ungerkünstler  Einmal fiel einem Aufseher der Käfig auf, und er fragte die Diener, warum man hier diesen gut brauchbaren Käfig mit dem verfaulten Stroh drinnen unbenutzt stehen lasse; niemand wußte es, bis sich einer mit Hilfe der Ziffertafel an den Hungerkünstler erinnerte. Man rührte mit Stangen das Stroh auf und fand den Hungerkünstler darin. »Du hungerst noch immer?« fragte der Aufseher, »wann wirst du denn endlich aufhören?«  »Verzeiht mir alle«, flüsterte der Hungerkünstler; nur der Aufseher, der das Ohr ans Gitter hielt, verstand ihn. »Gewiß,« sagte der Aufseher und legte den Finger an die Stirn, um damit den Zustand des Hungerkünstlers dem Personal anzudeuten, »wir verzeihen dir.« »Immerfort wollte ich, daß ihr mein Hungern bewundert«, sagte der Hungerkünstler. »Wir bewundern es auch«, sagte der Aufseher entgegenkommend. »Ihr sollt es aber nicht bewundern«, sagte der Hungerkünstler. »Nun, dann bewundern wir es also nicht,« sagte der Aufseher, »warum sollen wir es denn nicht bewundern?« »Weil ich hungern muß, ich kann nicht anders«, sagte der Hungerkühstler. »Da sieh mal einer,« sagte der Aufseher, »warum kannst du denn nicht anders?« »Weil ich,« sagte der Hungerkünstler, hob das Köpfchen ein wenig und sprach mit wie zum Kuß gespitzten Lippen gerade in das Ohr des Aufsehers hinein, damit nichts verloren ginge, »weil ich nicht die Speise finden konnte, die mir schmeckt. Hätte ich sie gefunden, glaube mir, ich hätte kein Aufsehen gemacht und mich vollgegessen wie du und alle.« Das waren die letzten Worte, aber noch in seinen gebrochenen Augen war die feste, wenn auch nicht mehr stolze Überzeugung, daß er weiterhungre. - Franz Kafka, Ein Hungerkünstler, nach (kaf)

Hungerkünstler (2)  In Deutschland:  Vor dem Leipziger Schöffengericht hatten sich heute der Hungerkünstler Harry Nelson, alias Reinhold Timer, aus Berlin, der Kaufmann Schützenbühel aus Berlin und der Wärter Bernhard Müller wegen Betrugs zu verantworten. Nelson war in Leipzig als Hungerkünstler aufgetreten und wollte fünfundvierzig Tage hungern. Am zweiunddreißigsten Tage kam auf, daß der Hungerkünstler durch längere Zeit in der Früh Biomalz zu sich genommen hatte, das ihm vom Wärter Müller im Einverständnis mit dem Angeklagten Schützenbühel zugesteckt worden war ... Nelson wurde zu zwei Jahren, zwei Monaten Gefängnis, Schützenbühel zu vier Monaten Gefängnis und Müller zu einer Woche Gefängnis verurteilt.

In Österreich:  In einem Bierkeller des 3. Bezirkes hungert der Hungerkünstler Fred Ellern heute den 46. Tag. Während er bisher gesundheitlich keinerlei Besorgnis erregte, haben sich gestern Herzkrämpfe eingestellt, und auch eine Untersuchung der Lunge hat zu Befürchtungen Anlaß gegeben.

Aus diesem Grunde ist Fred Ellern sowohl von einem Privat- als auch von einem Polizeiarzt untersucht worden und die Polizei will heute oder morgen die Entscheidung treffen, ob der Hungerkünstler weiter hungern darf oder nicht. Die Temperatur betrug heute früh 36,4 Grad, der Puls 94 ...

Es ist begreiflich, daß Ellern weniger aus Rekordgründen, als vielmehr aus materiellen Ursachen über Pfingsten durchhalten will, um sich die erhöhten Einnahmen infolge des Pfingstbesuches zu sichern. - Nach Karl Kraus

Hungerkünstler (3)  Das Nachtpfauenauge ist nur Schmetterling, um sich fortzupflanzen; Nahrungsaufnahme ist ihm unbekannt. Während so viele seiner fröhlichen Genossen von Blume zu Blume flattern, die Spirale ihres Saugrüssels entrollen und in die süßen Blütenkronen tauchen, kann er, ein unvergleichlicher Hungerkünstler, der ganz von der Fron seines Magens befreit ist, sich mit nichts stärken und erlaben. Seine Mundwerkzeuge sind nämlich kaum angedeutet, bloße Trugbilder, Attrappen, keine wirklichen, zum Gebrauch bestimmten Organe. Kein Schluck Nektar gelangt in seinen Magen: das wäre ein wunderbarer Vorzug, bedingte er nicht eine kurze Lebensdauer. Soll sie nicht verlöschen, bedarf die Lampe ihres Tropfens Öl. Das Nachtpfauenauge verzichtet darauf, aber gleichzeitig muß es damit auf ein langes Leben verzichten. Zwei oder drei Abende, genau das, was gerade zur Vereinigung des Paares notwendig ist, und das ist alles. Schon hat das Dasein des großen Schmetterlings sich vollendet.  - (fab)

 

Künstler Hunger

 

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