Dutnadel    Bilder zeigten den Fakir mit Eisenhaken unter den Schulterblättern, wie er einen Rolls Royce hinter sich herzog, oder wie er ein gemischtes Gericht aus Glasscherben und glühenden Eisenklammern verzehrte. Pierrot schnitt eine Grimasse; er fand das widerlich.

Er trat durch die Hintertür ein. Crouia-Bey war schon im Frack und bereitete die Vorstellung vor. - Du kommst nicht zu früh, sagte er. Zieh diese Uniform an, da, ja, gut so, nun, beeil dich, los, dalli dalli, rühr dich schon, endlich bist du da, jetzt komm her, daß ich dir die Physiognomie schwarz färbe, nimm doch deine Brille ab, du Armleuchter, so, damit ich dir das Porträt einwichse, so, wunderbar, zieh deinen Turban an, so, gut, siehst prächtig aus, in Ordnung. Dann erklärte er ihm im einzelnen, was er zu tun hatte. Der Ausschreier erkundigte sich, ob er loslegen könne. Man konnte anfangen. Er setzte also das Grammophon in Betrieb, das Travadja la moukere und den Bolero von Ravel herunterleierte, und als ein paar geile Säcke, die einen Bauchtanz witterten, vor dem .Etablissement stehen geblieben waren, ließ er seine Anpreisungen über den Platz erschallen. Pierrot stand unbeweglich im persischen Kostüm.

Der Saal wurde schließlich voll und der Vorhang hob sich über einem ganzen Eisenwarenarsenal. Auch Pierrot war da, genauso starr und steif und stumm wie vorhin. Als der Fakir eintrat, kreuzte er die Arme vor der Brust und verneigte sich sehr tief. Der Gruß, dachte er, ist mir jedenfalls tadellos gelungen. Der andere gab ihm ein Zeichen. Pierrot überreichte ihm mit einer Gebärde der Unterwerfung eine Hutnadel von fünfzig Zentimeter Länge, die Croula-Bey sich in die rechte Wange spießte. Die Spitze kam aus dem Mund heraus. Auf ein neues Zeichen hin überreichte ihm Pierrot eine neue Nadel, die er sich in die andere Wange stach. Eine dritte Nadel durchbohrte wieder die rechte Wange und so fort. Pierrot, der von seiner Arbeit ganz in Anspruch genommen wurde, achtete zunächst nicht darauf, was aus den ersten Nadeln geworden war. Aber bevor er die sechste überreichte, hob er die Augen. In einem Nebel gewahrte er so was wie Eisenstacheln, die aus dem schönen Bart des Fakirs herausragten. Er wurde blaß. Mit den Augen folgte er der neuen Nadel: sie erhob sich in die Luft und drang, langsam, nachdem sie die Haut durchstochen hatte, ins Fleisch ein. Mit weit aufgerissenen Augen, bleich vor Entsetzen, sah Pierrot sich das an. Dann kam die Spitze zwischen den Lippen wieder zum Vorschein. Pierrot konnte das nicht mehr sehen. Pierrot wurde ohnmächtig. Im Saal lachte man sich halb krumm.   - Raymond Queneau, Mein Freund Pierrot. Frankfurt am Main 1964 (zuerst 1942)

Hut Nadel

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