ure   Die große Hure sieht etwas anders aus: etwa wie die Paiva, die als uneheliche Tochter Puschkins und einer Moskauer Jüdin geboren wurde, mit 15 Jahren in ein Moskauer Bordell kam, dort den Klaviervirtuosen Herz kennenlernte, von ihm nach Paris mitgenommen wurde, wo sie als große Kokotte - vom Fürsten Henckel-Donnersmarck geheiratet wird, dem sie sein Vermögen zusammenhält, durch bergmännische Ausbeutung der oberschlesischen Besitzungen vermehrt und dabei selbst die Kleinigkeit von 17 Millionen Franken gewinnt, die sie ganz brav ihrem Ehemann hinterläßt. Bismarcks Haus bleibt ihr allerdings verschlossen, aber auf der deutschen Botschaft in Paris empfangen zu werden, setzt sie doch durch. Die deutsche Legende sagt ihr Beziehungen zu Napoleon III., die französische dafür Beziehungen zu Bismarck nach.   - Carl Christian Bry, Verkappte Religionen. Kritik des kollektiven Wahns. Nördlingen 1988 (Greno 10/20 85, zuerst 1924)

Hure (2)   Maigret wohnte einer Art Zusammenbruch bei. Er hatte sie selbstsicher und arrogant gekannt, hatte erlebt, daß sie sich mit greller Stimme über ihn lustig machte und ihn mit solchen Ausdrücken beleidigte, daß Manuel  gezwungen war, einzugreifen. Sie war eine Naturschönheit gewesen, die noch nach dem Straßenmädchen, nach der Dirne roch, was ihr jedoch etwas Pikantes gab. Er hatte sie weinen sehen - das unglückliche Weibchen oder die Komödiantin, die ihren Kummer so gut spielte, daß er sich hatte hinters Licht führen lassen.

Jetzt glich sie einem Tier, das in der Falle sitzt, das vor sich hin brütet, dessen Angst man spürt und das sich fragt, welches Schicksal es haben wird.

Maigret berührte den Rollstuhl, drehte ihn nach allen Seiten und setzte sich schließlich so, wie Palmari dort so oft gesessen hatte.

»Drei Jahre hat er als Gefangener in diesem Stuhl gelebt.«

Er sprach wie zu sich selbst, seine Hände tasteten nach den Knöpfen, mit denen man ihn nach rechts oder links drehen konnte.

»Er hatte nur noch dich, um mit der übrigen Welt in Verbindung zu bleiben.«

Sie wandte den Kopf ab, weil sie es kaum ertragen konnte, einen Mann von Manuels Größe in dessen Rollstuhl sitzen zu sehen. Maigret sprach weiter, als kümmerte er sich gar nicht um sie.

»Er war ein Gauner alter Schule. Und diese alten waren auf andere Weise mißtrauisch als die jungen von heute. Vor allem ließen sie es nie zu, daß die Frauen sich in ihre Angelegenheiten mischten. Hörst du überhaupt zu?«

»Ich höre zu«, stammelte sie mit einer Kleinmädchenstimme.

»Die Wahrheit ist, daß das alte Krokodil sich erst spät in seinem Leben wie ein Gymnasiast in ein Mädchen verliebte, das er in der Rue Fontaine vor einem finsteren Hotel aufgelesen hatte. Er besaß jetzt soviel Geld, daß er sich an die Ufer der Marne oder in den Süden hätte zurückziehen können.

Der arme Kerl bildete sich ein, er könnte aus dir eine Dame machen. Er hat dich wie eine Dame angezogen, er hat dir gute Manieren beigebracht. Das Zählen brauchte er dir nicht beizubringen, denn das konntest du schon von Geburt an.

Wie zärtlich gabst du dich ihm gegenüber 'Papa hier,  Papa da. Fühlst du dich wohl, Papa? Möchtest du, daß ich das Fenster aufmache? Hast du nicht Durst, Papa? Aline gibt dir ein Küßchen.'«

Plötzlich stand er auf und brüllte:

»Hurel«

Sie zuckte nicht mit der Wimper, sie rührte sich nicht. Sie wußte, daß er in seinem Zorn fähig war, sie mit der Hand oder der Faust ins Gesicht zu schlagen.

»Hast du ihn dazu überredet, die Häuser und das Konto auf deinen Namen zu überschreiben? Nun, das ist jetzt nicht mehr wichtig. Während er hier in dem Zimmer gefangen saß, trafst du seine Komplicen, gabst ihnen seine Instruktionen, und nahmst den Schmuck in Empfang. Hast du mir noch immer nichts zu sagen?«

Die Zigarette fiel ihr aus den Fingern auf den Teppich, und sie zertrat sie mit ihrem Pantoffel.

»Seit wann bist du die Geliebte des stolzen Männchens Fernand? Seit einem Jahr, seit drei Jahren? Das Hotel in der Rue de l'Etoile war für eure Rendezvous wie geschaffen.

Und eines Tages hat jemand, einer von euch beiden, Fernand oder du, jemand hat die Geduld verloren und ist nervös geworden. Auch wenn er ein Invalide war, so war Manuel doch stark genug, um noch zehn oder fünfzehn Jahre zu leben.

Das Vermögen, das er besaß, war so groß, daß er hätte Lust kriegen können, sein Leben irgendwo anders zu beenden, irgendwo, wo man ihn in einem Garten spazierenfahren konnte.

Warst du es, oder war es Fernand, der diesen Gedanken nicht ertragen konnte?«  - Georges Simenon, Maigret hat Geduld. München 1971 (Heyne Simenon-Kriminalromane 99, zuerst 1965)

Hure (3)  Wer wie die andern pißt, ist auch sonst so wie sie. Darum war ich Hure, solange ich vom Huren lebte, und habe nichts unterlassen, was zum Geschäft einer Hure gehört. Denn ich wäre ja keine Hure gewesen, hätte ich nicht auch hurenmäßige Gesinnung gehabt . Und eine Hure, die nicht alle Hureneigenschaften hätte, wäre wie eine Küche ohne Koch, wie Essen ohne Trinken, wie 'ne Lampe ohne Öl, wie Makkaroni ohne Käse. - Aretinos 'Nanna', nach: Manganelli furioso. Handbuch für unnütze Leidenschaften. Berlin 1985

Hure (4)

 

Lust Frau

 

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