uhn  Ich bin ein großer Teleologe und daher fest überzeugt, daß die ganze Familie der hühnerartigen Vögel ausschließlich erschaffen ist um unserer Speisekammern willen und unserer Diners.

Ernstlich, wo immer man ein Mitglied dieser zahlreichen Familie, von der Wachtel bis zum Truthahn, findet, überall gibt es eine leichte, schmackhafte Speise, ebenso dienlich dem Rekonvaleszenten wie dem Gesündesten. Denn wer von uns, erkrankt und von den Doktoren zur Kost der Wüstenprediger verurteilt, hätte nicht dem ersten, schön zerlegten Hühnerflügel zugelächelt, der ihm anzukündigen schien: Endlich bist du der Kulturwelt wiedergegeben!

Wir bescheiden uns nicht mit den Eigenschaften, die die Natur den Hühnervögeln verliehn; die Kunst hat sie ergriffen, und unter dem Vorwande, sie zu verbessern, machen wir Märtyrer aus ihnen. Man raubt ihnen nicht bloß die Mittel zur Fortpflanzung, man hält sie auch einsam, wirft sie ins Dunkel, zwingt sie zu fressen und entwickelt so in ihnen ein Embonpoint, der ihnen von Gott nicht bestimmt gewesen. 

Allerdings, dieses ultranatürliche Fett schmeckt herrlich, und mittels dieser Teufelskünste bekommen sie jene Feinheit und Saftigkeit, die sie zu Leckerbissen der edelsten Tafel machten.

So überzüchtet, wird das Geflügel für die Küche das nämliche, was die Leinwand für die Maler und für die Zauberkünstler Fortunatus‘ Wunschhut ist. Man mag es gekocht, gebraten, gebacken auftragen, warm oder kalt, ganz oder in Stücken, mit oder ohne Sauce, ohne Knochen, ohne Haut oder gestopft: der Erfolg ist immer der gleiche. - (bri)

Huhn (2) Sprichwörtlich ist die Dummheit des Haushuhns, mit diesem törichten Geflügel werden freilich nur Frauen verglichen: Die Henne reproduziert die Spezies, die Glucke sorgt für den Nachwuchs. Ob Henne, ob Glucke, dieses Federvieh hat angeblich nichts als Küken und Körner (Kinder und Küche) im Sinn und keinesfalls Verstand im Kopf; eine Perle  findet es höchstens durch Zufall.

Und zu melden hat die Henne auch nichts: «Mädchen, die pfeifen, und Hühnern, die kräh‘n, den‘n soll man beizeiten die Hälse umdrehen», dekretiert das Sprichwort. - (schen)

Huhn (3) Ygnacio hatte eine fürchterliche Angst vor allen Tieren, außer den Hühnern. Auf dem Land beobachtete er dann aber ein lebendiges Huhn aus der Nähe, stellte es sich auf das Maß einer Kuh vergrößert vor und merkte, daß es ein Ungetüm war, weit furchterregender als irgendein anderes zu Lande oder zu Wasser. Kalter Schweiß kam ihm in der Dunkelheit, und die gespenstische Stille in den Gehegen ließ ihn bei Morgengrauen nach Luft ringend aufwachen. - Gabriel García Márquez, Von der Liebe und anderen Dämonen. München 2001 (zuerst 1994)

Huhn (4) Gut tat, immer von neuem die eigene Herkunft zu vergessen. Diese Freiheit habe ich jedesmal körperlich gespürt, sobald ich die Grenze, die zugleich die Grenze der Sprache und des Verständnisses war, das verordnet wurde, verließ. Die eigene Herkunft, die in der Erinnerung nur noch aus halbdeutlichen Dingen bestand. Und je weniger ich in der Sprache verstanden habe, desto klarer sind mir die vorhandenen Dinge in das Bewußtsein getreten, als wären sie lebendige Personen. Erinnerte ich mich in einer Situation, die lange Zeit zurücklag, so sah ich in der Erinnerung nur Dinge. Die Dinge sollten oder hatten das Gefühl ersetzt. Jedes Empfinden war besetzt mit Details von Sachen. Der Schmerz, den ich spürte, war eine Kante des Baumstumpfes, gegen den ich gelaufen war, der zum Spalten des Brennholzes und zum Kopfabschlagen eines Huhnes benutzt wurde. Und die Luft war ein blind schlagendes Huhn, das flatterte, nachdem der Kopf abgeschlagen worden war. Das Huhn war so lange an den Beinen herumgewirbelt worden, bis der Körper alle Richtung verloren hatte und der Körper für einige Sekunden reglos war, die reichten, den Kopf abzuschlagen. Das Huhn war schließlich ein plumper Vogel geworden. - (westw)

Huhn (5)

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Unterbegriffe  
Postmodernes Huhn {?} Kalabresisches Huhn Widerrechtliche Witwe
VB
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