ch  (69)  Ein Spekulant, der nahezu alles, was er an Sensibilität und Intelligenz besitzt, in Schriften investiert.

Ein Eroberer, der als Territorium nur die Wüste hat.

Ein König, der nur sich selbst zum Narren hat.

Ein Moloch, der sich von seinen eigenen Eingeweiden nährt.

Ein wappengemusterter Harlekin, in Farben, die sich beißen.

Ein schweigsamer Mensch, der sich zum Schwatzen zwingt, um seinen Kerker zu sprengen.

Eine Bombe, prall gefüllt mit Schluchzern, die nicht explodieren wollen.

Ein Terrorist, der nur sein ewiges Entsetzen kennt.

Ein Sänger, der mittels seiner Stimme atmet.

Ein Athlet mit Muskeln aus bauschigem Velin-Papier.

Einer, für den Maskenball verkleidet, zu dem die Kunst ihn lädt.

Ein Gespenst, das statt der Ketten die Wörter rasseln läßt.

Ein Tamino, der ohne weiteres zugibt, daß seine Flöte von der Königin der Nacht stammt.

Ein Unglücksvogel, der sein Gefieder herausputzt.

Ein Drogensüchtiger, stets im Zustand des Mangels.

Ein Barometer, dessen Nadel untröstlich ist, das Wetter nicht selbst zu machen.

Eine Heulsuse, deren Tränen auf der Stelle im Sand verrinnen.

Ein Quacksalber, der sich selbst zu allererst mit seinen Wundermitteln vollstopft.

Ein Gatte, der, abgestoßen durch dieses Zeichen der Verbürgerlichung, niemals den goldenen Ring am Finger trug.

Ein Schlaumeier, geradeso wie es Kraftmeier gibt.

Ein Schuldiger, der Bücher produziert, um Verzeihung zu erlangen.

Ein Eingeweihter in einer Bruderschaft, die nur ihn selbst umfaßt.

Ein Schilfrohr, das sich schlauer dünkt als eine Eiche.

Ein Lazarus, der jeden Augenblick sich sagt: »Steh auf und geh!«

Ein Affe, der sich jedesmal, wenn er in den Spiegel schaut, als Menschen sieht.

Ein Jockey, den man ständig wieder in den Sattel heben muß.

Ein Ulysses ohne Ithaka, wo er Anker werfen kann.

Eine Auster auf der Suche nach ihrer Perle.

Ein Krebs im Seitwärtsgang.

Ein Samurai, der weder Säbel noch Heldenmut braucht, um täglich sein Harakiri zu begehen.

Ein Phantom mit 54 Kilo Nackt-Gewicht.

Ein Wesen, das nicht mehr als menschliches existiert, wenn es aufgehört hat, seine Erinnerungen und Gedanken mitzuteilen.

Ein Hamlet mit widersprüchlichen Motiven, der sich selbst verletzt, wenn er Ophelia verletzt.

Ein tierischer, animalischer, pflanzlicher und mineralischer Komplex.

Ein Mensch, dessen Unglück es - mit einem Wort - ist, daß er es nie zum Verrückten gebracht hat.

Ein Verrückter von anderer Art, dessen Spaltung darin besteht zu glauben, daß er eines Tages zur Weisheit gelangen würde.

Ein Verliebter, dessen Feuer zu keiner Zeit jemandes Herz entflammt hat.

Ein Feigling, trompe-l'Œuil geworden, um dem allzu Lebensvollen des Hoch-Reliefs zu entgehen.

Ein Tollwütiger, der noch nie ein Fenster zerschlagen hat.

Ein miserabler Briefeschreiber, wo doch der Kern seines Werkes als ein langer Brief an jene gewohnte und zärtliche Vertraute, seine Gefährtin mit dem klaren Blick, verstanden werden kann.

Ein der Trunksucht Entronnener, für den das Getränk nicht nur Anlaß zum Genuß, sondern Mittel ist (übrigens ein irriges), sich den Dingen gewachsen zu fühlen.

Ein Schmetterling, ewig Gefangener seiner Puppe.

Ein regnerischer Himmel, von einigen Aufheiterungen durchsetzt.

Einer, der ein x-beliebiges Kind war, aber ein Wundergreis sein möchte.

Derselbe, der beschämt, allzu herzlos und mit sich selbst beschäftigt zu sein, sich gern vergessen möchte, wie man irgendwo seinen Schirm vergißt.

Ein Schläfer, an den die Nacht das Wort nicht mehr richtet, es sei denn, um ihn zu schmähen.

Ein Sybarit, wütend darüber, daß sein Rosenbett ihn die Dornen fühlen läßt.

Ein Quälgeist, der sich für ein heiliges Ungeheuer hält.

Ein häßliches kleines Entlein, das die Eektüre von Andersen auf die Idee bringt, es sei ein Schwan.

Ein Wahrheitssucher, den die Wahrheit, endlich entdeckt, in den Brunnen fallen läßt.

Ein Mann der Feder, der seine Blei-Gedanken ziseliert.

Ein Stoiker, dessen Mut einzig darin besteht, seinem Nicht-Glauben treu zu bleiben.

Ein argwöhnischer Mensch, der jedwedes System ablehnt, da sie  ihm alle als trügerisch eingesetzte Mittel erscheinen, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren.

Ein aufrichtiger Denker, der der intellektuellen Katastrophe nicht dadurch zu entkommen trachtet, daß er hie und da ein wenig nachhilft.

Ein Schauspieler, der im täglichen Leben um seine Haltung ebenso besorgt ist wie auf der Bühne.

Ein Gentleman, der weiß, daß er zusammenbrechen und das Gesicht verlieren wird, wenn die Dinge für ihn gar zu schlecht laufen.

Ein Freiwilliger, der keinen Schritt weitergeht als bis zum Rekrutierungsbüro.

Ein Geizhals mit den Ansprüchen eines verlorenen Sohnes.

Nicht so sehr Libertin als vielmehr Abenteurer auf kleinem Fuß, fasziniert von dem, was er für das Leben eines Künstlers hielt, voll Verachtung fürs eheliche Einerlei.

Ein Spieler, dessen Gewinne und Verluste stets nur imaginäre sind.

Ein Moralist, der sich makellos dünkt, wenn er zu Abend gegessen hat, ohne seine Krawatte zu beflecken.

Ein durch glückliche Fügung Unschuldiger, hinter dem sich ein latenter Krimineller verbirgt.

Ein Narziß, der in seiner Selbstkritik ertrinkt.

Jener gute Apostel, der, ohne sie für sich zu beanspruchen, schon lange der Meinung ist, daß die Großzügigkeit in allen Lebensbereichen die unbezweifelbarste aller Tugenden sei.

Ein Buchhalter, der seine Bilanz aus dem Gedächtnis macht.

Ein Utopist, der von einer Logik der Wörter träumt.

Ein Ethnograph, der umsonst bei fernen Völkern zu lernen versuchte.

Ein Geschundener, den der Alp halbiert und skalpiert.

Ein Verzweifelter, der die Hoffnung nicht aufgibt, sein Unglück eines Tages in Geduld zu tragen.

Ein Verwirrter, der an der Poesie hängt wie ein Clochard an seinem Liter Roten.

Leidenschaftlich einer, der - o lange Geschichte ohne große Dissonanzen! - fast ausschließlich zu zweit existiert haben wird.

Ein Adam, den die schöne Wirklichkeit seiner Eva nicht immer blind gemacht hat für den Zauber der Lilith.

Eher Vaudeville als Drama: Ein Rebell, der sich damit begnügt, zu Hause bisweilen herumzunörgeln.

Ein Feminist, der die Rechte des Ewig-Weiblichen verteidigt.

Ein Revolutionär, den das bequem Gewohnte lähmt und der beim Anblick des Blutes beinah in Ohnmacht fällt.

Ein Gewaltloser, der leider nicht glaubt, daß man etwas erreicht, wenn man die Backe hinhält.

Ein geborener Christ, durch seine Erziehung ebenso stigmatisiert wie ein Neger durch seine Hautfarbe.

Einer, der sich auskennt und weiß, daß sich für bescheiden zu halten (zu glauben, man unterschätze sich) der Gipfel der Eitelkeit ist.

Einer, der allzu zivilisiert ist, um nicht auch ein wenig wild zu sein.

Ein reumütiger aficionado, der die Freundschaft der Hunde schätzt, nachdem er einst die spektakuläre Tötung der Stiere liebte.

Ein Snob, der sich darin gefällt abzulehnen, sich aber freut, wenn man ihm Angebote macht.

Ein Dandy ohne Putz, mit eher schüchternen als unverschämten Manieren.

Ein Selbstmordkandidat, den seine schwindelerregende Furcht vor dem Tod anstachelt und zurückhält.

Ein Sokrates, der sich selbst gut genug kennt, um zu wissen, daß er niemals heiter den Schierlingsbecher trinken wird.

Ein Lebender, den die bloße Vorstellung, daß das Leben enden wird, daran hindert, es zu genießen.

Ein Atheist, der den Mond anbetet.

Ein Positivist, der nach Wundern hungert.

Ein Ungläubiger, untröstlich über den Tod der Feen.

Ein Glaubensloser, ausstaffiert mit Ikonen, Talismanen und privaten Votivtafeln.

Derjenige, der - desillusioniert - hier spricht, um sich noch einmal eine Illusion zu verschaffen.

Ein Liebhaber von Mythen, der von diesen verlangt, keine Mythen zu sein.

Ein Schatten oder ein Reflex, denen ihr allzu undurchlässiger Körper nicht ähnlich ist.

Ein Fastenmonat, der sich als Fisch im Wasser fühlen möchte.

Ein Nutznießer eher als ein Besitzer.

Ein verstümmelter Kegel, dessen Spitze, wäre er ganz, ins Unendliche ragte.

Ein hohler Phantast, der sich nach Fülle sehnt.

Ein zu Panik neigender Autor, begierig nach beruhigenden Komplimenten.

Ein Taugenichts, der nur seine Muse hat, um sein Elend zu vergessen.

Ein Eaulpelz, den die Langeweile zum Arbeiten zwingt.

Politisch nicht mehr und nicht weniger als ein planetarischer Verfechter der dreifachen Devise, die sich als Inschrift auf so manchem unserer öffentlichen Gebäude findet.

Ein Pazifist, überzeugt davon, daß fast jeder Krieg ein Gemetzel zwischen Fernsprechteilnehmern zweier verschiedener Zonen ist.

Ein Realist, den allein schon die dumme Einfalt jener Lehre, die durch die Karikatur eines vom Hundestammbaum abgeleiteten Stereotyps die Einzigartigkeit der Person zunichte macht, dazu bringt, sich gegen den Rassismus aufzulehnen.

Ein Zweibeiner, der die Vierbeiner nicht verachtet, sich jedoch entrüstet, wenn er sieht, wie ein Regime (ein faschistisches oder jedes andere), es sich angelegen sein läßt, eine Nation in eine Viehherde zu verwandeln.

Ein Xenophob, der schon allein den Philistern mit dem dumpfen Verstand feindlich gesonnen ist.

Ein Spion, der mit seinen eigenen Geheimnissen Handel treibt.

Eine Flamme im Verlöschen, die noch immer heftig züngelt.

Ein Angsthase, dessen Sorgen, ob groß, ob klein, immer aber bohrend, aufeinanderfolgen nach dem Motto »die eine geht, die andere kommt«.

Ein Abergläubischer, der schwarz sieht, um das Weiß nicht zu gefährden.

Ein Rebhuhn, das wohl weiß, daß der Jäger ihm auflauert.

Ein Jonas, der immer dem Bauch des Wals nachtrauern wird.

Ein unfreiwillig Geborener, der niemand anderen zum Vorgeladenen machen wollte, der außerstande wäre, sich zu weigern.

Ein erklärter Feind der Fruchtbarkeit, der sich gegen Lebensende zum Vorwurf macht, der ihm Nächsten nicht das Kind geschenkt zu haben, dessen Mutter sie gerne gewesen wäre.

Ein Griesgram, der es beinahe allen verübelte, in die Welt gesetzt worden zu sein.

Ein heiliger Sebastian mit umgekehrten Pfeilen.

Ein Klausner, der es nicht mehr erträgt, auf seine Welt mit den geschlossenen Fensterläden beschränkt zu sein.

Ein Theseus mit ständig abgeschnittenem Ariadnefaden.

Ein verfluchtes Loch, in dem der Blitz sich verfängt.

Gewiß kein Verdammter dieser Erde, aber ein gottverdammter Verdammter trotzdem!

Ein Sträfling, den keine Internationale aufrichten könnte.

Ein Zauberlehrling, der besser nicht mit den glühenden Kohlen des Pessimismus gespielt hätte.

Ein Hellseher, der sein Leben lang an den Abstieg ins Grab dachte, aber nicht vorhergesehen hatte, welche Qual das langsame Versinken bedeuten würde.

Ein Enttäuschter, den die düstere soziologische Reflexion gelehrt hat, daß seine höchsten Werte keineswegs universell, sondern nur die Sache einiger weniger sind.

Ein Prophet, allzu prophetisch, um ein fröhlicher Prophet zu sein.

Ein Bild ohne Rahmen, von seinen Linien gesprengt.

Ein Philemon, der leidet, weil er fühlt, wie seine Baucis und er sich nach und nach in Bäume verwandeln.

Ein Schüler voll Verdruß, da er ans Ende seiner großen Ferien denkt.

Ein Bittsteller um Sternstunden, die ewig währen sollten.

Eine Alice, die im Wunderland eine Schlange getroffen hat.

Eine jung gebliebene Seele, die in die Hölle gestürzt wird durch den geringsten Widerstand jener anderen Seele, mit der die Liebe sie verschwistert.

Ein bis heute vom Glück begünstigter Naiver, der sich der Schrift anvertrauen konnte wie einer Magie, die das Schlimmste zu verklären vermag.

Ein Geist ohne Steuer und Kompaß, der sich nur noch wiegt zum Klang der Musik, die seine Vergangenheit ihn vernehmen läßt.

Ein vorsintflutliches Wesen, plötzlich seines Anachronismus bewußt.

Einst ein Reisender auf der Suche nach dem Gelobten Land.

Heute ein Korken auf dem Weg zum Ozean.

Ein betrogener Dilettant, dessen Leben in einem großen Opernfinale hätte enden sollen.

Ein Gestrandeter, der es sich ankreidet, an der Seite seiner ehemals so tapferen Gefährtin die üble Rolle eines Strandräubers gespielt zuhaben.

Ein Schriftsteller,  der nicht nach der relativen Unsterblichkeit strebt, die der Ruhm verbürgt, sondern nach dem Gefühl dürstet, das er bei der Arbeit hat, wenn sie gut läuft: nicht mehr in den Fängen des Todes zu sein.

Von nun an ein Vereinsamter, der nur noch zur Hälfte existieren wird. - Michel Leiris, Leidenschaften. Frankfurt am Main 1992 (Fischer-Tb. 10560)

Ich  (70)  Manchmal überlege ich mir spaßeshalber, wie mein Leben ausgesehen hat. Meine Kindheit? Genau wie alles, was später gekommen ist, nur in verkleinertem Maßstab. Meine literarischen Arbeiten? Eine Reihe beträchtlicher Siege über mich selbst - so sehr hat es mir immer an Selbsttäuschung, an Ehrgeiz, an irgendwie gearteten Idealvorstellungen gefehlt.

Meine Häuslichkeit? Ich wohne in fast leeren Zimmern, wie jemand, der am selben Morgen erst eingezogen ist.

Meine Liebesverhältnisse? Ich hätte mir Schönheit, Beschwingtheit, Eleganz, Abenteuer gewünscht: gehabt habe ich nur so etwas wie ein ungesetzliches Bratkartoffelverhältnis. Das Geld? Ich habe immer arbeiten müssen. Ich arbeite noch immer für meinen Lebensunterhalt und verbringe den ganzen Tag zwischen den vier Wänden eines Büros. Die Tafelfreuden, die guten Gerichte, die guten Weine, die Gesellschaft fröhlicher Tischgenossen, alles, von dem es heißt, es lasse einen innerlich aufblühen? Ich trinke Wasser, ich esse die merkwürdigsten Dinge an einer Ecke des Tisches, wie man eine lästige Pflicht erledigt. Freunde? Ich weiß nicht recht... Ich habe welche, und selber bin ich höchstens für Rouveyre einer, der genauso ein komischer Kauz ist wie ich. Die Wahrheit ist eher, daß die ganze Welt verschwinden könnte, ohne daß es mich rührte. Ich sehe gern einmal diesen oder jenen, aber wenn ich sie nicht sähe, wäre es ebenso recht. Was ich liebe, was mir gefällt, was ich mir gewünscht hätte, was ich vermisse, wonach mich verlangt, was mich begeistert - ich glaube, auf all das könnte ich antworten: Nichts. - (leau)

 Ich  (71)  Der nur im Stillen schreit, den die kleinste Kleinigkeit aber manchmal zum Reifen bringt.

Der seine Wunde ohne kenntlichen Ursprung mit Worten zu verbinden sucht.

Der niemals die Maske herunternimmt, er, den die Sprache gestaltet hat, die die anderen gestaltet haben.

Der die Einsamkeit mit Mühe erträgt, der aber in Gesellschaft sich kaum wohler fühlt.

Der den Drogen Alkohol und schwarzer Kaffee mißtraut, denn sie bringen allein seine Plagen in Schwung.

Der von dem Freundesmahl, auf das er wartete wie auf ein Fest, im allgemeinen enttäuscht zurückkommt und sich selbst als ersten anschuldigt, nicht auf der Höhe gewesen zu sein.

Der sich in die Marginalität wünschte, zu der die Poesie ihn ruft, jedoch Wert darauf legt, ein - wenn auch nur im kleinsten - engagiertes Werk zu vollbringen und, ohne weitergesteckte Ambitionen, sich freuen würde, die anderen durch die Erzählung mitreißender Geschichten in Bann zu schlagen, anstatt nur sich selbst zu erzählen.

Der, um sich zu entfliehen, den Grund seines Ich durchstöbert.

Der bei dem Versuch, sein Übel zu behandeln, allzu naiv die Diagnose mit der Therapie verwechselt.

Der nicht mehr darauf baut, sich von seiner Obsession zu heilen, denn wäre er heilbar, so wäre er schon geheilt.

Der sich bemüht, sich keine große Freude zu versprechen, aus Angst, sein Pech möge sie vereiteln.

Der zwischen jenen drei Bildern sich hindurchlaviert: dem Bild, das man sich von ihm macht, demjenigen, das er sich selbst von sich macht, und dem, welches er im Spiegel zu lesen glaubt...

Der nicht so eitel ist, sich gar bescheiden zu dünken.

Der nicht verbrämt werden will, aber an dieser Weigerung nicht hochmütig werden möchte: eine innere Verbrämung wäre nicht weniger närrisch als die Ehrenlegion.

Der, ohne Masochist zu sein, dennoch die Nachrichten hört.

Der das weltweite Absterben der Werte, die er zu den seinen gemacht hatte, als ein Unheil empfindet, das ihm die Aussicht seines eigenen Absterbens noch unheilvoller macht.

Der - bei zerschlagener Hoffnung und zu einem Zwiegespräch mit etwas verdammt, was sich nicht mehr sanfte Melancholie nennen läßt - oft seiner Galle in der essigsauren Form des schwarzen Humors freien Lauf läßt.

Der, jeden Morgen in Panik gestürzt, sich von Kopf bis Fuß wappnen muß gegen den kommenden Tag.

Der aus Bestürzung eifert und im Eifer bestürzt ist.

Den der Schrecken an der Gurgel packt, wenn er aufmerksam in sich schaut.

Der unter vorweggenommenen Gewissensbissen leidet, wohl wissend, zu welchen Gemeinheiten ihn seine Schwäche verleiten könnte.

Der als Unterkunft seinen eigenen Körper hat, der aber zum Kabuff geworden ist oder bestenfalls zum Ballsaal, den kein Tanz mehr belebt.

Der eifersüchtig darüber wacht, daß die seit jeher hinter seiner Stirn entzündete Lampe nicht zu kohlen beginnt.

Der dem Altern seines Gefährten, des Hundes, zusieht, als ob er sich in einem Spiegel betrachtete.

Der sich ein Tier weiß, aber im Schreiben als etwas anderes zu behaupten sucht.

Der - das Auge auf die sich verkettenden Sätze geheftet - gegen den Anblick der letalen Entkettung außerhalb des Spieles gefeit ist.

Der nur ein banaler Drogensüchtiger wäre, wenn sein Abdriften sich nicht zu einem von jenem Anderen, dem potentiellen Leser, konsumierbaren Produkt konkretisierte.

Der nicht mag, was er ist, aber gern zu sagen vermag, daß er ist.

Der, wenn er sich als anatomische Bildtafel verkleidet sich die Mühe gibt, seine Eingeweide als elegantes Rankenornament auszulegen.

Der sich manchmal vorwirft, nicht an seinem eigenen Gesang zu sterben wie Hoffmanns Antonia oder der Schwan der Legende.

Der - aus moralischem Vorurteil vielleicht - den musikalischen Rausch dem Rausch durch das gegorene Getränk vorzieht.

Der liebend gern über die Kunst herzieht, wie ein Heiminsasse, der über seine Anstalt wettert.

Der Zeile um Zeile schreibt, wie ein anderer von Tür zur Tür hausieren geht.

Der als Poet sich bemüht, die Absurdität zu leugnen, mit der der Tod alles belegt.

Der, ohne auf Ruhm noch auf ewigen Fortbestand Anspruch zu erheben, im leider immer wieder versiegenden Fluß des Schreibens seinen Unsterblichkeitstrank zu finden sucht.

Der seine Manie in den Himmel erhebt, obgleich sie weit weniger lebensnotwendig ist als die Luft zum Atmen oder das Essen und Trinken.

Der sich jedesmal freut, wenn er sein Autorenhonorar einstreicht, als fände er eine Rechtfertigung darin.

Der, obwohl er die Tricks verabscheut, alle Hebel in Bewegung setzt, um den Dreh zu entdecken.

Der mit Karten spielt, von denen er ahnt, daß sie gezinkt sind, nach verlorenem Spiel sich aber wundert und darüber jammert, betrogen worden zu sein.

Der weder dadurch, daß er das Leben gegeben noch es irgendjemand genommen hätte, an dem großen Rad der Welt mitgedreht hat.

Der es beklagt, in solchem Maße von der Politik abgestoßen zu sein, einer immerhin entscheidenden Angelegenheit, da doch das Geschick der Menschen davon abhängt.

Der sich, da der Aufbau des Sozialismus überall den Zug der FREIHEIT verpaßt hat, die Frage stellt, ob man es dabei jetzt bewenden lassen oder ob man versuchen soll, die Methode zu berichtigen.

Dem sein materiell leichtes Leben so manchen geistigen Luxus erlaubt hat!

Dessen Mißtrauen gegenüber Gewißheiten aus gediegener Eiche Gefahr läuft, ein morsches Brett zusammenzuzimmern.

Der sich oft für einen Heloten hält, aber nicht weiß, von welchen Spartanern.

Der schlecht über sich redet, um auf Umwegen über die anderen schlecht zu reden.

Der das Dasein lächerlich findet und doch nicht darüber lachen kann.

Der zwischen dem angstvollen Wachsein und dem Absacken in die Schläfrigkeit hin und her laviert.

Der, keineswegs allein und noch im Besitz mancher Hilfsmittel (literarische Arbeit, Dogmatik, Gefräßigkeit, heißere und längere Bäder als üblich, Ausstellungsbesuche, Spaziergänge usw.), natürlich aufhören müßte, sich zu beklagen.

Der sich immer mehr darüber schämt, daß ihm jenes Kunststück nicht gelingen will: in jeder Lage gleichermaßen bei Laune zu sein.

Den die Angst im Bann hält wie einen Hund, der den Tod im Haus spürt.

Der zu sehr weiß, was die Worte in den Höflichkeitsfloskeln bezeichnen, um nicht zu zögern, bevor er sagt, es sei wirklich »ein Unglück« und es täte ihm »leid«.

Für den die Worte zu toten Buchstaben werden, wenn es den Dingen allzu schlecht geht.

Der nicht versteht, daß die Menschen, die ohnedies schon der Spielball schlimmster Zerrüttungen sind, so oft Gefallen daran finden, noch einmal so dick aufzutragen.

Der auf das Milligramm setzt, das die Waage einem glücklichen Augenblick sich zuneigen läßt.

Der seine Widersprüche nicht ausmerzen könnte, ohne sich selbst auszuradieren.

Dem es widerstrebt, sich als mickrigen Jemand zu offenbaren und nicht als vergötterten Mikado.

Der sich an der Seite so vieler Freunde, die auch nichts zu beschützen vermochte, nur noch seinerseits auszustrecken braucht wie auf einer wattierten Matratze.

Der versucht, dieses Buch zu beenden, während sein eigenes Leben und die Zivilisation, der er angehört, ihrem Ende entgegengehen.

In dessen Augen der schöne Augenblick immer mehr im Wert steigt, genau wie an der Börse der Goldkurs, wenn die Katastrophen drohen.

Der, selbst wenn er sich mit Bändern behängt, sich schon zum angstbleichen Greis geworden weiß.

Der leidenschaftlich die Minute des Wunders ersehnt, aber nichts von der Kunst versteht, die eventuelle Süße der Stunde auszukosten.

Der sich an ein kaum fünfzig Zentimeter langes Band klammert, wo doch Stricke, Taue, ja Stahlseile nötig wären.

Der unversöhnt enden wird, ohne dadurch stolzer zu werden.

Der seinem Vater oder seiner Mutter nichts vorwirft; aber ihm das Leben zu geben hieß, ihn dem Tod zu verschreiben.

Der sich auf jene sonderbare Alchemie einläßt: seine nicht geweinten Tränen, die im Inneren zu Schlamm und Ekel geworden sind, in Tinte zu verwandeln.

Der zu gut weiß, daß »ich « kein Anderer ist. - (leiris2)

 Ich  (72)   Wenn ich mir überlege, was ich bin und immer gewesen bin, dann komme ich zu folgendem - und ich schreibe das nicht ostentativ, sondern wie für mich ganz allein: ich habe nie den geringsten Ehrgeiz gehabt, ich habe nie etwas ersehnt, ich habe mir nie das geringste Talent zugeschrieben, über Komplimente lache ich, ich bin nie irgendwohin gefahren, ohne mich sofort nach der Ankunft zu fragen, was ich da eigentlich wollte, ich habe mir nie etwas gekauft, ohne mich, sobald ich es bei mir zu Hause sah, zu fragen, warum ich mich damit belastet habe, wo ich auch hinkam, immer fand ich, daß alles sich gleiche, nie habe ich etwas restlos Angenehmes kennengelernt, gekostet, verspürt, gehört, nie hat etwas mich über den Trott immer gleicher Tage hinausgehoben.  Dabei bin ich im Umgang mit anderen äußerst vergnügt und amüsant, voller Schwung, treffender Bemerkungen, Einfalle, Spötteleien, boshafter Offenherzigkeiten, ebenso lebhaft in der Mimik wie in den Worten. Liegt das im menschlichen Wesen? Ein vergnügter Autor: ein trübsinniger Mensch. Ein komischer Schauspieler: ein trübsinniger Mensch. Ein geistvoller Mensch: ein trübsinniger Mensch. - (leau)

 Ich  (73)   1886 geboren in Wien von österreichischer Mutter und Schweizer Vater. Großvater väterlicherseits Goldgräber in Kalifornien (sans blague), mütterlicherseits Hofrat (schöne Mischung, wie?). Volksschule, drei Klassen Gymnasium in Wien. Dann drei Jahre Landerziehungsheim Glarisegg. Dann drei Jahre Collège de Genève. Dort kurz vor der Matur hinausgeschmissen, weil ich einen literarischen Artikel über einen Gedichtband eines Lehrers am dortigen Collège verfaßt hatte. Dann Dadaismus. Vater wollte mich internieren lassen und unter Vormundschaft stellen. Flucht nach Genf. Rest können Sie in ‹Morphium› nachlesen. Ein Jahr (1919) in Münsingen interniert. Flucht von dort. Ein Jahr Ascona. Verhaftung wegen Mo. (Morphium). Rücktransport. Drei Monate Burghölzi (Gegenexpertise, weil Genf mich für schizophren erklärt hatte). 1921 — 1923 Fremdenlegion. Dann Paris Plongeur (Geschirrwäscher)! Belgien Kohlengruben. Später in Charleroi Krankenwärter. Wieder Mo. Internierung in Belgien. Rücktransport in die Schweiz. Ein Jahr administrativ (ohne Gerichtsbeschluß) Witzwil. Nachher ein Jahr Handlanger in einer Baumschule. (Psycho-) Analyse (ein Jahr), während ich in Münsingen weiter als Handlanger in einer Baumschule gearbeitet habe. Als Gärtner nach Basel, dann nach Winterthur. In dieser Zeit den Legionsroman geschrieben (1928/29). 30/31 Gartenbauschule Oeschberg. Juli Nachanalyse. Jänner 32 bis Juli 32 Paris als ‹freier Schriftsteller›  (wie man so schön sagt). Zum Besuch meines Vaters nach Mannheim. Dort wegen falscher Rezepte arretiert. Rücktransport in die Schweiz. Von 32 bis 36 interniert. Et puis voilà. Ce n'est pas trèsbeau . - Friedrich Glauser, in: F. G., Kriminalromane.  Berlin 1990 (zuerst ca. 1935)

 Ich  (74)  "Ich weiß, wer ich bin", sagte Don Quijote, "und weiß, daß ich nicht nur jeder der gedachten Helden sein kann, sondern auch sämtliche Pairs von Frankreich und selbst all die neun Söhne des Ruhms; denn all den Großtaten, die sie alle zusammen und jeder für sich vollbracht haben, werden die meinigen voranstehen."   - (don)

 Ich  (75)  Wie alle Babylonier bin ich Prokonsul gewesen; wie alle Sklave; auch habe ich die Allmacht, die Schande, die Kerker kennengelernt. Seht: An meiner rechten Hand fehlt der Zeigefinger. Seht: Durch diesen Riß im Mantel kann man auf meinem Bauch eine rote Tätowierung sehen; es ist das zweite Schriftzeichen, Beth. Dieser Buchstabe verleiht mir in Vollmondnächten Gewalt über die Menschen, die mit Ghimel gezeichnet sind, aber er unterstellt mich denen mit einem Aleph, die in Neumondnächten jenen mit Ghimel Gehorsam schulden. In der Morgendämmerung habe ich in einem Kellergeschoß vor einem schwarzen Steinileilige Stiere gekehlt. Ein Mondjahr lang war ich für unsichtbar erklärt; ich rief und bekam keine Antwort, ich stahl Brot und man köpfte mich nicht. Ich habe erfahren, was Griechen nicht kennen: die Ungewißheit. In einer Bronzekammer, vor dem stummen Tuch des Würgers, ist die Hoffnung mir treu geblieben; im Strom der Wonnen die Panik. Herakleides Pontikos erzählt bewundernd, daß Pythagoras sich erinnerte, Pyrrhos gewesen zu sein und davor Euphorbos und davor irgendein anderer Sterblicher; um ähnlicher Wechselfälle zu gedenken, brauche ich weder auf den Tod zurückzugreifen noch auf Hochstapelei. - J. L. Borges, Die Lotterie in Babylon, nach (bo3)

 Ich  (76)  

Ich bin Thot, der Wissende,
der das Morgen verkündet und die Zukunft ausspäht,
ohne sich irren zu können;
der Himmel, Erde und Unterwelt leitet
und die Himmelsbewohner leben läßt.
Ich gebe Atem dem, der im Geheimen ist,
durch die Zaubersprüche, die in meinem Mund sind.

- Ägyptisches Totenbuch, nach (hart)

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VB
Mittelpunkt Egoismus

Synonyme
Zentrum