undedorf
Ein Dorf im Mecklenburgischen ist von Armeehunden genommen worden,
Dobermanns und Schäfern, jeder von ihnen abgerichtet, jedem menschlichen Wesen
mit Ausnahme des Trainers, der ihn ausgebildet hat, an die Gurgel zu springen
und diese durchzubeißen. Doch die Trainer sind im Krieg gefallen oder vermißt.
Die Hunde haben rudelweise Raubzüge unternommen, haben Kühe auf den Feldern
gerissen und die Kadaver kilometerweit in das Dorf zu den Genossen geschleppt,
sind im Rin-Tin-TIn-Stil in Lebensmittellager eingebrochen und haben K-Rationen,
tiefgefrorenes Hackfleisch, Kartons mit Süßigkeiten geplündert. Die Zufahrtsstraßen
zur Hundestadt sind übersät von den Leichen ehrgeiziger Soziologen und unschuldiger
Bürger aus den Nachbarorten. Niemand kann sich dem Dorf nähern. Ein Einsatzkommando,
bewaffnet mit Gewehren und Handgranaten, ist in Marsch gesetzt worden, doch
die Hunde verschwanden unsichtbar wie Wölfe in der Nacht, und keiner der Männer
brachte es übers Herz, die Häuser und Geschäfte zu zerstören. Im Dorf bleiben
und es besetzen wollte allerdings auch keiner. So zogen sie wieder ab, und die
Hunde kehrten zurück. Ob es interne Spannungen und Hierarchien unter ihnen gibt,
Liebe, Loyalität, Eifersüchteleien, ist von außerhalb nicht auszumachen. Eines
Tages könnte sich die G 5 zu einer militärischen Lösung im großen Stil entschließen.
Doch den Hunden mag das gleichgültig, mag die deutsche Angst vor Umzingelung
fremd sein - sie leben vielleicht ausschließlich im Licht des einen, von Menschen
in sie eingepflanzten Reflexes: Töte den Fremden. Vielleicht haben sie keine
Möglichkeit, diesen Reflex von den anderen vorgegebenen Größen m ihrem Leben
zu unterscheiden-von Hunger oder Durst oder Sex. Soviel sie wissen, ist ihnen
das Töte-den-Fremden angeboren. Wer überhaupt von ihnen sich der Schläge, der
Elektroschocks, der zusammengerollten, von niemandem gelesenen Zeitungen, der
Stiefel und Stachelstöcke erinnert, verknüpft solche Erinnerungen mit dem gehaßten
Fremden. Wenn es Ketzer unter diesen Hunden geben sollte,
dann muß ihre Häresie darin bestehen, eine außerhündische
Quelle für diese Eruptionen jäher Mordlust zu proklamieren, die auch die nachdenklichen
Ketzer selbst.überwältigen, sobald der erste Geruch nach Fremdling an ihre Nasen
dringt. - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei
Hamburg 1981
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