ypothese,
beruhigende Kurzum, das eingefleischte Gefühl, daß ich
vom Selbstmord geboren sei, daß er mir Vater
ist. Da denn diese Hypothese seltsam beruhigend wirkt, als ob ich ein bekanntes,
vergessenes, aber nicht gelöschtes Geräusch vernähme, das Knirschen eines seit
je vertrauten Angelpunkts; als ob ich den üblen und zarten Geruch einer durch
und durch bekannten Wohnung wiedererkenne, gewisse Straßengeräusche oder Stimmen,
denen ich keine Worte zu verleihen wage noch Namen; da schließlich zu der Phantasie
dieser Erinnerung diejenige der Rückkehr sich gesellt, beide nicht so sehr trostversprechend
als einfach zugehörig, so werde ich es wagen, bei dieser Übung zu verharren,
um zu sehen, ob sie zuläßt, daß ich sie mir befreunde: diese altbekannte Gesellin,
meine Selbstrnordschaft. Wenn ich sage, daß ich mich eines Selbstmordes »erinnerte«,
also des meinigen, so kann dies nur bedeuten, daß ich mich bereits umgebracht
habe. Sagen wir also, ich hätte ein Leben mit einem freiwilligen Tode abgeschlossen,
insofern ich es eingefroren und versiegelt und abgezeichnet habe; und auf diese
Weise habe ich mein Leben wiedergefunden -heute -, als ob ich dort wieder angefangen
hätte, wo das andere zuende war, und daher es denn gegengezeichnet ist von meinem
Selbstmord, sozusagen übergeben mit sämtlichen Akten und Unterlagen des vorhergehenden
Lebens, doch mit dem Charakter, der einem endgültigen Qualitätssiegel eigen
ist. Es kann also nun klar und deutlich werden, wieso ich weiß, daß jener Selbstmord
eine Erinnerung sei und durchaus eine Motivation habe, wenn auch in gewisser
Weise außerhalb der Grenzen meines bewußten Lebens; überdies ist mir der Selbstmord
des vorhergehenden Lebens zugleich als Lösung wie als Problem übergeben worden.
Geben wir also, nicht ohne Belustigung, zu, daß ich mich in einem früheren Leben
umgebracht und daß mit diesem Problem mein Leben wieder begonnen hätte. Sofern
der Selbstmord mich erreicht, in der »Erinnerung«, und zwar als Problem, so
will das heißen, daß er in der vorhergehenden Existenz seiner erwünschten Aufgabe
als Lösung nicht gerecht geworden ist; daß er vielmehr dasselbe mit so unheilbarer
Virulenz bestätigt hat, sodaß ich in die Lage des fortdauernden Selbstmords
gedrängt wurde.
- Giorgio Manganelli, Einige Hypothesen über meine
früheren Inkarnationen.
In: G. M., An künftige Götter. Berlin 1987
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