebte mich
- als lebendes Wesen; zuweilen liebte ich mich als Krankheit, was
weniger schändlich war; zuweilen schließlich liebte ich mich als
notwendige, obschon im Angesicht des Todes unliebsame und vertrackte
Erfindung; und dies war eine rechtmäßige Vorliebe für die eigenen
Glieder. Sehen Sie, jene Pseudogemahlin, die mir das Zimmer aufräumte,
gemahnte mich, daß die Unordnung zwar krank und wunderbar letal, jedoch
allein die Ordnung endgültig ist; mein Zimmer also war so sauber wie
der Anfangsbuchstabe »I«; Dies Irae; ein »I«, groß genug, um meinen
lebendigen und toten Leib aufzunehmen — wie Ihnen ja bekannt ist, bin
ich auf lächerliche, ja äußerst witzige Art gestorben -, ich war
nämlich ein sehr witziger Mensch, müssen Sie wissen. Ich bin unter
einer Straßenbahn gestorben. Stellen Sie sich vor: Gaudi findet den Tod
unter einem Objekt, das so sehr den Fortschritt verkörpert! Das ist,
als würde man eine Fiale füsilieren, finden Sie nicht? Aber ich
schweife ab. - Giorgio Manganelli, Von der Unzucht mit Steinen.
Antoni Gaudí y Cornet. In: Unmögliche Interviews. Berlin 1996
Ich (124) bin vielleicht mit einem Sinn für Widerspruch geboren. Und ich widerspreche in allem. Aber ich bin noch nicht sicher, daß ich mit dem Sinn für Widerspruch geboren bin. Es könnte auch sein, daß ich in irgendeiner Weise mir eine Welt aufbauen muß, die logisch und geordnet ist, und daß sich bei mir nur der Widerspruch früh eingestellt hat als ein Instrument, mit dem man das Richtigere ausgraben kann.
Ich bin in keiner Hinsicht ein Sucher nach Wahrheit. Ich liebe überhaupt die hochtrabenden Worte nicht. Ob es eine oder tausend Wahrheiten gibt, das habe ich noch nie versucht zu überlegen. Ich würde denken, daß es enge und weite Gesichtsfelder gibt, in denen man die Dinge zur Übereinstimmung bringt. Ich habe die Neigung zu den weiten sowie tiefen Gesichtsfeldern. Das ist alles. Wenn ich die Meinungen der Welt nicht anerkennen kann, so ist das nur, weil ich sie so dumm, so langweilig, so in ein Geleise eingefahren finde wie eben die Eisenbahnzüge, die hin und her, her und hin fahren, und nach und nach ist es gerade diese Strecke, an der nichts mehr zu erleben und zu sehen ist, genau wie auf den Autobahnen.
Natürlich will auch niemand die Bahnstrecken, die Autobahnen, die Luftwege fahren. Er will sie nur »hinter sich« bringen, denn am Ende dieser ganzen Geleise fängt erst das »Leben«, das »Geld« an, erfaßbar zu werden. Den heutigen Menschen den Vorwurf machen, daß sie geldgierig sind, das ist billig. Aber ich werde keinen Zweifel darüber lassen, daß ich die Geldwirtschaft für vollkommen unsinnig und verwerflich halte. Wie diese Wirtschaft funktionierte in Zeiten, in denen man das Geld noch nicht erfunden hatte, das werde ich mit mir diskutieren. (Mit mir und mit niemand sonst, denn ich habe gefunden, daß man mit anderen niemals diskutieren kann.)
Mir scheint es besser, daß man mit sich allein diskutiert, immer
verschweigt, was man gefunden hat, immer auch vergißt, was man gefunden
hat, und eines Tages mit frischen Kräften an die gleiche Frage geht.
Während der Arbeit wird man schon ungefähr erinnern, was man früher
gedacht hat; aber es ist gut, wenn man sich das Gedächtnis soweit
abgewöhnt, daß man nie genau weiß. Man könnte in dasselbe Geleise, in
dasselbe Loch geraten. Man sollte alle seine Gedanken zu einer endlosen
Wanderung machen und den Instinkt haben, immer andere Wege zu gehen,
niemals dieselben. - Ernst Fuhrmann, Vorwort zu (
fuhr
)
Ich (125)
Ich bin der große Derdiedas Das P. P. Tit. und auch die Po Ich bin der lange Lebenslang Der aufgeklappte Ohnegleich |
- Hugo Ball, nach: Richard Huelsenbeck (Hg.): Dada. Eine
literarische Dokumentation. Reinbek bei Hamburg 1964
Ich (126) Das Ich
ablegen wie einen durchlöcherten Mantel. Was nicht aufrechtzuerhalten
ist, muß man fallen lassen. Es gibt Menschen, die es absolut nicht
vertragen, ihr Ich herzugeben. Sie wähnen, daß sie nur ein Exemplar
davon haben. Der Mensch hat aber viele Ichs, wie die Zwiebel viele
Schalen hat. Auf ein Ich mehr oder weniger kommt es nicht an. Der Kern
ist immer noch Schale genug. Es ist erstaunlich zu sehen, wie zäh der
Mensch an seinen Vorurteilen festhält. Er erträgt die bitterste Qual,
nur um sich nicht auszuliefern. Das zarteste, innerste Wesen des
Menschen muß sehr empfindlich sein; aber es ist ohne Zweifel auch sehr
wunderbar. - Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit. Zürich
1992 (zuerst 1927)
Ich (127) Das Haus, in dem ich lebe, gleicht in allem meinem eigenen: die Anordnung der Räume, der Geruch des Vestibüls, die Möbel, das schräg einfallende Licht am Morgen, das um die Mittagszeit schwächer wird und sich am Abend versteckt. Alles ist gleich, auch die Wege und die Bäume im Garten und diese alte, halbzerfallene Tür und das Pflaster im Innenhof. Auch die Stunden und die Minuten der vergehenden Zeit gleichen den Stunden und Minuten meines Lebens. In dem Augenblick, da sie mich umgeben, sage ich mir: »Man könnte sie für echt halten. Wie sehr gleichen sie doch den wirklichen Stunden, die ich in diesem Moment durchlebe!«
Was mich betrifft, obschon ich in meinem Hause jede spiegelnde Oberfläche entfernt habe, so sehe ich, wenn das unvermeidliche Glas eines Fensters mir unbedingt mein Spiegelbild zurückgeben will, darin jemanden, der mir gleicht. Ja, er gleicht mir ganz unwahrscheinlich, ich erkenne ihn wieder!
Aber keiner soll behaupten, daß ich das sei! Von wegen! Alles ist falsch hier. Hat man mir erst mein Haus
und mein Leben zurückgegeben, dann werde ich auch mein wahres Antlitz
wiederfinden. - Jean Tardieu, La première personne du singulier,
nach
(
ray
)
Ich (128) ... wurde am
15. März 1889 in Karlsbad geboren. In dieser Stadt besuchte ich das
Gymnasium, wo ich in dem römischen Schriftsteller P. Ovidius Naso
die erste Bekanntschaft mit einem subtilen Geist machte und in Gestalt
des Lehrkörpers mit der menschlichen Niedertracht. Ich galt als
subversives Element, obwohl ich mich damals nur für Stubenmädchen
interessierte und auch sonst bemühte, dem genannten Schriftsteller Ehre
zu machen. Das Jus-Studium, das ich mit achtzehn Jahren begann, kam
nicht zur Ausführung, sondern Wien, das zu
jener Zeit eine sehr beherzigenswerte Stadt war. Mir ist es noch heute
rätselhaft, wie es möglich war, daß ich die rechtshistorische
Staatsprüfung bestand. Kurz darauf brachte ich einen Spielgewinn an der
Hand eines Münchner Faschings durch und fuhr mit dem letzten Goldstück
nach Berlin, wo ich mich vierzehn Tage
hindurch langweilte, weil ich nachts schlief. Als ich anfing, es
umgekehrt zu halten, amüsierte ich mich drei Jahre dermaßen, daß meine
Liebe für diese Stadt ebenso unausrottbar bleibt wie die für ihren
Argot. Da eine hinter meinem Rücken für mich ordnende Hand mich in Wien
weiter inskribiert hatte, konnte ich der Lockung, meine Schulden
bezahlt zu sehen, insofern nicht widerstehen, als ich beabsichtigte,
vier Monate in Greifswald zu schlafen. Das Resultat war trotzdem
positiv, wofür ich mich bei Ovid zu bedanken habe. Ich brachte nämlich
das Gespräch auf ihn, und da meine Examinatoren Menschenkenner waren
und echte Humanisten, wurde ich doctor utriusque juris. Es hat mir
lange Zeit hindurch sehr genützt. Denn ich entschloß mich bald darauf,
keine vorgeschriebene Laufbahn zu ergreifen (gibt es eine schönere
Phrase?), sondern in Europa spazieren zu fahren... - Walter
Serner, Der
Abreiser.
Materialien zu Leben und Werk. Gesammelte Werke Bd. X, Hg. Thomas
Milch. München 1988
Ich (129) Da ich
nichts bin als dieser in einem beliebigen künftigen Zeitpunkt bereits verweste
Leib, nichts als diese anachronistischerweise schreibenden Knochen, fühle ich, wie
dieser Leib nach sich selbst verlangt, wie er seinem Bewußtsein diese
noch unvorstellbare Operation abverlangt, durch die er aufhören würde,
ein Haufen Fäulnis zu sein. Dieser
Leib, der ich bin, besitzt das Vorwissen von einem Zustand, in welchem,
wenn er selbst sich als solchen negiert und wenn er gleichzeitig das
objektive Korrelat als solches negiert, sein Bewußtsein einen Zustand
außerhalb des Leibes und der Welt erlangen würde, welcher der wahre
Zugang zum Sein wäre. Mein Leib, nicht mein Morelli-Leib, nicht ich,
der ich neunzehnhundertfünfzig bereits neunzehnhundertachtzig verwest
sein werde, dieser Leib wird sein, weil hinter der Tür aus Licht (wie diese bedrängende, an
meinem Gesicht haftende Gewißheit nennen) das Sein
etwas anderes sein wird als Leiber und, als Leiber und Seelen
und, als Ich und das Andere, als Gestern und Morgen. Alles hängt davon
ab ... (ein durchgestrichener Satz). - (
ray
)
Ich (130)
wurde als ganz kleines Kind geboren. Meine Mutter schenkte mich
meinem Vater, damit er sich freute. Als mein Vater erfuhr, dass ich ein
Mann war, konnte er sich nicht mehr halten, und sprang vor Freude im
Zimmer herum, denn er hatte sich sein ganzes Leben immer nur Männer
gewünscht. Die größte Freude für meinen Vater aber war es, daß ich kein
Zwilling war. - Dann wuchs ich heran zur Freude anderer, und es ist
schon immer in meinem ganzen Leben mein Besterben gewesen, anderen
immer nur Freude zu bereiten. Wenn sie sich dann manchmal aufregen,
dafür kann ich nichts. Mein Lehrer freute sich immer, wenn er mich
ohrfeigen konnte, und die ganze Schule war froh, als ich mit ihr fertig
war. - Kurt Schwitters
Ich (131) Ich war
niemals einer, der im Dunkeln stand und hinter die Kulissen guckte. Ich
war ein Allesschmecker, Brieshalter und Lumpenstilz, ein Rosensammler,
ein Kaltschneider und Liebling, ein Tanzverdreher und Küchenfüller. Ich
war ein Schaukelhalter und Leiblmännchen und Kodowetzky, ein Huster und
Birnenbeutel. Ich war ein Fröhlicher in Grind und Seide, ein Ladengeher
und ein Anton Fuß. Ein Brahmsholder, ein Tintenfrettchen, ein Neffe,
ein Zweckenzähler und Säurepant-scher. Ich war im Kern gut und fleißig.
Ich war ein Umgucker, ein Riedinger, ein Menzelchen, ein
Bleiverbraucher, ein Tanzlackel und ein Buntmacher. Ein Frauenbuckel,
ein Druckerhansel und Schwiegersohn. Ich habe niemandem die Haut
abgezogen und die Nerven gezählt. Ich war ein Scharpenschlegel, ein
Donnersmark und Gardezeichner. Ich war das Kompott für Philip. Ich war
einer, der es nicht besser weiß, ein Waste!, ein Ferdinand und Fou of
Memphis. Ein Doktor Knöfel, ein Uberstichler und Kupferschneider, einer
von 1870, ein Deutschling. Ich zahlte die Miete für die Wohnung und
machte Plakate. Ich war ein Entzückter, ein Nichtkümmerer und ein
Freund von Wieland Schmitt, und alles in allem war ich einer, der nicht
wußte, was ich heute bin. - (
jan
)
Ich (132)
Wer bin ich?
Woher komme ich?
Ich bin Antonin Artaud,
und auf daß ich es sage,
wie ich es sagen kann,
auf der Stelle
werdet ihr meinen Körper
in Stücke zerspringen sehen
und unter zehntausend
notorischen Aspekten
einen neuen Körper
sich zusammenraffen,
in dem ihr mich
nie mehr
vergessen könnt.
Ich (133)
Ich (134) Wenn man die
Komponenten untersucht, aus denen wir gemäß der Lehre des Buddha
zusammengesetzt sind, können wir feststellen, dass darin kein „Ich“ und
kein festes Selbst zu entdecken sind. Häufig wird hier das Gleichnis
eines Wagens verwendet, der nur eine bestimmte Zusammenstellung von
Einzelteilen ist, "Wagen" ist nur ein Name, geht man in seine Tiefe
(seine Einzelteile), so ist er nicht mehr vorhanden. Spezielle
Kontemplationen und Meditationen mit den fünf Skandhas fördern diese
Erkenntnisse. Für gewöhnlich betrachten wir uns aber als eine feste
Einheit, was der Buddha als Haupthindernis auf dem Weg zur Erleuchtung bezeichnet hat. In dieser
illusorischen Annahme eines festen „Ichs“ ist die Ursache allen Leidens
zu erkennen. - Wikipedia
Ich (134)
1 ich bin in der natur geboren, ich bin in straßburg geboren,
ich bin in einer wolke geboren, ich habe vier naturen. ich habe zwei dinge, ich habe fünf sinne, sinn ist ein unding. natur ist unsinn. platz da für die natur da. die natur ist ein weißer adler. platz dada für die natur dada. ich modeliere mir ein buch mit fünf knöpfen, die kunsthauerei ist der schwarze blödsinn. dada ist in Zürich geboren, zieht man straßburg von Zürich ab so bleibt 1916. 2 die nymphe obliegt dem leben. straßburg liegt in einer wolke. die wolkenpumpe pumpt unter freuden die wölken aus den rocken, die wolkenpumpe pumpt gegen den kunstrock der nymphe. 3 ich bin in straßburg geboren. 1916 habe ich in Zürich unter freuden dada geboren, dada ist für den unsinn das bedeutet nicht blödsinn. dada ist unsinnig wie die natur und das leben, dada ist für die natur und gegen die kunst. dada will wie die natur jedem ding seinen wesentlichen platz geben. außerdem obliege ich teils sitzend teils stehend der bildhauerei. niemand kann mir nachweisen daß ich je eine nymphe einen general oder einen adler modeliert habe. 4 weißt du niemand kann mir nachweisen daß ich nicht ein adler bin. der adler obliegt dem leben, weißt du der adler hat fünf leben und vier naturen. weißt du der adler hat außerdem einen titel. schwarzt du der general hat fünf titel fünf knöpfe an seinen zwei sinnen und vier löcher in seinen freuden. die natur aber und ich sind gegen die freuden und geborenen dinge, die natur obliegt dem leben ob sie liegt sitzt steht. die schwarze wolke im weißen rode gebiert unter freuden ein vogelding. |
- Hans Arp, Worte mit und ohne Anker. Wiesbaden 1957
Ich (135)
Wissen Sie, mein lieber Engel (Sie spüren wohl, wie ich immer
näher an Sie herankrieche, und ich sehe voraus, daß die Freiheit, die
sich zwischen uns ergeben hat, die Grenzen der Schicklichkeit
überschreiten wird, ehe ich diesen Brief beendet haben werde) - wissen
Sie, sage ich, welchem teuflischen Schatten von schikanösem Gefährten
Sie unter diesen Umständen zum Opfer gefallen sind? Nun, meine
Anbetungswürdigste! abgesehen davon, daß ich leidlich grade gewachsen
und fast sechs Fuß groß bin und daß meine Nase (sollte ich auch als
Geschichtenerzähler etwas anderes sagen) mindestens ein Zoll länger ist
als die Nasen der meisten Mitmenschen —
abgesehen davon bin ich ein zweibeiniges Tier ohne den typischen
tierischen Haarwuchs und so völlig vergeistigt, daß ich für eheliche
Zwecke nicht mehr tauge. Lassen Sie mich Ihnen zuflüstern, daß ich
jetzt 44 bin und in genau zwölf Monaten 45 sein werde. Darüber hinaus
bin ich von dünner, trockener, hektischer, nicht-transpirierender
Leibesbeschaffenheit und dergestalt sublimiert und geläutert, daß eine
Dame von Ihrem Geist keinen Heller für ein Dutzend von dieser Sorte
geben würde. Im nächsten Mai, wenn ich in der besten Verfassung bin,
sollen Sie es mit mir versuchen; aber ich sage Ihnen im voraus, daß ich
nicht einmal anderthalb Unzen Sinnlichkeit aufzuweisen habe. -
Laurence Sterne an Mrs. F., nach: L. S., Briefe und Dokumente. Hg. und
Übs. Siegfried Schmitz. München 1965
Ich (136) Das Ding, das wartete, ist aufgeschreckt, es ist über mich hergefallen, es strömt in mich hinein, ich bin davon angefüllt. - Es ist nichts: das Ding bin ich. Die Existenz, befreit, losgelöst, fließt in mich zurück. Ich existiere.
Ich existiere. Das ist sanft, so sanft, so träge. Und leicht: man könnte meinen, das hält sich von ganz allein in der Luft. Das regt sich. Das sind überall leichte Berührungen, die sich auflösen und vergehen. Ganz sanft, ganz sanft. In meinem Mund ist schäumendes Wasser. Ich schlucke es herunter, es gleitet durch meine Kehle, es streichelt mich - und schon ist es wieder da, bildet sich neu in meinem Mund. Ich habe für immer eine kleine, weißliche - unaufdringliche - Wasserlache im Mund, die meine Zunge umspült. Und diese Lache, das bin wiederum ich. Und die Zunge. Und die Kehle, das bin ich.
Ich sehe meine Hand, die sich auf dem Tisch ausbreitet. Sie lebt
-das bin ich. Sie öffnet sich, die Finger spreizen und strecken sich.
Sie liegt auf dem Rücken. Sie zeigt mir ihren fetten Bauch. Sie sieht
aus wie ein umgefallenes Tier. Die Finger, das sind die Beinchen. Ich
vergnüge mich damit, sie zu bewegen, sehr schnell, wie die Beinchen
einer Krabbe, die auf den Rücken gefallen ist. Die Krabbe ist tot: die
Beinchen krümmen sich, ziehen sich auf den Bauch meiner Hand zurück.
Ich sehe die Nägel - das einzige Ding an mir, das nicht lebt. Und noch
einmal. Meine Hand dreht sich um, breitet sich bäuchlings aus, sie
zeigt mir jetzt ihren Rücken. Einen silbrigen, ein wenig glänzenden
Rücken - man könnte meinen, ein Fisch, wenn da nicht die roten Härchen
am Ansatz der Fingerglieder wären. Ich fühle meine Hand. Das bin ich, diese beiden Tiere, die
sich am Ende meines Armes bewegen. Meine Hand kratzt eines ihrer
Beinchen mit dem Nagel eines anderen Beinchens; ich fühle ihr Gewicht
auf dem Tisch, der nicht ich bin.
- Jean-Paul Sartre, Der Ekel. Reinbek bei Hamburg 2004
(zuerst 1938)
Ich (137)
Ich war der Kamm, der ihre Locken magnetisch machte. Das Mieder, das
sich um ihren Leib schmiegte. Der durchsichtige Tüll ihrer Ärmel. Das
Kleid, das ihre Beine umschmeichelte. Ich war der kleine Seidenstrumpf.
Der Absatz, der sie trug. Der kostbare Schal. Die unschuldig weiße
Puderquaste. Ich war herb wie das Riechsalz ihrer Achselhöhlen. Ich war
der Schwamm, der ihre feuchten Schamteile kühlte. Ich machte mich
dreieckig, jodhaltig. Naß und zärtlich. Dann war ich die Hand, die
ihren Gürtel löste. Ich war ihr Spiegel, ihr Stuhl, ihr Bad. Ich umgab
sie ganz und überall wie eine Woge. Ich war ihr Bett. - (
mora
)
Ich (138)
Der poussierte Gast 3 Grabsteine trag ich auf dem Kopf Ich stecke bis zum Heft im Licht Lebwohl viel hund- und katzenmal. Privaten Kampfer menge ich |
- Hans Arp, nach: Hans Richter, Dada -
Kunst und Anti-Kunst. Köln 1964
Ich (139) ICH — entsteht aus allem. Eine Flexion in einem Satz — versucht ein anderes Ich zum Vorschein zu kommen? Wenn das Ja mir gehört, ist das Nein ein zweites Ich?
ICH, — ist immer nur etwas Provisorisches (verändert sich, sohald es einem bestimmten andern gegenübertritt, ad hominem, verändert sich in einer andern Sprache, in einer andern Kunst), es geht schwanger mit einer andern Person, die ein Unfall, eine Erregung, ein Schlag auf den Schädel befreien wird, alles Frühere aussperrend, und zum allgemeinen Erstaunen oft in einem Augenblick voll entwickelt. Sie war also schon ganz vorgebildet.
Vielleicht ist man nicht für ein einziges Ich geschaffen. Man hat unrecht, sich daran zu halten. Vorurteil der Einheit - (dort wie anderswo: der Wille, der arm macht und Opfer fordert).
In einem doppelten, dreifachen, fünffachen Leben würde man sich wohler fühlen, weniger zerfressen und gelähmt durch das Unterbewußte, das dem Bewußten feindlich ist (Feindschaft der anderen beraubten „Iche").
Die größte Ermüdung des Tages und eines ganzen Lebens folgt vielleicht aus der Anstrengung, aus der Anspannung, die nötig ist, um eines und das gleiche Ich zu behalten, durch die beständigen Versuchungen, es zu verändern, hindurch.
Man will zu sehr „jemand" sein.
Es gibt nicht ein Ich. Es gibt nicht zehn Ich. Es gibt kein Ich. ICH - ist nur eine Gleichgewichtsposition. (Eine unter tausend immerfort möglichen und stets bereitliegenden.) Ein Durchschnitts-ich, eine Massenbewegung. Im Namen von vielen signiere ich dieses Buch.
Aber habe ich es gewollt? Wollten wir es?
Es gab ein gewisses Drängen (vis a tergo).
Und dann? Ich habe es untergebracht. Es hat mir genug zu schaffen gemacht.
Jede Richtung in mir hatte ihren Willen, denn jeder Gedanke, sobald
er sich darstellt und sich organisiert, hat seinen Willen. War es der
meinige? Irgend jemand hat in mir seinen Willen, irgendein anderer.
- Henri Michaux, Nachwort zu: Plume und andere Gestalten.
Wiesbaden 1981 (zuerst 1938)
Ich (140)
Die Tiere waren. Die Tiere bebauten das Feld. Der Feldweg war
verwuchert, Uwolowu gab das Gesetz zu roden. Alle schickten sich an zu
gehen, doch vorerst aßen sie. Beim Essen sagten sie es dem Hundsaffen.
Der Affe sagte, er müsse zuerst aufs Feld
gehen und Yams holen. Als sie gegessen hatten, forderten sie den Affen
auf mitzugehen; doch der Affe sagte, sein Essen stehe auf dem Feuer und
müsse gar kochen. Sie gingen und schickten dem Affen Boten, er möge nun
kommen. Der sagte, er wasche, und blieb zu Hause. Als sie den Weg
ausgehauen hatten, machten sie einen großen Erdhügel. Jetzt kam auch
der Affe und setzte sich auf den Hügel. Da kam die Zwergantilope und
frug: »Wer sitzt da auf dem Hügel?« Der Affe sagte: »Ich.« Der Affe
rang mit der Zwergantilope und warf sie nieder. Es kam die Kuhantilope;
der Affe rang mit ihr und warf sie nieder. Es kam der Büffel und
sprach: »Wer sitzt auf dem Erdhügel?« Der Affe sagte: »Ich«, rang mit
ihm und warf ihn nieder. Da kam der Elefant,
rang mit ihm und wurde niedergeworfen. Jetzt kam die Schildkröte und fragte: »Wer sitzt auf
dem Hügel?« Der Affe sagte: »Ich«, und rang mit ihr; die Schildkröte
warf den Affen nieder. Der Affe sagte, er sei ausgeglitten, man solle
ein Loch graben. Sie taten so. Sie rangen wieder; auch dieses Mal warf
die Schildkröte den Affen nieder. Da wurde der Affe zornig, nahm
Baumrinde und bedeckte damit die Schildkröte. Die Schildkröte nahm
einen Dolch und steckte ihn ins Feuer.
Als er rot glühte, stach sie ihn dem Affen ins Gesäß. - Afrikanische Märchen und
Legenden. Hg. Carl Einstein. Berlin 1980 (zuerst 1925)
Ich (141) Jedermann will mich sehen. Jedermann besteht darauf, mit mir zu sprechen. Die Leute belästigen mich und andere mit Erkundigungen danach, was ich tue. Wie geht es mir? Bin ich wieder ganz gesund? Mache ich noch immer meine ausgedehnten Spaziergänge? Arbeite ich? Habe ich mein Buch beendet? Werde ichi bald ein neues beginnen?
Ein magerer Affe von einem Deutschen möchte gerne, daß ich seine Werke übersetze. Eine wildäugige Russin möchte, daß ich für sie mein Leben niederschreibe. Eine Amerikanerin möchte die allerletzten Neuigkeiten über mich. Ein Amerikaner will seinen Wagen schicken, um mich zum Essen abzuholen ~ nur zu einer intimen, vertraulichen Plauderei, versteht sich. Ein alter Mitschüler und Kamerad von mir aus der Zeit vor zehn Jahren möchte, daß ich ihm alles, was ich schreibe, augenblicklich vorlese. Ein befreundeter Maler erwartet von mir, daß ich ihm stundenlang Modell sitze. Ein Journalist möchte meine derzeitige Adresse. Ein Bekannter, ein Mystiker, erkundigt sich nach meinem Seelenzustand; ein anderer, sachlicherer, nach dem Stand meiner Brieftasche. Der Vorsitzende meines Clubs fragt an, ob ich nicht vor den Jungens eine Rede halten will! Eine geistig interessierte Dame hofft, daß ich so oft wie möglich zu ihr zum Tee komme. Sie will meine Meinung über Jesus Christus wissen und was ich von dem neuen Medium halte. . .
Großer Gott, was ist aus mir geworden?! Welches Recht habt ihr Menschen, mein Leben in Unordnung zu bringen, meine Zeit zu stehlen, in meine Seele einzudringen, euch von meinen Gedanken zu nähren, mich zu eurem Gesellschafter, Vertrauten und Auskunftsbüro zu machen? Wofür haltet ihr mich? Bin ich ein bezahlter Unterhaltungskünstler, jeden Abend nur dazu da, vor euren dummen Fratzen eine geistige Farce aufzuführen? Bin ich ein Sklave, dazu gekauft und dafür bezahlt, vor euch Nichtstuern auf dem Bauch zu kriechen und euch mein ganzes Tun und Wissen zu Füßen zu legen? Bin ich eine Dirne in einem Bordell, die auf den Wunsch des erstbesten Mannes, der in seinem Schneideranzug daherkommt, ihren Rock hochheben oder ihr Hemd ausziehen muß?
Ich bin ein Mensch, der ein heroisches Leben führen und die Welt in
seinen Augen etwas erträglicher machen möchte. Wenn ich in einem
Augenblick der Schwäche, der Entspannung, der Not Dampf ablasse, ein
bißchen zu Worten abgekühlte rotglühende Wut - einen in Bildern
verpackten leidenschaftlichen Traum - nun schön, dann nehmt es hin oder
lehnt es ab - aber laßt mich in Ruhe! - Giovanni Papini, anch (krebs)
Ich (142)
Ich bin halb Mond und halb Hausier Glauben Sie mir Da gibts Stunden die im Wasser versinken Nur wenn sie sich als atlantische Tanzkapellen verkleiden |
- Vicente Huidobro, nach
(mus)
Ich (143) Mehr und
mehr erkenne ich, daß ich immer das kontemplative Leben geführt habe.
Ich bin so etwas wie ein umgekehrter Brahmane, der über sich selbst
meditiert inmitten des Wirrwarrs, der mit all seiner Kraft sich zur
Selbstzucht anhält und das Dasein verachtet. Oder der Schattenboxer,
der wütend und zugleich besonnen ins Leere schlägt, um in Form zu
bleiben. Welche Virtuosität, welche Technik, welche Ausgewogenheit, die
Leichtigkeit, mit der er im Tempo zulegt! Später muß man lernen.
Strafe mit gleichmütiger Gelassenheit hinzunehmen. Ich, ich weiß,
wie man Strafe hinnimmt, und mit heiterer Ruhe befruchte ich und mit
heiterer Ruhe zerstöre ich mich: kurz, bin in der Welt tätig, nicht so
sehr, um Freude zu haben, als um anderen Freude zu bereiten (es sind
die Reflexe der anderen, die mir Freude bereiten, nicht meine eigenen).
Nur eine Seele voller Verzweiflung
kann überhaupt Heiterkeit erwerben, und
um verzweifelt zu sein, muß man ein gut Teil geliebt haben und die
Welt noch immer lieben. - Blaise Cendrars, nach: B. S.,
Wahre Geschichten. Zürich 1979
Ich (144) Sie werden
mich niemals kennem, Sie werden niemals meinen Namen
sagen; Sie werden niemals mein Gesicht
sehen; Sie werden sterben und niemals
wissen, wer Sie getötet hat. Ich könnte
jeder von denen sein, die Sie umgeben; aber ich werde nur in jenem
sein, auf den zu achten Sie vergessen haben. - Gilbert
Keith Chesterton, Father Browns Ungläubigkeit. Zürich 1991
Ich (145)
Ich (146) Wenn mein ruheloser Geist in
die Verachtung aller Dinge und Menschen zurücksinkt, berauscht sich
mein tierischer Leib an allen Trunkenheiten des Lebens. Ich liebe den
Himmel wie ein Vogel, die Wälder wie ein schweifender Wolf, die Felsen
wie eine Gemse, das hohe Gras, um mich darin zu wälzen, um mich
wie ein Pferd darin zu tummeln, und das klare Wasser, um wie ein Fisch
darin zu schwimmen. In mir schauert etwas von allen Tieren, von allen
Instinkten, von allen dumpfen Begierden der niederen Geschöpfe. Ich
liebe mit einer tierischen, tiefen, heiligen und erbärmlichen Liebe
alles, was lebt, was wächst, was man sieht . . . - Guy de Maupassant, nach (err)
Ich (147)
Wenn euch eure Ruhe lieb ist, |
-
(stein)
Ich (148)
Lino Pedra-Verde bin ich, |
-
(stein)
Ich (149) Meine arme Gewißheit, an der mir soviel lag, was ist aus ihr geworden in diesem großen Taumel, da das Bewußtsein sich vorkommt wie ein einfacher Vorplatz der Abgründe, was ist aus ihr geworden? Ich bin nichts als ein Augenblick eines ewigen Falls. Den verlorenen Halt findet man nie wieder.
Es ist die heutige Welt, die sich meine Wesensart zu eigen macht.
Eine große Krise entsteht, eine ungeheure Verwirrung, was sich noch
genauer zeigen wird. Das Schöne, das Gute, das Rechte, das Wahre, das
Reale ... noch ganz andere abstrakte Worte machen in diesem Augenblick
Bankrott. Und hat man ihren Gegensätzen erst den Vorzug gegeben,
verschmelzen sie bald miteinander. Ein einziger Stoff, allein aus
idealen Tatsachen bestehend, bleibt am Ende in dem universalen
Schmelzriegel zurück. Was mich durchfährt - und flieht - ist ein Blitz
meines Selbst. Ich werde nichts übergehen können, denn ich selbst bin
der Übergang vom Dunkel zum Licht, bin gleichzeitig die Abenddämmerung
und die Morgenröte. Ich bin eine Grenze, ein Strich. Auf daß der Wind
alles verwehe, sind alle Worte hier in meinem Mund. Und was mich
umgibt, ist ein Stirnrunzeln, eine sichtliche Welle des Entsetzens.
- (ara)
Ich (150) Die Droge ebenso wie der Wahnsinn, ebenso wie die mystische Kontemplation, ist ein ausgezeichnetes Mittel, um den Dämon heraufzulocken. Sie ist eine wahre Offenbarung des Dämons, das heißt der dämonischen Tätigkeit, das heißt der menschlichen Dualität. Eine nicht feststehende Dualität. Unaufhörliche Dualisierung.
Normalerweise hat man ein korrektes Ich und macht (annähernd) einen korrekten Gebrauch von den Personen der anderen und von der eigenen; mitsamt seinen Begierden, seinen Fähigkeiten, seinen Möglichkeiten, seinen Rechten, und man wünscht auch einen korrekten Gebrauch von alledem zu machen; und andererseits hat man ein »perverses« Ich, ein mißgünstiges, grausam als Beobachter und mit Perversität handelnd oder an das Handeln denkend.
Außerhalb dieser beiden gibt es flüchtige oder unklar umrissene »Iche«. Man könnte viel mehr von ihnen zum Leben zulassen. Man hat sie als Lebenspotential in sich. Neue und starke Eindrücke neigen dazu, neue Bewußtseinszustände zu bilden, die neuen Bewußtseinszustände neigen dazu, neue Persönlichkeiten, wenn auch nur kurzlebige, momentane, zu bilden. Fluktuierende Gemütszustände machen fortwährend verschiedenartige »Ich«-Versuche.
Eine Situation außerhalb des Gewohnten verlockt und nötigt zu einer neuen Grenzüberschreitung in der Dualisierung.
Wenn es schlimm kommt (im
Meskalin-Experiment), sehe ich das
häßliche Gesicht, sehe es in häufiger Wiederholung an mir
vorüberziehen, es betrachtet mich mit einem gehässigen Ausdruck, und
ich wende oder lenke mich so schnell ich kann (eine Sekunde ist schon
zu lange) davon ab. Sein Ausdruck ist so gehässig, daß es mir töricht
erschiene, ihn meinem »Ich« zuzuschreiben, und
wäre es zweimal verdoppelt. Warum so gehässig? Warum, wenn es nur »Ich«
in der Verdoppelung ist, warum blickt es mich so boshaft an, mit einem
so leidenschaftlichen Haß? Wenn die Verachtung genügt, warum dann mich
so sehr hassen? Es ist ein Ich, wenn es Ich ist, das absolut nicht mit
mir zusammengeht. Seine Augen sehen meine Duplizität, sein sardonisches
Lachen, das mich fortwährend angrinst, ohne daß ich etwas dagegen
vermag, ist unvergeßlich.
- Henri Michaux, Turbulenz im Unendlichen. Die
Wirkungen des Meskalins. Frankfurt am Main 1971
Ich (151) Den Oberkörper frei zu machen, ist ein
unmittelbarer Akt der Befreiung: „Hier
ist mein bares Ich, unverfälscht und
gewaltfrei.“ Wir reduzieren uns nur auf unser Frausein. Der nackte Oberkörper der Frau hat etwas sehr
fruchtbares, sehr lebensspendendes. Zum Beispiel mein Protest gegen das
Frauenbild der Kirche. Dass die Jungfrau
das heiligste Dasein einer Frau sein könnte - das ist für uns sehr
problematisch. Ich wollte das tabuisierte und stark sexualisierte
Frauenbild dort zeigen. In meinem Glaubensbekenntnis heißt es: „Ich
glaube an die freie selbstbestimmte Frau, Schöpferin der Menschheit auf
Erden.“ - Josephine Witt, Feme, TAZ vom
20.1.2014
Ich (152) Ich bin
UBIK. Ich war, bevor das Universum
war. Ich habe die Sonnen und die Welten gemacht. Ich erschuf das Leben
und das Land für das Leben. Ich lenke es hierhin, ich lenke es dorthin.
Es bewegt sich nach meinem Willen, es tut, was ich sage. Ich bin das Wort und mein Name
wird niemals ausgesprochen, der Name, den niemand kennt. Ich werde UBIK
genannt, aber das ist nicht mein Name. Ich bin. Ich werde immer sein. - (ubik)
Ich (153)
Ich (154) Nie vergeß' ich die noch
keinem Menschen erzählte Erscheinung
in mir, wo ich bei der Geburt meines Selbbewußtseins
stand, von der ich Ort und Zeit anzugeben weiß. An :,einem Vormittag
stand ich als ein sehr junges Kind unter der Haustüre und sah links
nach der Holzlege, als auf einmal das innere Gesicht »ich bin ein Ich«
wie ein Blitzstrahl vom Himmel vor mich fuhr und seitdem leuchtend
stehen blieb: da hatte mein Ich zum ersten Male sich selber gesehen und
auf ewig. Täuschungen des Erinnerns sind hier schwerlich gedenkbar, da
kein fremdes Erzählen in eine bloß im verhangnen Allerheiligsten des
Menschen vorgefallne Begebenheit, deren Neuheit allein so alltäglichen
Nebenumständen das Bleiben gegeben, sich mit Zusätzen mengen konnte.
- Jean Paul, Selberlebensbeschreibung
Ich (155)
SPLEEN Ich habe mehr Erinnerungen, als war ich tausend Jahre alt. Ein großes Möbel mit Schubfächern, voll Abrechnungen, Versen, Liebesbriefen, Prozeßakten, Romanzen und schweren Haaren, die man in Quittungen gewickelt hat, birgt weniger Geheimnisse als mein trauriges Herz. Eine Pyramide ist es, eine ungeheure Gruft, die mehr der Toten als das Massengrab enthält. — Ich bin ein Kirchhof, den zu bescheinen selbst dem Monde graust, wo wie Gewissensbisse lange Würmer kriechen, die immer wieder an den Toten nagen, welche mir die liebsten waren. Ich bin ein altes Boudoir voll welker Rosen, wo sich ein ganzer Plunder veralteter Gewänder häuft, wo vereinsamt klägliche Pastelle und ausgebleichte Bilder von Boucher den Duft einatmen eines entstöpselten Flakons. Nichts dehnt so lang sich wie die lahmen Tage, wenn unter schweren Flocken schneeverhangener Jahre die Langeweile, Ausgeburt der dumpfen Teilnahmslosigkeit, das Ausmaß der Unsterblichkeit gewinnt. Hinfort, o lebende Materie! bist du nur noch ein Granitblock, der, umhaucht von unbestimmtem Grauen, am Grunde einer Nebelwüste einschläft! eine alte Sphinx, unbekannt der sorglos leichten Welt, vergessen auf der Karte, und deren wilder Mißmut nur, wenn die Sonne sinkt, von ihren Strahlen tönt! Ich bin gleich dem König eines Regen-Landes, reich, doch kraftlos, jung und dennoch uralt, der die Bücklinge seiner Hofmeister verachtet und sich mit seinen Hunden wie mit ändern Tieren langweilt. Nichts vermag ihn zu erheitern, weder Wild noch Falke, noch sein Volk, das man vor dem Balkon niedermacht. Des Lieblingsnarren schaurig dummes Lied entwölkt nicht mehr die Stirne dieses kranken Grausamen; sein lilienbesticktes Bett verwandelt zum Grab sich, und die Hofdamen, denen jeder Fürst schön dünkt, wissen keine schamlose Gewandung mehr zu erfinden, um diesem jungen Skelett ein Lächeln zu entlocken. Der Weise, der ihm Gold bereitet, vermochte nie aus seinem Wesen auszurotten das verdorbne Element und es mißriet ihm, in jenen Blutbädern, die wir von den Römern überkommen haben und deren auf ihre alten Tage die Mächtigen sich entsinnen, diesen stumpfsinnigen Kadaver zu erwärmen, in dessen Adern statt des Blutes das grüne Wasser des Lethe fließt. |
- Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen (zuerst 1857). Übs.
Friedhelm Kemp Frankfurt am Main 1966 (Fischer Tb. 737)
Ich (156) Was ist zu tun, o Moslems?
Denn ich erkenne mich selber nicht. Ich bin nicht Christ, nicht Jude,
nicht Parse, nicht Muselmann. Ich bin nicht vom Osten, nicht vom
Westen, nicht vom Land, nicht von der See. Ich bin nicht von der
Werkstatt der Natur, nicht von den kreisenden Himmeln. Ich bin nicht
von der Erde, nicht von Wasser, nicht von Luft, nicht von Feuer. Ich
bin nicht von der Gottesstadt, nicht von dem Staube, nicht von Sein und
nicht von Wesen. Ich bin nicht von dieser Welt, nicht von der andern,
nicht vom Paradies, nicht von der Hölle. Ich bin nicht von Adam, nicht
von Eva, nicht von Eden und Edens Engel. Mein Ort ist das Ortslose,
meine Spur ist das Spurlose. - Dschelal-ed-din Rumi,
nach: Hans Peter Duerr, Sedna oder Die Liebe zum Leben. Frankfurt am
Main 1984
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