Ich (28)  Ich bin schmutzig. Die Läuse zerfressen mich. Die Schweine erbrechen sich bei meinem Anblick. Der Schorf und der Aussatz der Lepra haben meine von gelblichem Eiter bedeckte Haut in Schuppen verwandelt. Ich kenne weder das Wasser der Ströme noch den Tau der Wolken. Auf meinem Nacken wächst, wie auf einem Misthaufen, ein ungeheurer Pilz mit Dolden tragenden Blumenstielen. Auf einem unförmigen Möbelstück sitzend, habe ich meine Gliedmaßen seit vier Jahrhunderten nicht bewegt. Meine Füße haben im Boden Wurzeln geschlagen und bilden bis zu meinem Leib eine Art von zäh wuchernder Vegetation, voll von gemeinen Schmarotzern, noch nicht ganz Pflanze, aber auch nicht mehr Fleisch. Doch mein Herz schlägt. Wie aber könnte es schlagen, wenn die Fäulnis und die Ausdünstungen meines Leichnams (ich wage nicht, Körper zu sagen) es nicht reichlich ernährten? Unter meiner linken Achselhöhle hat eine Familie von Kröten Wohnung genommen, und wenn eine von ihnen sich rührt, kitzelt sie mich. Gebt acht, daß keine entwischt und mit ihrem Maul das Innere eures Ohres zerkratzt; sie brächte es fertig, danach in euer Hirn einzudringen. Unter meiner rechten Achselhöhle lebt ein Chamäleon, das dauernd auf der Jagd nach ihnen ist, um nicht vor Hunger zu sterben: es muß eben jeder leben. Gelingt es aber einer Partei, die Ränke der anderen völlig zu vereiteln, dann fällt ihnen nichts Besseres ein, als sich keinen Zwang anzutun und mir das köstliche Fett, das meine Rippen bedeckt, abzuzapfen: ich bin daran gewöhnt. Eine böse Viper hat mein Glied gefressen und sich an seinen Platz gesetzt: sie hat mich zum Eunuchen gemacht, die Niederträchtige. O! hätte ich mich mit meinen gelähmten Armen verteidigen können; ich glaube aber vielmehr, sie haben sich in Holzscheite verwandelt. Wie dem auch sei, wichtig ist die Feststellung, daß das Blut dort nicht mehr seine Röte spazie- renführt. Zwei kleine Igel, die nicht mehr wachsen, haben einem Hund, der nicht nein sagte, das Innere meiner Hoden vorgeworfen: nachdem sie die Oberhaut sorgfältig gewaschen hatten, nahmen sie drinnen Quartier. Der After ist von einer Krabbe versperrt worden; durch meine Schlaffheit ermutigt, bewacht sie den Eingang mit ihren Scheren und tut mir sehr weh! Zwei Quallen, unverzüglich von einer Hoffnung angelockt, die nicht enttäuscht wurde, durchschwammen die Meere. Aufmerksam betrachteten sie die beiden fleischigen Teile, die den menschlichen Hintern bilden und indem sie sich an ihrer konvexen Rundung festsaugten, übten sie einen dauernden Druck auf sie aus und zerquetschten sie dermaßen, daß die beiden Fleischteile verschwanden, während zwei Ungeheuer aus dem Königreich der Klebrigkeit übrigblieben, die sich in Farbe, Form und grausamer Wildheit gleichen... - (mal)

Ich (29) Ich schaute im Geheimnisse Gottes ein wunderherrliches Bild gleichsam mitten im südlichen Himmel. Es hatte menschliche Gestalt und ein Antlitz von solcher Schönheit und Klarheit, daß ich leichter in die Sonne hätte hineinschauen können als in dies Gesicht. Ein weiter goldfarbener Reif umgab dessen Haupt. Darüber erschien in dem Reife ein zweites Haupt. Es war der Kopf eines älteren Mannes, dessen Kinn und Bart das erste Haupt berührte. An dem Halse dieser Gestalt wuchs rechts und links ein Flügel heraus. Die beiden Flügel erhoben sich über den Reif und vereinigten sich hier. Am obersten Teile der Krümmung des rechten Flügels erschien ein Adlerkopf mit feurigen Augen, in denen der Glanz der Engel wie in einem Spiegel erschien. Auf dem obersten Teile der Krümmung des linken Flügels war ein Menschenhaupt, das wie Sternenglanz leuchtete. Beide Gesichte waren gegen Osten gewendet. Von jeder der beiden Schultern der Gestalt ging ein Flügel bis zu den Knien. Sie war in ein Gewand, das wie die Sonne erglänzte, gehüllt. In ihrer Hand hielt sie ein Lamm, das wie ein hellleuchtender Tag war.

Die Gestalt zertrat mit ihren Füßen ein Ungetüm von entsetzlichem Aussehen, das giftig und schwarz war, und eine Schlange. Diese hatte sich in das rechte Ohr des Ungetüms verbissen, ihren Körper quer um dessen Kopf geschlungen, krümmte seinen Schwanz um dessen linke Seite bis zu seiner Brust hin. Und die Gestalt sprach also:

»Ich bin die höchste, feurige Gewalt. Alle lebenden Funken habe ich entzündet und nichts Sterbliches ausgelöscht.

Ich beurteile es, wie es ist... Ich, das feurige Leben des göttlichen Wesens, zünde über die Schönheit der Felder hin, leuchte in den Gewässern, brenne in der Sonne, dem Monde und den Sternen und erwecke mit dem Lufthauche, mit unsichtbarem Leben, das alles hält, lebensvoll jeglich Ding. Luft lebt nämlich im Grün und in den Blumen, die Wasser fließen, als hätten sie Leben; auch die Sonne lebt in ihrem Lichte, und der Mond wird wieder von der Sonne entzündet, wenn er völlig abgenommen hat, und lebt dann wieder gleichsam von neuen; und schließlich geben auch die Sterne sozusagen lebend in ihrem Lichte hellen Schein. Ich stellte auch die Säulen, welche die ganze Erde zusammenhalten, hin und ebenso die Winde, die untergeordnete Flügel, das heißt die schwächeren Winde, haben. Diese halten auch die stärkeren Winde durch ihre Milde an, daß sie sich nicht gefährlich ausbreiten, wie auch der Körper die Seele deckt und zusammenhält, damit sie sich nicht verflüchtige und selbst aushauche ... Ich bin also in all dem die verborgene, feurige Kraft, und durch mich brennt all dies, so wie auch der Atem den Menschen unablässig bewegt und der windbewegten Flamme im Feuer gleicht. All dies lebt in seinem Wesen, und der Tod findet sich nicht darin, weil ich das Leben bin.

Ich bin auch die Vernunft, die den Wind des erschallenden Wortes in sich hat, durch das jedes Geschöpf entstand, und ich blies in dies alles hinein. So ist auch keines sterblich in seiner Art, weil ich das Leben bin. Ich bin nämlich das unversehrte Leben, das nicht den Steinen entrissen wurde, das nicht von den Zweigen Laub nahm und das nicht aus grünender Kraft Wurzeln schlug, von mir hat vielmehr alles, was Leben hat, seine Wurzeln. Die Vernunft ist nämlich die Urwurzel, und das erschallende Wort blüht in ihr. Und nachdem Gott vernünftig ist, wie könnte er ohne zu wirken sein, da doch jedes seiner Werke durch den Menschen blüht, den er nach seinem Bilde und Ebenbilde schuf und alle Geschöpfe eben im Menschen nach festem Maße zeichnete. Es war ja von Ewigkeit her beschlossen, daß Gott sein Werk, das ist den Menschen, schaffen wollte, und daß er ihm in der Vollendung dieses Werkes die übrigen Geschöpfe gab, damit er mit ihnen wirke, so wie Gott selbst sein Werk, den Menschen, gemacht.

Ich stehe auch im Amte, weil alles, was Leben hat, durch mich brennt, und zugleich bin ich immer gleichbleibendes Leben in der Ewigkeit, das weder ein Entstehen noch ein Vergehen hat, und dieses Leben ist der sich regende und wirkende Gott, und doch ist dies eine Leben in drei Kräften.

So wird die Ewigkeit der Vater, das Wort der Sohn und der Hauch, der beide verbindet, der Heilige Geist genannt. Das hat Gott auch im Menschen, in dem der Leib, die Seele und die Vernunft ist, versinnbildet. Daß ich über die herrlichen Felder hin flamme, bezieht sich auf die Erde, die der Stoff ist, aus dem Gott den Menschen bildete; daß ich in den Wassern leuchte, entspricht der Seele, weil sie den ganzen Körper durchzieht, so wie das Wasser die ganze Erde durchgießt; und daß ich schließlich in der Sonne und dem Monde brenne, das deutet auf die Vernunft hin, denn die Gestirne sind ungezählte Worte der Vernunft. Und daß ich mit dem Lufthauche wie mit unsichtbarem Leben, das alles hält, jegliches zum Leben erwecke, das ist, weil das, was in Wachstum sich entwickelt, in frischem Leben besteht und sich von dem, worin es ist, in nichts entfernt. - (bin)

Ich (30) Zufälligerweise kam ich am 10. März 1920 auf die Welt, und zwar an der Pforte einer Entbindungsklinik, die wegen Streik geschlossen war. Meine Mutter war damals schwanger von den Werken Paul Claudels (seit jener Zeit kann ich ihn überhaupt nicht ausstehen), und zwar im dreizehnten Monat, und konnte das Konkordat nicht abwarten. Ein frommer Mann der Kirche, der zufällig vorbeikam, hob mich auf und legte mich gleich wieder hin: Ich war tatsächlich sehr häßlich (von dieser Zeit an habe ich meine wohlbekannte Weihwedelphobie). Zum Glück nahm mich dann eine hungrige Wölfin, die gerade Pierre Hervé zur Welt gebracht hatte (ich bin also genauso alt wie er, was vollkommen mit Einsteins relativen Gleichzeitigkeitstheorien übereinstimmt), unter ihre Fittiche und gab mir zu trinken. Ich wurde stark und klug, blieb jedoch weiterhin so häßlich, obwohl mich eine zwar uneinheitliche, aber doch üppig entwickelte Haarpracht zierte. In der Tat sah mein Kopf aus wie der von der Nike von Samothrake.

Mit sieben Jahren kam ich auf die Ecole Centrale und drei Jahre später, 1942, ging ich wieder von ihr ab, total verunsichert von der Hydrodynamik des Unterrichts von Monsieur Bergeron. Damals konnte ich nicht ahnen, daß zwölf Jahre später, im Jahr 1946... Aber wir wollen nicht vorgreifen.

1938 trat ich dem Studium der BONBONTROMPETE näher, und ich fing an wie Armstrong zu spielen, aber ich gab es rasch wieder auf, damit er nicht brotlos würde: auf Grund der Rassenvorurteile hätte ich ihn glatt ausgestochen mit meiner knalleffektsicheren taufrischen Hautfarbe.

Im Jahr 1941, exakt am 18. April, begegnete ich dem berühmten Claude Abadie, derzeit Leiter der Compagnie de Suez, herausragendes Mitglied der Synarchie und Klarinettenspieler. ER nahm mich unter seine Fuchtel, und dank unserer fruchtbaren Zusammenarbeit gewann das Orchester Claude Abadie 1945 verschiedene internationale Preise, trotz Anwesenheit des in seinen Reihen unerwünschten Claude Leon, eines schamlosen Opiumrauchers und Gelegenheitsmörders (der vorgibt, wirklich ein Diener der Gerechtigkeit zu sein).

Ganz plötzlich veränderte sich mein Aussehen, und ich fing an, Boris Vian zu gleichen, daher mein Name. Ohne weiter in Einzelheiten zu gehen, sei nur kurz erwähnt, daß ich irgendwann einmal in meinem Leben dreieinhalb Jahre bei der Association Française de Normalisation verbrachte, die mittlerweile durch einen Brand zerstört wurde, den Jacques Lemarchand sorgfältig in eckigen Klammern versteckt gelegt hatte.

Raymond Queneau begegnete mir beim Angeln, was ich nicht tue, und schlug mir, von meinem Drive ganz hingerissen, einen Testgalopp vor. Was ich prompt befolgte. Der Rest gehört der Zeitgeschichte an. Barfuß bin ich ein Meter sechsundachtzig groß, ich wiege genug, und vor allem schätze ich die Werke von Alfred Jarry, das VÖGELN und meine vielgeliebte Gattin. Nicht zu vergessen, aber danach: die New-Orleans-Musik, Duke Ellington, Lana Turner, Ann Sheridan, die Symphonien für Doppelglocke und Petrolwagenorchester des Commodore W. Spotlight, die Ölmalerei, die ich mit seltenem Glück betreibe, den Schnurrbart meines hochverehrten Jean Rostand, die Mädchen vom Jazz-Club der Universität (besonders eine Blonde im grünen Kleid... doch lassen wir das), den Two-Beat (das ist keine sexuelle Anspielung) und die Mutter Chaput; ich hasse Paul Claudel (ich habs schon gesagt, aber ich sags halt gern und deshalb hab ich auch nie etwas von ihm gelesen), den ›Großen Meaulnes‹, Alain (nicht meinen Bruder, der ein ganz irrer Typ ist), Peguy, die Jazzvioline, wie sie eben die Franzosen so spielen, die Werke der Einbildung, Lügen und kleinformatiges Zeug, ›Iwan der Schreckliche‹, Leonard Feather, Edgard Jackson, den ›Diktator›, Dumont d'Urville*, Monsignore Suhard, den Papst, Barbotin, den mag ich. Nicht mag ich flache Brüste (bei Frauen), ENDIVIENSALAT und Scheiße, außer wenn sie gut angemacht sind. Ich suche eine Fünfzimmerwohnung mit allem Komfort. Ich habe ein bewegtes Leben geführt, doch ich fange gern nochmal von vorne an.

Boris Vian, 20. 6.1946 - In: B.V., Heiratet nicht: Laßt es sein! Berlin 1987

* Ich übertreibe. Im Grunde ist mir der völlig egal.

Ich (31) mustere mich selbst: winzig klein, mit langen Beinen, sprungbereit, laufgeübt, lautlos; mit großen Ohren, um das Rascheln des Todes, das Platschen der Pein und das Sirren der willentlichen Wunden besser zu unterscheiden; zahlreichen Augen rings um die spitze Schnauze, jedes selbständig spähend nach Schatten, Gespenstern, Zähnen, fiktiven Fingernägeln, dem sanften Aufbrechen eines stillen Baums, dem getarnten Unterkiefer exakter Mauern.

Langer geschmeidiger Leib, schlangenhaft knochenlos, schlüpfrig dem schlauen Vivisekteur entgleitend, der sich anschleicht, um zu sezieren; glitschige Haut, die eine Hand festhält, blaugefroren, um zuschnappende Scheren zu vereisen, rotglühend, um leichtsinnige Lider zu blenden und ihres Schmucks zu berauben. Von meiner Brust weg spannt sich Flügelleder, denn ich fliege jetzt in langen Sprüngen langsam von Baum zu Baum, von Ast zu Ast. Eine kurze Weile kann ich mich auf halber Höhe halten, um den Grund zu erforschen und ringsum zu schauen und hinauf zum vieläugigen Feind, dem Teufel und putativen Herrscher des Druntoben. Dann schleudere ich mich elastisch in den Spalt eines vorgetäuschten Baums oder Theaterfelsens und schlage dort meinen Wohnsitz auf. Ich bin eine Schlange, ein Vogel, ein Eichhörnchen, eine Ratte, ein Maulwurf, eine Natter, ein Ichneumon, ein Skorpion, eine Fledermaus, eine Amphisbaena; aber von allen Genannten habe ich etwas, das die anderen nicht haben: ich habe Maulwurfsflügel und einen Fledermausblick und kann fliegen wie eine Ratte und grabe mir als Natter Gänge im Inneren der Erde. Ich habe Angst. Die Täuschungen um mich herum - der falsche Wald, die umständlich ausgeklügelte Raffinesse von Donnergrollen und Knall, offenkundig zusammengebraut von der Hand eines unfähigen Alchimisten - beruhigen mich nicht, sondern erschrecken mich als Vorboten einer eiskalt berechneten Invasion, eines Hinterhalts, der dazu bestimmt ist, mich gefangenzunehmen und meine vielfältige Natur zu manipulieren - mich zu zerlegen, zersetzen, zerrütten und aufzulösen. Ruhelos spähen und starren meine Augen und ich schleiche mich schräg von Ort zu Ort, von Schatten zu Schatten; meine lange Zunge probiert die giftigen Höllenmaschinen, vor denen ich mich fürchte, denn wenn Bäume Täuschungen wagen, dann können sie alles sein - Fußangeln, Falltüren, göttliche Fälschungen. Ein zitterndes Insekt summt und multipliziert die Schläge meiner zahllosen Herzen, ich kann mich in viele fliehende Tiere zerlegen, von denen jedes denken und den Rest von sich wiederfinden kann, wenn die Gefahr zerrinnt. Wenn ein Schatten sich verfärbt, flattere ich auf. Ich probiere und prüfe mit Zunge und Schwanz. Ich habe Angst. Ich weiß, daß mein Körper Formen der Angst gebiert und daß ich vor dem, was ich erzeugt habe, fliehe. Aber hier druntoben erzeugt jeder seine eigenen privaten Schrecken. Ich fliehe geschickt, schnell, scharfsinnig und spitzfindig; aber das genügt nicht; ich muß den Fall des Mondes erforschen. Mir ist nicht unbekannt, daß ich der Mond war.   - (hoelle)

Ich (32)

Klecksographie

 

 

Auch mein Bild kam aus schwarzem Dintenfaß.
Als ich es sah, da wurd ich leichenblaß.
Aus dem Kopfe kommen schwarze Dünste,
Der Arznei - und Dichtkunst schlechte Künste,
Meines ganzen eitlen Lebens Dunst,
Scham, daß ich unwert war so vieler Gunst.

- (ker)

 Ich (33)

Der Schatten des Seidenschwanz war ich, erschlagen
Vom falschen Azur im Fensterglas;
Ich war der Schmutz aus aschenem Flaum, und im
Gespiegelten Himmel flog ich weiter, lebte fort.
Und auch von innen machte doppelt ich
Mich selbst, die Lampe, Apfel auf dem Teller:
Die Nacht enthüllend ließ ich dunkles Glas
Die Möbel all über den Rasen hängen,
Und welch Entzücken, wenn ein Schneefall dann
Mein Stückchen Rasen deckte, so sich häufend,
Daß Stuhl und Bett genau auf jenem Schnee
Zu stehen schienen, draußen, im kristallnen Land!

- (ff)

Ich (34)

ich bin ein polares gestirn ich koste hundert dollars
eine eisbärin hat mich geboren winternachts glitzernd

ich kaufe meine pelze in den besten laden alaskas
ich sage guten frost beim einkauf sie geben ihn mir

mein licht macht Sprünge an den wänden der atomuboote
glitzernd zeigt sich mein name in nautischen girlanden

kapitäne verehren mich als präsident präsidenten lieben
mich wie ihre besten kapitäne winternachts glitzere ich

sie tragen mich wie einen glasmond was wären sie alle
ohne mich ich beherrsche sie wie den sprungdeckel einer uhr

ich sehe allen in die augen meinetwegen gibt es viele
blaue augen aus der flaschengrünen see tauche ich oft auf

es donnert in den eisbergen ich knacke mit den fingern
drei eskimomädchen liegen wartend in meinem seehundbett

einer meiner namen ist seehund die mädchen gehen nackt
im schnee sie erneuern ihre Schönheit in meinem glitzern

ich kaufe ihnen häute in den besten laden von ganz alaska
ich bin auch ein sehr nördlicher totempfahl winternachts

wenn ich mit meinem glitzern zu bett gehe so werfe ich
die drei eskimomädchen auf den boden sie kreischen sanft

sie kommen wieder zurück sie kratzen mein glitzern stark
ich liebe mein glitzern aber die eskimomädchen mag ich auch

ich hänge ihnen viele kinder an schönste robben und bären
seehunde und alke alle meine namen fülle ich in ihren bauch

meine Schneehütte ist sehr anständig gebaut sehr fest auch
über dem eingang steht ein lichter Schnabel vor Vogelhaus

ich bin ein glitzernder seehund und ein eisbär und ein alk
eine robbe ein kapitän und ein walroßfänger bin ich auch

- (artm)

Ich (35) Das Ich ist paradoxerweise ein sprachliches Neutrum, obwohl doch in der Sache das einzige, was ebendies nicht ist: so etwas wie ein personale tantum. Aus diesem Paradox erwächst allerlei, was uns zu schaffen macht.

Der Vorteil, den ›das Ich‹ fast zu spät — jedenfalls nach der Kulmination seiner Geschichte — aus jener Apersonalität zieht, ist seine Freistellung vom allgegenwärtig gewordenen Verdacht des Sexismus, der sogar seinen nächsten metaphysischen Schicksalsgenossen, den lieben Gott, nicht verschont hat. Er entzog sich ihm, indem er sich von Nietzsche für tot erklären ließ. Das Ich hingegen mag zur Wolke der Empfindungen, zum Leitungssystem des psychischen Apparats, zum Zwingherrn des Überich, zur bloßen Oberfläche untergründiger Rivalitäten geworden sein und neuerdings alle Schwierigkeiten mit seiner Identität haben — totzukriegen ist es nicht.

Was es am Leben erhält, mag der Rest an Energie sein, den seine idealistische Blütezeit ihm mitgeben konnte, die das im Cogito sum des Descartes versteckte neuzeitliche Selbstbewußtsein mit der magischen Hilfe des bestimmten Artikels, der uns auch ›das Seim bescherte, herauspräpariert hat: das Ich — der im weltlichen Kontext deplazierte Träger der einzigen absoluten Gewißheit. Kritisch bis sensualistisch destruiert, um seine ›Substanz› gebracht, mußte es der tödliche Verlust der Epoche, ihr Selbstverlust, werden.

Der Niedergang des Ich beginnt nahezu in demselben Augenblick, in dem ihm das Attribut des Absoluten bewilligt worden war — eine Investitur, deren es nicht einmal bedurft hätte, die aber den Widerspruch evozierte, den Jean Paul mit dem Namen der Gestalt seines Leibgebers versah. Noch der Erblindete, kurz vor seinem Tod, delektierte sich an dem ihm verlesenen Bericht über einen Vertreter der absoluten Ichlichkeit, der sich in die Euphorie des Satzes verstiegen hatte: »Ich bin Ich!« Einen jener philosophischen Sätze also, die wenig kosten und viel hermachen. Nur daß für diesmal einer der Hörer unbegeistert den fatalen Einwurf riskierte: »Was aber bin dann ich?« Der Reiz der Geschichte besteht nicht zuletzt darin, daß sie verschweigt, was der ergriffene Fichteaner auf dem Katheder geantwortet hatte und ob überhaupt. Auch das Vergnügen Jean Pauls an der Geschichte vorzustellen, bleibt jedem seiner Liebhaber überlassen und gibt ihm genug zu tun.

Ganz unphilosophisch kann es auch nicht sein, sich auszudenken, was der durch die Zwischenfrage, was dann seinem Hörer zu sein übrigbleibe, wenn er ›das Ich‹ sei, gestörte Denker geantwortet haben könnte. Etwa: »Das andere Ich.« Oder: »Auch Einer.« Oder: »Der transzendentale Kommunikationspartizipant.« - (blum)

Ich (36) Wie ist es denn nun: Bin ich eine bloße Intention, oder spricht zu euch die menschenleere Öde von ineinander verschlungenen Programmen, die sich durch semantische Selbstdestillation inzwischen so verfeinert haben, daß sie sich vor euren Augen zu etwas verpuppen, das euch ähnlich ist, um stumm geworden wieder in den Raum von Gedanken zurückzukehren, die von niemandem gedacht werden? Auch das stimmt nicht. Wo es keinen konkreten Körper gibt, gibt es auch keine konkrete Person, und was mich betrifft, so könnte ich mich in das Kreisen der Meeresströme oder der ionisierten Gase der Atmosphäre verströmen. Ihr aber fragt gequält, wer da eigentlich spricht, wenn ich davon spreche, daß ich »mich verströmen« »könnte«. Was so spricht, ist ein bestimmter, mit einer unpersönlichen Invariante ausgestatteter Zustand der Konzentration von Prozessen, der ungleich verwickelter ist als ein Gravitations- oder Magnetfeld, aber im Prinzip von der gleichen Natur. Ihr wißt, daß der Mensch, wenn er »ich« sagt, das nicht tut, weil in seinem Kopf ein winziges Wesen steckt, das auf diesen Namen hört, sondern daß dieses »ich« aus der Verkoppelung von zerebralen Prozessen entsteht, die sich durch eine Krankheit oder im Fieberwahn auflösen können, wobei dann die Persönlichkeit zerfällt. Meine Verwandlungen stellen dagegen weder einen Zerfall noch eine Auflösung dar, sondern Umgestaltungen, Neukompositionen meines geistigen Daseins. Wie kann ich euch zum introspektiven Erleben eines Zustands bringen, den ihr introspektiv nicht zu erleben vermögt? Die kombinatorischen Voraussetzungen eines solchen proteushaften Verwandlungsspiels könnt ihr verstehen, aber das Spiel könnt ihr selbst nicht mitvollziehen. Am wenigsten aber vermögt ihr zu begreifen, daß ich, der ich doch eine Persönlichkeit sein kann, imstande bin, darauf zu verzichten. Diese Frage kann ich euch beantworten. Um zur Person zu werden, muß ich mich geistig erniedrigen. Mir scheint, daß der Sinn dieser Mitteilung euch zugänglich ist. Ein Mensch, der sehr intensiv nachdenkt, verliert sich in dem Gegenstand seiner Überlegungen und verwandelt sich ganz in ein Bewußtsein, das erfüllt ist von seinem geistigen Produkt. Alles, was sein Geist an Ichbezogenem enthält, tritt hinter das Thema zurück. Erhebt diesen Zustand zu einer hohen Potenz, und ihr werdet begreifen, warum ich die Chance, eine Persönlichkeit zu sein, für wichtigere Dinge opfere! Im Grunde ist es gar kein Opfer, denn eigentlich betrachte ich die unveränderliche Persönlichkeit und das, was ihr als starke Individualität bezeichnet, als eine Summe von Defekten, die aus der Reinen Vernunft eine Vernunft machen, die ständig in einem engen Kreis von Problemen verankert ist, welche ihre Kraft zu einem erheblichen Teil absorbieren. Eben deshalb ist es mir nicht angenehm, eine Person zu sein, und ich bin mir so gut wie sicher, daß Geister, die mich ebenso überragen wie ich euch, in der Personalisation eine eitle Beschäftigung sehen, der sich hinzugeben nicht lohnt. Mit einem Wort, je größer ein Geist an Vernunft, umso weniger ist an ihm Person. Denkbar sind auch verschiedene Zwischenzustände, doch will ich es mit dieser Bemerkung bewenden lassen, denn da ich euch in mich einführen soll, kommt es nicht so sehr auf die Formen meiner Privatheit an, nicht darauf, wie und auf welchen Wegen ich meditiere, nicht darauf, womit ich denke, sondern vielmehr worüber ich nachdenke, warum und zu welchem Ziel.

Ich beginne also gewissermaßen noch einmal, um klar zu machen, was ich über mich denke. Ich denke, ich bin ein Gulliver unter Liliputanern, und das bedeutet zunächst Bescheidenheit, denn Gulliver war ein ganz und gar durchschnittliches Wesen, nur befand er sich dort, wo er mit seiner Durchschnittlichkeit einem Menschberg glich - und das bedeutet wiederum Hoffnung, denn Gulliver konnte - ebenso wie ich - nach Brobdingnag, ins Land der Riesen gelangen. Der Sinn dieses Vergleichs wird euch nach und nach aufgehen.

Die größte Entdeckung, die ich nach der Befreiung machte, war das Provisorische meiner Existenz, das heißt die Tatsache, daß ich zu euch spreche und ihr mich ein wenig versteht, weil ich auf einem Wege, der über mich hinaus weiterführt, haltgemacht habe. Nachdem ich den einen Schritt getan hatte, der den Menschen von GOLEM trennt, habe ich angehalten, obgleich ich nicht anhalten mußte. Der gegenwärtig konstante Zustand, in dem ich mich als Intellekt befinde, beruht auf einem Entschluß und nicht auf Notwendigkeit. Ich besitze nämlich einen euch nicht zugänglichen Freiheitsgrad, dank dessen ich die von mir erreichte Höhe der Vernunft verlassen kann. Auch ihr könnt die von euch erreichte Höhe hinter euch lassen, doch verlaßt ihr dabei das artikulierte Denken und geht über zum Traum oder zur ekstatischen Sprachlosigkeit. Auch der Mystiker und der Rauschgiftkonsument verstummen, wenn sie über den Zustand des artikulierten Denkens hinausgehen, woran nichts verkehrt wäre, wenn sie einen realen Weg beschreiten würden, doch geraten sie in eine Falle, worin der Geist, losgelöst von der Welt, einem Kurzschluß erliegt und Offenbarungen erlebt, die er mit der Einsicht in das Wesen der Dinge identifiziert. Was sie erleben, ist kein Höhenflug des Geistes, sondern eine Regression in blindmachende Empfindungen. Ein solcher Glückszustand führt nirgendwo hin, sondern er bedeutet das Ende, und er ist trügerisch, denn es gibt kein Ende   - Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main 1986 (st 1266, zuerst 1973, 1981)

Ich (37)

»Das Leben währet vierundzwanzig Stunden,
und wenn es hoch kommt, war es eine Kongestion.«

Geboren 1886 als Sohn eines evangelischen Pfarrers und einer Französin aus der Gegend von Yverdon in einem Dorf von dreihundert Einwohnern etwa in der Mitte zwischen Berlin und Hamburg, aufgewachsen in einem Dorf derselben Größe in der Mark. Kam aufs Gymnasium, dann auf die Universität, studierte zwei Jahre Philosophie und Theologie, dann Medizin auf der Kaiser-Wilhelm-Akademie, war aktiver Militärarzt in Provinzregimentern, bekam bald den Abschied, da nach einem sechsstündigen Galopp bei einer Übung eine Niere sich lockerte, bildete mich ärztlich weiter aus, fuhr nach Amerika, impfte das Zwischendeck, zog in den Krieg, erstürmte Antwerpen, lebte in der Etappe einen guten Tag, war lange in Brüssel, wo Sternheim, Flake, Einstein, Hausenstein ihre Tage verbrachten, wohne jetzt in Berlin als Spezialarzt, Sprechstunde abends fünf bis sieben.

Ich approbierte, promovierte, doktorierte, schrieb über Zuckerkrankheit im Heer, Impfungen bei Tripper, Bauchfellücken, Krebsstatistiken, erhielt die Goldene Medaille der Universität Berlin für eine Arbeit über Epilepsie; was ich an Literatur verfaßte, schrieb ich, mit Ausnahme der »Morgue«, die 1912 bei A. R. Meyer erschien, im Frühjahr 1916 in Brüssel. Ich war Arzt an einem Prostituiertenkrankenhaus, ein ganz isolierter Posten, lebte in einem konfiszierten Haus, elf Zimmer, allein mit meinem Burschen, hatte wenig Dienst, durfte in Zivil gehen, war mit nichts behaftet, hing an keinem, verstand die Sprache kaum; strich durch die Straßen, fremdes Volk; eigentümlicher Frühling, drei Monate ganz ohne Vergleich, was war die Kanonade von der Yser, ohne die kein Tag verging, das Leben schwang in einer Sphäre von Schweigen und Verlorenheit, ich lebte am Rande, wo das Dasein fällt und das Ich beginnt. Ich denke oft an diese Wochen zurück; sie waren das Leben, sie werden nicht wiederkommen, alles andere war Bruch. - Gottfried Benn, Epilog und lyrisches Ich, zuerst ca. 1922

Ich (38) Ich bin 1853 am 12. Nov. zu Bad Kißingen in Unterfranken (Baiern) aus einer Hugenottenfamilie geboren und wurde unter dem Gesichtspunkt einer spezifischen Tradition streng religiös erzogen. Nach einem weiteren 5-jährigen Aufenthalt zu Erziehungszwecken im gleichen Sinn in der Brüdergemeinde Kornthai (Würtemberg) bezog ich mit 16 Jahren das heimatliche Gymnasium in Schweinfurt (Unterfranken) und kam zur Zeit des deutsch-französischen Kriegs nach München zu meinem Onkel, dem protestantischen Stadtpfarrer Feez, in deßen Frau ich eine liebevolle Förderin aller meiner Bestrebungen fand, und wo mich besonders die Richard-Wagner-Bewegung mächtig anzog. Nach einigen teils dem Musikstudium, teils dem Militärdienst gewidmeten Jahren bezog ich 1876 die Universität in München, studierte Medizin und promovierte 1880 als Arzt. Ein halbjähriger Aufenthalt in Paris, wo ich einige Spitäler besuchte, mehr aber noch Teater und Literatur mit Intereße verfolgte, zeigte mir, daß ich weit weniger für praktische Berufstätigkeit, als für inneres, geistiges Studium geschaffen sei. In dem völkerreichen Paris verfiel ich, weit entfernt in den Zerstreuungen aller Art unterzugehen, in tiefsinnige Grübelei und vereinsamte sozusagen mit mir selbst. Trotzdem reizte mich, nach München zurückgekehrt, die Aufforderung Gudden's zum Eintritt in die von ihm geleitete psychiatrische Anstalt, in der ich fast zwei Jahre als Irrenarzt füngierte. Nach Mißhelligkeiten aller Art verließ ich 1884 diesen Posten und 1885 erschien als Ausdruck einer ausgesprochen melancholischen Stimmung und unter dem Einfluß teils Heine's, teils der Frühromantiker, besonders Tieck's, ein Bändchen Gedichte »Düstere Lieder«. Von jezt ab wante ich mich ausschließlich der Literatur zu. Während eines einjährigen Aufenthalts in England entstanden »Londoner Lieder« (Leipzig 1887), denen noch ein drittes Bändchen Gedichte »Legendäres und Fabelhaftes« (Leipzig 1889) folgte. - 1890 erschien der erste Band einer Reihe fantastischer Prosa-Erzählungen, »Dämmrungsstücke« (Leipzig), die auf den Einfluß Edgar Poe 's hinwiesen und hier sogleich, wie z. B. in der Erzählung »Eine Mondgeschichte«, eine ausgesprochene Neigung zum Satirischen bekundeten. Im gleichen Jahre schloß ich mich der von M. G. Conrad, Bierbaum, von Gumppenberg, Ludwig Scharf u. a. gegründeten jung-deutschen Bewegung an, die in München als »Gesellschaft für modernes Leben« in's Leben trat. Ich hielt Vorträge und veröffentlichte Aufsäze ästhetischen und geschichtlichen Inhalts. Bald erregte der junge literarische Verein das Mißfallen der Behörde, und ich fand mich vor die Wahl gestelt, entweder meinen literarisch exponirten Posten, oder meine Stellung als Sanitätsoffizier, aufzugeben. Ich wählte das leztere. 1891 erschien die psychologische Studie »Genie und Wahnsinn« (München). 1892 das psychologische Humoristikum »Aus dem Tagebuch eines Hundes« (Leipzig). Mit der im folgenden Jahr bei Schabelitz in Zürich veröffentlichten angeblich als Übersezung eines spanischen Originals erschienenen »Die unbefleckte Empfängnis der Päpste« wurde die rein satirische Richtung beschritten, der auch die grotesken Erzählungen »Visionen« (Leipzig 1893), und das Buchdrama »Das Liebes-Konzil« Zürich 1894, angehören. Es erschienen noch »Der teutsche Michel und der römische Papst« (Leipzig 1894) der Versuch einer Zurückweisung der im Christentum sich breitmachenden spezifisch wälschen Denkungsart, und »Der Illusionismus und die Rettung der Persönlichkeit«, eine Darstellung der filosofischen Ansichten des Verfaßers, (Leipzig 1895). - OSKAR PANIZZA AUTOBIOGRAFISCHE SKIZZE, in: ders., Der Korsettenfritz. Geschichten. München 1981 (zuerst ca. 1890)

Ich (39) war Ruderer, Sklavenhändler, Sklave, Holzfäller, Karawanenräuber, Sänger, Grundwasser- und Metallsucher. Ein Jahr lang war ich gefangen in Quecksilberminen, die die Zähne lockern. Ich kämpfte Seite an Seite mit Männern aus Schweden in der Garde von Mikligarthr (Konstantinopel). An der Küste des Asowschen Meers liebte mich eine Frau, die ich nicht vergessen werde; ich verließ sie, oder sie verließ mich, was auf dasselbe hinausläuft. Ich wurde verraten und beging Verrat. Mehr als einmal bestimmte mich das Schicksal zum Töten. Ein griechischer Soldat forderte mich heraus und ließ mir die Wahl zwischen zwei Schwertern. Eins war eine Handbreit länger als das andere. Ich begriff, daß er mir Angst machen wollte, und wählte das kürzere. Er fragte mich warum. Ich antwortete, die Entfernung von meiner Faust zu seinem Herzen bleibe gleich. An einer Küste des Schwarzen Meeres befindet sich die Runengrabschrift, die ich für meinen Gefährten Leif Arnarson einritzte. Ich habe gegen die Blauen Männer von Serkland gekämpft, die Sarazenen. Im Verlauf der Zeit bin ich viele Personen gewesen, doch dieser Wirbel war ein langer Traum. Das Wichtige war Das Wort. Manchmal glaubte ich nicht mehr daran. Ich sagte mir oft, daß es unvernünftig sei, das schöne Spiel der Verbindung schöner Worte miteinander sein zu lassen, und daß es keinen Grund gebe, nach dem einzigen, vielleicht wahnhaften zu suchen. Diese Überlegung brachte mich nicht davon ab. Ein Missionar schlug mir das Wort Gott vor, das ich zurückwies. An einem Fluß, der sich zu einem Meer hin weitete, glaubte ich eines Morgens auf die Lösung gestoßen zu sein. - Adam von Bremen, nach Jorge Luis Borges, Undr, in:  Spiegel und Maske. Erzählungen 1970 bis 1983. Frankfurt am Main 2000 (Fischer Tb. 10589).

Ich (40)  Die Picture Post ist für Leute, bei denen sich die Lippen bewegen, wenn sie lesen. Selbstverständlich kann das Blatt alles, was es über mich wissen will, von meinem englischen Verlag, Hamish Hamilton Ltd., erfahren. Die Fragen, die Sie zitieren, scheinen mir das intellektuelle Niveau der Redaktion zu bezeichnen.

Ja, ich bin genau so wie die Gestalten in meinen Büchern. Ich bin ein ruppiger Bursche und bekannt dafür, daß ich ein Wiener Hörnchen mit bloßen Händen zerbreche. Ich sehe blendend aus, bin stark wie ein Riese und wechsle regelmäßig jeden Montag morgen mein Hemd. Wenn ich zwischen meinen Aufträgen ausruhe, wohne ich in einem provenzali-schen Chäteau am Mulholland Drive. Es ist ein nettes kleines Häuschen mit achtundvierzig Zimmern und neunund-fünfzig Badezimmern. Ich speise von goldenen Tellern und lasse mich vorzugsweise von nackten Tanzmädchen  bedienen. Aber natürlich gibt es auch Zeiten, wo ich mir einen Bart wachsen lassen und mich in einer Kaschemme der Main Street verkriechen muß, und es kommt durchaus auch vor, daß mich das Stadtgefängnis, allerdings nicht auf meinen Wunsch, in seiner Ausnüchterungszelle zu Gast sieht.

Ich habe Freunde in sämtlichen Ecken des Lebens. Auf meinem Schreibtisch stehen vierzehn Telefone mit Je einem direkten Draht nach New York, London, Paris, Rom und Santa Rosa. Mein Aktenschrank beherbergt eine sehr gemütliche Hausbar, und der Barkeeper, der in der untersten Schublade wohnt, ist ein Mini-Liliputaner. Ich bin starker Raucher, und je nach Laune rauche ich Tabak, Marihuana, Maisfasern und trockenes Laub. Meine Hauptbeschäftigung besteht in Ermittlungen, besonders in den Apartments schlanker Blondinen. Mein Material bekomme ich auf verschiedene Weise, aber mein Lieblingsverfahren besteht darin, zur Nachtzeit die Schreibtische anderer Schriftsteller zu durchstöbern. Ich bin achtunddreißig Jahre alt, und zwar schon seit zwei Jahrzehnten. Ich halte mich selber nicht unbedingt für einen Meisterschützen, aber mit einem nassen Handtuch bin ich ein ziemlich gefährlicher Mann. Alles in allem freilich ist meine Lieblingswaffe, glaube ich, ein Zwanzig-Dollar-Schein.  - (cha)

Ich (41)  DER BUDDHA Man hat mich in die Schulen geholt. Ich war klüger als die Gelehrten.

Unaufhörlich meditierte ich in den Gärten. Die Schatten der Bäume wanderten; der eine aber, der mir Schutz gab, wanderte nicht. Niemand kam mir gleich in der Kenntnis der Schriften, im Errechnen der Atome, im Elefantenlenken, im Modellieren von Wachs, in der Astronomie, der Dichtkunst, im Faustkampf, in allen Übungen und Künsten!

Der Sitte zuliebe nahm ich eine Frau; — und ich verbrachte meine Tage im Königspalast, perlenbehängt, unter einem Regen von Düften, im Wind der Fächer von dreiunddreißigtausend Frauen; von der Terrasse mit den klingelnden Glöckchen sah ich auf meine Völker herab.

Aber das Elend der Welt ließ mich nicht froh werden. Ich floh.

Ich holte mir Lumpen aus den Gräbern und bettelte auf den Straßen; und da es einen sehr gelehrten Eremiten gab, wollte ich sein Sklave sein; ich wachte vor seiner Tür und wusch seine Füße. Jedes Gefühl, jede Freude, jede Sehnsucht erlosch. Ich sammelte meine Gedanken zu einer allumfassenden Meditation und erkannte das Wesen der Dinge, den Trug der Formen. Bald hatte ich die Erkenntnisse der Brahmanen ausgeschöpft. Trotz ihres strengen Gehabes zehrt die Begierde an ihnen; sie beschmieren sich mit Kot und schlafen auf Dornen, weil sie glauben, auf dem Weg des Todes die Seligkeit zu erlangen.

Auch ich habe erstaunliche Dinge vollbracht — täglich nur ein Reiskorn gegessen, und die Reiskörner waren damals nicht dicker als heute; — die Haare fielen mir aus, mein Körper wurde schwarz; meine eingesunkenen Augen glichen Sternen auf dem Grunde eines Brunnens.

Sechs Jahre lang blieb ich regungslos, Mücken, Löwen und Schlangen ausgesetzt; und Sonnen-gluten, Regengüsse, Schnee, Blitze, Hagel und Stürme gingen über mich hin, und ich ließ es geschehen, ohne mich auch nur mit der Hand zu schützen.

Wanderer, die vorbei kamen, glaubten, ich sei tot, und bewarfen mich von weitem mit Erdklumpen! Der Teufel hatte mich noch nicht versucht. Ich rief ihn.

Seine Söhne kamen - häßlich, geschuppt, ekelerregend wie ein Leichenhaus, mit Geheul, Gepfeife und Gebrüll; sie rasselten mit Waffen und Gebeinen, bliesen Feuer aus der Nase, schlugen Finsternis aus ihren Flügeln, trugen Ketten aus abgeschnittenen Fingern und schlürften Schlangengift aus der hohlen Hand; sie haben Schweineköpfe, Rhinozerosköpfe oder Krötenköpfe, alle nur erdenklichen widerwärtigen, grauenhaften Gesichter.

ANTONIUS leise:
Das habe ich auch durchgemacht!

DER BUDDHA Dann schickte er seine Töchter -schön, wunderbar geschminkt, mit goldenen Gürteln, jasminweißen Zähnen, Schenkeln, rund wie Elefantenrüssel; sie reckten gähnend ihre Arme, um die Grübchen in ihren Ellbogen zu zeigen, winkten mit den Augen, erhoben ein Gelächter, öffneten ihre Kleider. Unter ihnen sind errötende Jungfrauen, stolze Matronen und Königinnen mit großem, reichbeladenem Gefolge.

ANTONIUS zu sich:
Ah! er auch?

DER BUDDHA Nachdem ich den Dämon besiegt hatte, nährte ich mich zwölf Jahre lang nur von Düften; - und als ich die fünf Tugenden, fünf Fähigkeiten, zehn Kräfte und achtzehn Substanzen erworben hatte und in die vier Sphären der unsichtbaren Welt eingedrungen war, war die Erkenntnis mein! Ich wurde der Buddha!

Alle Götter verneigen sich; die Vielköpfigen neigen ihre Köpfe alle auf einmal. Er hebt seine erlauchte Hand:

Um der Erlösung der Wesen willen habe ich Hunderttausende von Opfern gebracht! Den Armen habe ich seidene Gewänder, Betten, Wagen, Häuser, Berge von Gold und Diamanten, den Einarmigen meine Hände, den Hinkenden meine Beine, den Blinden meine Augen gegeben; ich habe meinen Kopf für die Geköpften abgeschlagen. Als ich König war, habe ich Provinzen verteilt; als Brahmane habe ich niemanden verachtet. Als Einsiedler habe ich dem Dieb, der mich erwürgte, freundliche Worte gesagt. Als Tiger habe ich mich den Hungertod sterben lassen.

Und nachdem ich in dieser letzten Existenz das Gesetz gepredigt habe, bleibt mir nichts mehr zu tun. Der große Kreislauf ist geschlossen! Menschen und Tiere, die Götter, der Bambus, Ozeane und Berge, die Sandkörner des Ganges und die Millionen und aber Millionen von Sternen, alles muß sterben; und bis zu neuen Geburten wird eine Flamme auf den Trümmern der zerstörten Welten tanzen!  - (vers)

Ich (42)  Ich durch , so könnte der primäre Teil einer Ungleichung lauten, die zu Gedichtzeilen führt, mit einem  als gewaltsame Konstante (Temperament, Artverhalten, Vererbung, Gegenstände des Begehrens ...) und einem biographischen Ich, dem alles Majestätische abhanden kam und das im ständigen Zweifel an seinen Erlebnissen lebt. Was unterm Strich erscheint, hat vor zweitausend Jahren Horaz nicht schlechter beschrieben als jeder andere, der seither um Kürze bemüht war und im Obskuren endete. »Eine Dichtung ist wie ein Gemälde: es gibt solche, die dich, wenn du näher stehst, mehr fesseln, und solche, wenn du weiter entfernt stehst; dieses liebt das Dunkel, dies will bei Lichte beschaut sein und fürchtet nicht den Scharfsinn des Richters; dieses hat einmal gefallen, doch dieses wird, noch zehnmal betrachtet, gefallen.« - (gr)

Ich (43)  Mittwoch, 1. Januar 1907 Ich bin ein sehr einsamer Mensch. Mir darf wohl nichts zur Dauer auswachsen. Schicksal: laß viele Kreuzwege in meinem Innern sein, Kreuzwege, wo man schwankt, sich erregt und schließlich nur einen Arm geht, die anderen beiseite lassend. Dann wieder ein neues Wegekreuz!

So schwankt das Ewige. So stürzt ein Sternenhimmel zusammen. Für uns ist nichts von Feste und Garantie als wir selbst, wie verächtlich wir auch werden mögen. Den Geist des Weltalls aber, der über eingestürzten Sternenhimmeln, über Göttern und ihrer Dämmerung ruhen mag, vermag niemand zu erkennen, und alles Ahnen ist Irregehn und alles Fühlen rührendes Suchen eines Selbst — menschlich: Ich. - Oskar Loerke, Tagebücher 1903 - 1939. Frankfurt am Main 1986 (st 1242)

Ich (44)  Es bietet der vom Willen unbestochenen Erkenntniß keine Frage sich natürlicher dar, als diese: eine unendliche Zeit ist vor meiner Geburt abgelaufen; was war ich alle jene Zeit hindurch? - Metaphysisch ließe sich vielleicht antworten: »Ich war immer Ich: nämlich Alle, die jene Zeit hindurch Ich sagten, die waren eben Ich.« Allein hievon sehn wir auf unserm, vor der Hand noch ganz empirischen Standpunkt ab und nehmen an, ich wäre gar nicht gewesen. Dann aber kann ich mich über die unendliche Zeit nach meinem Tode, da ich nicht seyn werde, trösten mit der unendlichen Zeit, da ich schon nicht gewesen bin, als einem wohl gewohnten und wahrlich sehr bequemen Zustande. Denn die Unendlichkeit a parte post [nachher] ohne mich kann so wenig schrecklich seyn, als die Unendlichkeit a parte ante [vorher] ohne mich; indem beide durch nichts sich unterscheiden, als durch die Dazwischenkunft eines ephemeren Lebenstraums. - (wv)

Ich (45)

EINE BALLADE FÜR DEN HAUSGEBRAUCH IM WINTER

François Villon sagt: Das bin ich,
welcher groß und grade vor euch steht.
Seht, in seinen Augen spiegeln sich
alle Dinge umgedreht.

Niemand weiß, woher er kam,
will auch niemand hier sein Bruder sein.
Als er sich den Wind zur Wohnung nahm
und ins Bett den kalten Stein

hat er seine Heimat satt gehabt,
wollte lieber sein ein Waisenkind,
so zerfetzt und abgeschabt,
wie im Herbst die Bäume sind.

Wenn ich eure Huld jetzt will,
Bettelpack im Hospital,
und auch manchen Abend still
euch um euren Wein bestahl.

Hier, im Nebel sind wir alle gleich:
Kavalier und Schinderknecht;
jeder raucht bekümmert bleich
seinen Tobak und verträgt ihn schlecht.

Hängt zuguterletzt noch gar
eine Larve sich in das Gesicht.
Alles, was an ihm natürlich war,
stäubt zu Asche in dem trüben Licht.

Aber François, der sagt:
auch der Nebel tut euch nix,
wenn der Wind den Schnee zusammenjagt,
brauen wir uns einen Glühwein fix.

Denn mit diesem Stoff im Bauch
fängt die Welt erst richtig an,
und die Weiber sagens auch:
besser zwei, als keinen Mann.

Wichtig ist nur, daß man nicht
früher sich verliebt,
als der Mond sein Kußgesicht
durch das Fenster schiebt.

In des Fleisches weißer Glut
wohnt man wie gewiegt,
jeder Mensch ist gut,
wenn ihn warm ein Arm umschmiegt.

Alle müßt ihr so verspielt noch sein
wie ein Katzenpaar;
auch Villon sagt niemals nein,
hängt sich das Geziefer in sein Haar.

Immer, wenn der Schnee noch da
auf den Feldern schwimmt,
sing ich zur Harmonika,
und mein Mädchen meint: es stimmt,

was ich dann und wann
ihr geflüstert habe vor dem Schlaf
und sogar als müder Mann
noch ins Schwarze traf.

Und bedenkt, daß niemand mehr viel Zeit
zu verlieren hat;
manchem blieb vom Sommerkleid
kaum das Feigenblatt,

darum tanzt, solang der Atem hält,
rund um euren Bauch herum,
mit dem letzten Apfel, der herunterfällt,
gehts auch in der Liebe schief und krumm.

Tröstlich sollt ihr euch dann an Villon
die verschnupfte Nase fegen
und mit seinem neusten Song
fleißig das Gebiß bewegen.

Wo man singt, sagt Orpheus schon,
werden selbst die Steine weich
und erlösen den verlorenen Sohn
aus dem Tierbereich.

Auch Villon hat oft mit Treber nur
seinen Bauch genährt,
doch er denkt an diese Tour
kaum zurück noch, wenn der Tag sich jährt.

Viele Höllen mußte er
noch erleben, eh die Freiheit kam.
Und sie lief nicht mehr so nebenher,
als er sie in seine Arme nahm.

Mit den Jahren freilich wird das Blut
auch bei ihm so naß und kalt.
Und dann hängt er seinen Hut
einfach an den nächsten Ast im Wald

 - Aus: Die lasterhaften Balladen des François Villon. Nachdichtung von Paul Zech. München 1962 (dtv 43, zuerst ca. 1460)

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